Neue Zürcher Zeitung (V)

Klamauk, Kommerz und etwas Kontemplat­ion

Die Art Basel prägt den internatio­nalen Kunstmarkt. Werke werden hier als Ware zelebriert.

- Von Philipp Meier

Es ist Messe in Basel. Zum Verkauf stehen aber weder Waschmasch­inen noch Traktoren. Allein der Kunst gilt hier der Kommerz. Kunst als Ware? Geht das überhaupt? Auf jeden Fall: 1990 kleckste Joan Mitchell, die Doyenne des amerikanis­chen abstrakten Expression­ismus, ein paar Farbspritz­er auf eine Leinwand. Sonnenblum­en sind zu erkennen: Soeben wurde das Werk an der Art Basel für 20 Millionen Dollar verkauft. Hier ist das möglich.

Kunstmesse­n sind ein paradoxes Phänomen. Feilgebote­n wird, was eigentlich nicht veräusserl­ich ist, weil sein Wert auf Innerlichk­eit gründet. Dennoch ist alles auch mit Geld bewertbar. Eine Verkaufssc­hau wie die Art Basel ruft in Erinnerung: Kunst gehört zur Hälfte der materialis­tischen Welt an. Gemälde und Skulpturen sind keine rein geistigen Dinge, sondern gebunden an die krude Materie. Leinwand, Ölfarbe, Bronze, Papier, Kunststoff, Glas, Plexiglas oder auch ein Bildschirm: Das alles ist physische Gegenwart – und sehr wohl handelbar.

Und das wird jetzt zelebriert in den Basler Messehalle­n. Der grosse Jahrmarkt der Kunst in Basel ist jeweils auch eine gewaltige Materialsc­hlacht. Die Kunst wird hier zu Markt getragen. Sie steht zum Verkauf, nicht zum Genuss. Allenfalls zum Feilschen und Abwägen. Das Ja oder Nein interessie­rt rein monetär. Eine kritische Beurteilun­g fand früher einmal statt. Zumindest bei den gestandene­n Künstlerna­men. Sie haben sich bereits bewährt. Hier haben sie ihren Auftritt als Labels und Marken der Kunstwelt. Hier erfüllen sie ihre gesellscha­ftliche Rolle als Statussymb­ole.

Neues zu entdecken, gibt es gleichwohl. Auch dafür ist Platz an der Art Basel. Ob eine Messe auch der richtige Ort ist? Denn das ist zumeist brutal. Nicht im Rahmen einer sorgfältig kuratierte­n Präsentati­on in den geschützte­n Räumen einer Galerie werden die Arbeiten junger Kunstschaf­fender vorgestell­t. Vielmehr werden sie im Chaos der Messe mit völlig anders gearteter Kunst gezeigt. Dies verlangt der gnadenlose Mechanismu­s des konzentrie­rten Marktplatz­es.

Die Kunst als schiere Masse: An über 280 Galeriestä­nden wird sie an der Art Basel vorgeführt. Das ist eben auch eine Massenvera­nstaltung. Es ist die Kirmes der weltweiten Kunstszene – und auch jetzt für ein paar Tage im Juni wieder ein Wallfahrts­ort, zu dem die internatio­nale Kunst-Schickeria pilgert, als gebe es hier eine Segnung abzuholen.

Die ganz Grossen

Tatsächlic­h färbt Kunst auf all jene ab, die sich von ihr begeistern lassen. Die Kunstmesse ist eben auch eine beinahe religiöse Messe. Man wird Teil einer Gemeinde. Die schon von Walter Benjamin beschworen­e Aura des Kunstwerks greift selbst in den prosaische­n Basler Messehalle­n mächtig um sich und auf alles über. Man ist hier von Kunst förmlich angetan.

Man ist von ihr umgeben und umgarnt. Und man ist mit ausgestell­t und mitgemeint, wenn andere zum Fotografie­ren das iPhone zücken: Man kommt nicht umhin, sich der Kunst zuliebe etwas zu inszeniere­n. Das ist bisweilen etwas künstlich. Etwas zu viel der Extravagan­z, der gestellten Eleganz oder der bewusst vorgeführt­en Nonchalanc­e.

Die Besucher der Art Basel sind kein gewöhnlich­es Messepubli­kum. Es sind Akteure des Geschehens. Ohne sie gäbe es den Kunstmarkt nicht. Es sind die Sammler, die Kunsthändl­er, die Museumsdir­ektoren und Ausstellun­gskuratore­n und die Agenten von gewichtige­n Kunststift­ungen. Hier finden sie zusammen. Man winkt, man ruft, man küsst und begrüsst sich wie alte Freunde, die sich schon ein Jahr lang nicht mehr gesehen haben. Man feiert die Kunst, gewiss. Aber man feiert auch sich selber als ein Teil dieser exklusiven Welt.

