Klamauk, Kommerz und etwas Kontemplation
Die Art Basel prägt den internationalen Kunstmarkt. Werke werden hier als Ware zelebriert.
Es ist Messe in Basel. Zum Verkauf stehen aber weder Waschmaschinen noch Traktoren. Allein der Kunst gilt hier der Kommerz. Kunst als Ware? Geht das überhaupt? Auf jeden Fall: 1990 kleckste Joan Mitchell, die Doyenne des amerikanischen abstrakten Expressionismus, ein paar Farbspritzer auf eine Leinwand. Sonnenblumen sind zu erkennen: Soeben wurde das Werk an der Art Basel für 20 Millionen Dollar verkauft. Hier ist das möglich.
Kunstmessen sind ein paradoxes Phänomen. Feilgeboten wird, was eigentlich nicht veräusserlich ist, weil sein Wert auf Innerlichkeit gründet. Dennoch ist alles auch mit Geld bewertbar. Eine Verkaufsschau wie die Art Basel ruft in Erinnerung: Kunst gehört zur Hälfte der materialistischen Welt an. Gemälde und Skulpturen sind keine rein geistigen Dinge, sondern gebunden an die krude Materie. Leinwand, Ölfarbe, Bronze, Papier, Kunststoff, Glas, Plexiglas oder auch ein Bildschirm: Das alles ist physische Gegenwart – und sehr wohl handelbar.
Und das wird jetzt zelebriert in den Basler Messehallen. Der grosse Jahrmarkt der Kunst in Basel ist jeweils auch eine gewaltige Materialschlacht. Die Kunst wird hier zu Markt getragen. Sie steht zum Verkauf, nicht zum Genuss. Allenfalls zum Feilschen und Abwägen. Das Ja oder Nein interessiert rein monetär. Eine kritische Beurteilung fand früher einmal statt. Zumindest bei den gestandenen Künstlernamen. Sie haben sich bereits bewährt. Hier haben sie ihren Auftritt als Labels und Marken der Kunstwelt. Hier erfüllen sie ihre gesellschaftliche Rolle als Statussymbole.
Neues zu entdecken, gibt es gleichwohl. Auch dafür ist Platz an der Art Basel. Ob eine Messe auch der richtige Ort ist? Denn das ist zumeist brutal. Nicht im Rahmen einer sorgfältig kuratierten Präsentation in den geschützten Räumen einer Galerie werden die Arbeiten junger Kunstschaffender vorgestellt. Vielmehr werden sie im Chaos der Messe mit völlig anders gearteter Kunst gezeigt. Dies verlangt der gnadenlose Mechanismus des konzentrierten Marktplatzes.
Die Kunst als schiere Masse: An über 280 Galerieständen wird sie an der Art Basel vorgeführt. Das ist eben auch eine Massenveranstaltung. Es ist die Kirmes der weltweiten Kunstszene – und auch jetzt für ein paar Tage im Juni wieder ein Wallfahrtsort, zu dem die internationale Kunst-Schickeria pilgert, als gebe es hier eine Segnung abzuholen.
Die ganz Grossen
Tatsächlich färbt Kunst auf all jene ab, die sich von ihr begeistern lassen. Die Kunstmesse ist eben auch eine beinahe religiöse Messe. Man wird Teil einer Gemeinde. Die schon von Walter Benjamin beschworene Aura des Kunstwerks greift selbst in den prosaischen Basler Messehallen mächtig um sich und auf alles über. Man ist hier von Kunst förmlich angetan.
Man ist von ihr umgeben und umgarnt. Und man ist mit ausgestellt und mitgemeint, wenn andere zum Fotografieren das iPhone zücken: Man kommt nicht umhin, sich der Kunst zuliebe etwas zu inszenieren. Das ist bisweilen etwas künstlich. Etwas zu viel der Extravaganz, der gestellten Eleganz oder der bewusst vorgeführten Nonchalance.