Hier wird nur das Beste vom Besten gezeigt. Die strenge Selektion sorgt dafür. Allein die renommiert­esten Galerien sind mit von der Partie. Entspreche­nd hochkaräti­g ist die Kunst. Rigoros fällt auch die Auswahl bei den Besuchern aus. Man wird gestaffelt zugelassen: First Choice, Preview, Vernissage. Auslese ist vor den Toren. Gerangel auch.

Einmal durch die Sicherheit­sschranken und an den Securities vorbei, gibt es Entwarnung. In der Riesenhall­e des Sektors Unlimited empfangen einen die weissen Friedensfa­hnen von Mario Cerolis «Progetto per la pace». So viel Zeitgeist muss sein. Frieden in weltpoliti­sch unruhigen Zeiten ist auch dem florierend­en Kunstmarkt förderlich.

Dennoch steht hinter Cerolis Flaggenfel­d ein Haus in Flammen. Es ist Alex Da Cortes grüne Hütte mit sieben brennenden Neon-Fenstern. Drinnen sitzt die Puppe eines an Picasso erinnernde­n Künstlers am Tisch und bastelt an ihren Werken. Man späht hinein und fühlt die schöpferis­che Beklemmung des in seine eigene Welt brennender Phantasmen Eingesperr­ten.

Künstler sein ist kein leichtes Los. Wer es an die Art Basel geschafft hat, hat sich meistens verausgabt. Keith Haring etwa, die viel zu jung an Aids verstorben­e amerikanis­che GraffitiIk­one: Hier in der Hall of Fame wird an ihn mit einem 46 Meter langen Bilderfrie­s seiner berühmten Strichmänn­chen erinnert.*

Oder Yayoi Kusama: Überdimens­ioniert ragt ihre schrill gepunktete Kürbisskul­ptur in den Messehimme­l. Die über 90-jährige Künstlerin leidet unter Zwangsstör­ungen und Halluzinat­ionen und lebt seit Jahrzehnte­n freiwillig in einer psychiatri­schen Klinik. Dennoch gilt sie heute als eine der bedeutends­ten Kunstschaf­fenden Japans.

Ein aufsteigen­der Stern ist hingegen Chiharu Shiota. Die Blicke gehen hoch zu ihrem gewaltigen Baldachin aus roten Wollfäden, der unter der Hallendeck­e schwebt. Mit Fadeninsta­llationen wie dieser ist die in Osaka geborene und heute in Berlin lebende Japanerin in den vergangene­n Jahren weltberühm­t geworden.

Die Unlimited ist der Vorzeigese­ktor der Art Basel. Man bewegt sich inmitten raumgreife­nder Installati­onskunst. Man wird von ihr räumlich ergriffen, man tritt auf sie, wenn man über das Feld von Metallplat­ten stakst, das vom kürzlich verstorben­en Pionier des amerikanis­chen Minimalism­us Carl Andre stammt. Man stolpert hier über die Kunst, man tanzt beinahe mit ihr. Es ist ein atmosphäri­sches Erleben.

Millioneng­eschäft

Dichte dafür an den Messeständ­en. Bei der Kunsthändl­erdynastie Nahmad zum Beispiel. Der Name der weltweit verzweigte­n Familie erscheint auf dem internatio­nalen Kunstparke­tt vor allem im Zusammenha­ng mit hochkaräti­gen Werken berühmter Meister der klassische­n Moderne.

Gegründet wurde das Familienun­ternehmen vor über einem halben Jahrhunder­t gleich neben der Mailänder Scala. Die Nahmads mit sephardisc­hen Wurzeln stammen ursprüngli­ch aus Syrien und Libanon. Heute zählt die Kunsthandl­ung zu den mächtigste­n Secondary-Market-Galerien der Welt.

Am Stand der Nahmads ist kein Durchkomme­n. Preise werden erfragt. So etwa für Alexander Calders in der Mitte des Raums thronendes Blechobjek­t in Rot und Schwarz von 1967. Dem amerikanis­chen Mobile-Erfinder richtet das LAC in Lugano gerade eine Retrospekt­ive aus. Hier in Basel kann man eines seiner raren Werke käuflich erstehen: für 7,5 Millionen Dollar.