Die Besucher der Art Basel sind kein gewöhnliches Messepublikum. Es sind Akteure des Geschehens. Ohne sie gäbe es den Kunstmarkt nicht. Es sind die Sammler, die Kunsthändler, die Museumsdirektoren und Ausstellungskuratoren und die Agenten von gewichtigen Kunststiftungen. Hier finden sie zusammen. Man winkt, man ruft, man küsst und begrüsst sich wie alte Freunde, die sich schon ein Jahr lang nicht mehr gesehen haben. Man feiert die Kunst, gewiss. Aber man feiert auch sich selber als ein Teil dieser exklusiven Welt.
Hier wird nur das Beste vom Besten gezeigt. Die strenge Selektion sorgt dafür. Allein die renommiertesten Galerien sind mit von der Partie. Entsprechend hochkarätig ist die Kunst. Rigoros fällt auch die Auswahl bei den Besuchern aus. Man wird gestaffelt zugelassen: First Choice, Preview, Vernissage. Auslese ist vor den Toren. Gerangel auch.
Einmal durch die Sicherheitsschranken und an den Securities vorbei, gibt es Entwarnung. In der Riesenhalle des Sektors Unlimited empfangen einen die weissen Friedensfahnen von Mario Cerolis «Progetto per la pace». So viel Zeitgeist muss sein. Frieden in weltpolitisch unruhigen Zeiten ist auch dem florierenden Kunstmarkt förderlich.
Dennoch steht hinter Cerolis Flaggenfeld ein Haus in Flammen. Es ist Alex Da Cortes grüne Hütte mit sieben brennenden Neon-Fenstern. Drinnen sitzt die Puppe eines an Picasso erinnernden Künstlers am Tisch und bastelt an ihren Werken. Man späht hinein und fühlt die schöpferische Beklemmung des in seine eigene Welt brennender Phantasmen Eingesperrten.
Künstler sein ist kein leichtes Los. Wer es an die Art Basel geschafft hat, hat sich meistens verausgabt. Keith Haring etwa, die viel zu jung an Aids verstorbene amerikanische GraffitiIkone: Hier in der Hall of Fame wird an ihn mit einem 46 Meter langen Bilderfries seiner berühmten Strichmännchen erinnert.*
Oder Yayoi Kusama: Überdimensioniert ragt ihre schrill gepunktete Kürbisskulptur in den Messehimmel. Die über 90-jährige Künstlerin leidet unter Zwangsstörungen und Halluzinationen und lebt seit Jahrzehnten freiwillig in einer psychiatrischen Klinik. Dennoch gilt sie heute als eine der bedeutendsten Kunstschaffenden Japans.
Ein aufsteigender Stern ist hingegen Chiharu Shiota. Die Blicke gehen hoch zu ihrem gewaltigen Baldachin aus roten Wollfäden, der unter der Hallendecke schwebt. Mit Fadeninstallationen wie dieser ist die in Osaka geborene und heute in Berlin lebende Japanerin in den vergangenen Jahren weltberühmt geworden.
Die Unlimited ist der Vorzeigesektor der Art Basel. Man bewegt sich inmitten raumgreifender Installationskunst. Man wird von ihr räumlich ergriffen, man tritt auf sie, wenn man über das Feld von Metallplatten stakst, das vom kürzlich verstorbenen Pionier des amerikanischen Minimalismus Carl Andre stammt. Man stolpert hier über die Kunst, man tanzt beinahe mit ihr. Es ist ein atmosphärisches Erleben.
Millionengeschäft
Dichte dafür an den Messeständen. Bei der Kunsthändlerdynastie Nahmad zum Beispiel. Der Name der weltweit verzweigten Familie erscheint auf dem internationalen Kunstparkett vor allem im Zusammenhang mit hochkarätigen Werken berühmter Meister der klassischen Moderne.
Gegründet wurde das Familienunternehmen vor über einem halben Jahrhundert gleich neben der Mailänder Scala. Die Nahmads mit sephardischen Wurzeln stammen ursprünglich aus Syrien und Libanon. Heute zählt die Kunsthandlung zu den mächtigsten Secondary-Market-Galerien der Welt.