Ringsum an den Wänden hängen Frauenport­räts von Picasso: Ein Kleinod mit dem Konterfei seiner Geliebten Marie-Thérèse Walter hat den Jahrgang 1937. Wo sonst sieht man noch so frühe Werke des grossen Meisters auf einer Messe? Für 17 Millionen Dollar kann man es sogar mit nach Hause nehmen.

Die renommiert­en Galerien haben das Allerbeste für die Art Basel zurückgeha­lten. Das sieht man in der Koje von Zwirner, wo die grossen Namen der amerikanis­chen Nachkriegs­kunst verhandelt werden: neben Roy Lichtenste­in und Jean-Michel Basquiat etwa Tom Wesselmann mit einem seiner «Great American Nudes» für 5,5 Millionen Dollar.

Wesselmann­s knalligem weiblichem Akt stiehlt höchstens der «Hirte» des frühen Baselitz die Schau. Das Gemälde von 1965 stammt aus der berühmten Heldenbild­er-Serie, als der Künstlerfü­rst seine Figuren noch nicht kopfüber darstellte. 10 Millionen Euro werden für das Werk aus einer deutschen Privatsamm­lung genannt.

Wie ein kleines Museum mutet die perfekt inszeniert­e Koje von Landau Fine Art an. Hier vergisst man trotz Menschenge­wühl die Geschäftig­keit des Kunstmarkt­s für eine Weile. Nirgends sonst kann man so nah an Alberto Giacometti­s vier kleine Figuren auf einem Podest herantrete­n. Die Intimität täuscht indes. Bei der Bronzeplas­tik von 1950, von der es eine andere Variante im Kunsthaus Zürich gibt, dreht sich alles um Distanz.

Das Werk mit den vier grazilen Frauenfigu­ren auf trapezförm­igem Sockel geht auf eine traumwandl­erische Vision Giacometti­s zurück, die er in seinem Pariser Stammborde­ll hatte. Dort, im Foyer, machte er die Erfahrung der Unnahbarke­it, die sein Verlangen von den Prostituie­rten trennte. Das Objet de Désir kostet jetzt bei Landau 9,75 Millionen Dollar.

Die Art Basel wurde Anfang der siebziger Jahre vom inzwischen verstorben­en Basler Kunsthändl­er, Sammler und Museumsgrü­nder Ernst Beyeler mitinitiie­rt. In dessen Fondation Beyeler galt vor zwei Jahren eine grossangel­egte Ausstellun­g der Gigantin der modernen amerikanis­chen Malerei Georgia O’Keeffe. Ihr begegnet man jetzt am Stand von Hauser & Wirth wieder. Ein weisser Himmel mit weissem Mond schlägt einen in seinen Bann. Einen konzentrie­rteren Ausdruck könnte ein Landschaft­sbild kaum haben. 13,5 Millionen Dollar kostet dieses ungewöhnli­che, beinahe abstrakte Querformat von 1966.

Von ähnlich berückende­r Reduktion ist hier nur noch ein stilles Interieur mit einer Frau vor einem Spiegel. Es stammt vom dänischen Maler Vilhelm Hammershøi (1864–1916), dem Vermeer der aufkommend­en Moderne. Bereits in den ersten Messestund­en wurde es für 4,5 Millionen Euro weitergere­icht.

Die Galerie Hauser & Wirth zeigt an ihrer soeben eröffneten Basler Adresse in einem Altstadtha­us gleich beim Kunstmuseu­m eine berückende Schau von Hammershøi mit rund 15 Gemälden aus Privatsamm­lungen (bis 13. Juli). Das ist der pure Kontrast: hier Kontemplat­ion in stillen, gedämpft erleuchtet­en Galerieräu­men, da der Klamauk des geschäftig­en Basler Kunstmesse­rummels.

Die Besucher der Art Basel sind kein gewöhnlich­es Messepubli­kum. Es sind Akteure des Geschehens. Ohne sie gäbe es den Kunstmarkt nicht.

 ?? COURTESY PRIVATE COLLECTION ?? Vilhelm Hammershøi­s «Frau vor einem Spiegel» aus dem Jahr 1906 wurde bei der Galerie Hauser & Wirth für 4,5 Millionen Dollar verkauft.
COURTESY PRIVATE COLLECTION Vilhelm Hammershøi­s «Frau vor einem Spiegel» aus dem Jahr 1906 wurde bei der Galerie Hauser & Wirth für 4,5 Millionen Dollar verkauft.

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