Am Stand der Nahmads ist kein Durchkommen. Preise werden erfragt. So etwa für Alexander Calders in der Mitte des Raums thronendes Blechobjekt in Rot und Schwarz von 1967. Dem amerikanischen Mobile-Erfinder richtet das LAC in Lugano gerade eine Retrospektive aus. Hier in Basel kann man eines seiner raren Werke käuflich erstehen: für 7,5 Millionen Dollar.
Ringsum an den Wänden hängen Frauenporträts von Picasso: Ein Kleinod mit dem Konterfei seiner Geliebten Marie-Thérèse Walter hat den Jahrgang 1937. Wo sonst sieht man noch so frühe Werke des grossen Meisters auf einer Messe? Für 17 Millionen Dollar kann man es sogar mit nach Hause nehmen.
Die renommierten Galerien haben das Allerbeste für die Art Basel zurückgehalten. Das sieht man in der Koje von Zwirner, wo die grossen Namen der amerikanischen Nachkriegskunst verhandelt werden: neben Roy Lichtenstein und Jean-Michel Basquiat etwa Tom Wesselmann mit einem seiner «Great American Nudes» für 5,5 Millionen Dollar.
Wesselmanns knalligem weiblichem Akt stiehlt höchstens der «Hirte» des frühen Baselitz die Schau. Das Gemälde von 1965 stammt aus der berühmten Heldenbilder-Serie, als der Künstlerfürst seine Figuren noch nicht kopfüber darstellte. 10 Millionen Euro werden für das Werk aus einer deutschen Privatsammlung genannt.
Wie ein kleines Museum mutet die perfekt inszenierte Koje von Landau Fine Art an. Hier vergisst man trotz Menschengewühl die Geschäftigkeit des Kunstmarkts für eine Weile. Nirgends sonst kann man so nah an Alberto Giacomettis vier kleine Figuren auf einem Podest herantreten. Die Intimität täuscht indes. Bei der Bronzeplastik von 1950, von der es eine andere Variante im Kunsthaus Zürich gibt, dreht sich alles um Distanz.
Das Werk mit den vier grazilen Frauenfiguren auf trapezförmigem Sockel geht auf eine traumwandlerische Vision Giacomettis zurück, die er in seinem Pariser Stammbordell hatte. Dort, im Foyer, machte er die Erfahrung der Unnahbarkeit, die sein Verlangen von den Prostituierten trennte. Das Objet de Désir kostet jetzt bei Landau 9,75 Millionen Dollar.
Die Art Basel wurde Anfang der siebziger Jahre vom inzwischen verstorbenen Basler Kunsthändler, Sammler und Museumsgründer Ernst Beyeler mitinitiiert. In dessen Fondation Beyeler galt vor zwei Jahren eine grossangelegte Ausstellung der Gigantin der modernen amerikanischen Malerei Georgia O’Keeffe. Ihr begegnet man jetzt am Stand von Hauser & Wirth wieder. Ein weisser Himmel mit weissem Mond schlägt einen in seinen Bann. Einen konzentrierteren Ausdruck könnte ein Landschaftsbild kaum haben. 13,5 Millionen Dollar kostet dieses ungewöhnliche, beinahe abstrakte Querformat von 1966.
Von ähnlich berückender Reduktion ist hier nur noch ein stilles Interieur mit einer Frau vor einem Spiegel. Es stammt vom dänischen Maler Vilhelm Hammershøi (1864–1916), dem Vermeer der aufkommenden Moderne. Bereits in den ersten Messestunden wurde es für 4,5 Millionen Euro weitergereicht.
Die Galerie Hauser & Wirth zeigt an ihrer soeben eröffneten Basler Adresse in einem Altstadthaus gleich beim Kunstmuseum eine berückende Schau von Hammershøi mit rund 15 Gemälden aus Privatsammlungen (bis 13. Juli). Das ist der pure Kontrast: hier Kontemplation in stillen, gedämpft erleuchteten Galerieräumen, da der Klamauk des geschäftigen Basler Kunstmesserummels.
Die Besucher der Art Basel sind kein gewöhnliches Messepublikum. Es sind Akteure des Geschehens. Ohne sie gäbe es den Kunstmarkt nicht.