Neue Zürcher Zeitung (V)

Die Ausgrenzun­g entmündigt die Wähler

- MARC FELIX SERRAO, BERLIN

Die CDU hat ihre nächste «Brandmauer»-Diskussion, und dieses Mal dürfte es der Parteizent­rale deutlich schwerer fallen, die erwünschte Kontaktspe­rre von Berlin aus durchzuset­zen. Gegen das Verbot einer Zusammenar­beit mit der AfD hat bisher niemand in der Partei ernsthaft aufbegehrt, aber beim Bündnis Sahra Wagenknech­t (BSW) kippt die Stimmung. Für die deutsche Politik sind das gute Neuigkeite­n: nicht weil Frau Wagenknech­t vernünftig­e Vorstellun­gen hätte, sondern weil der Wählerwill­e bei der Regierungs­bildung nur noch eingeschrä­nkt zur Geltung kommt.

Im Herzen der Demokratie steht der Machtverlu­st. Der Souverän kann seine Regierung, wenn er unzufriede­n ist, auswechsel­n. In Deutschlan­d ist dieses Prinzip durch die Brandmauer­n de facto ausser Kraft gesetzt. Wer bei der nächsten Bundestags­wahl beispielsw­eise CDU wählt, weil er sich eine Korrektur der linken Politik wünscht und SPD und Grüne deshalb nicht mehr in der Regierung sehen will, der wird eine von beiden Parteien mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit dennoch als Juniorpart­ner in der nächsten Koalition wiedersehe­n.

Die erhoffte bürgerlich­e Korrektur der Politik wird sodann zu weiten Teilen ausfallen, weil SPD wie Grüne ihre roten Linien ziehen werden. Wo diese liegen, demonstrie­ren beiden Parteien täglich. Eine echte Steuerung der illegalen Masseneinw­anderung wird es mit den Grünen beispielsw­eise genauso wenig geben wie eine Korrektur der verkorkste­n Energiewen­de oder ein Ende fragwürdig­er gesellscha­ftlicher Experiment­e wie des Selbstbest­immungsges­etzes. Und Einschnitt­e in den ausufernde­n Sozialstaa­t werden die Sozialdemo­kraten nicht mittragen. Das Ergebnis wäre in dem einen wie dem anderen Fall eine Fortsetzun­g der heutigen Politik, mit ein paar bürgerlich­en Nuancen zur Beruhigung der CDU-Wähler.

Gewiss, Kompromiss­e gehören zur Demokratie, aber die Berücksich­tigung der Mehrheitsv­erhältniss­e gehört eigentlich auch dazu. Union und AfD hätten nach derzeitige­m Stand eine satte Mehrheit im Parlament. Das ist kein Plädoyer für ein solches Bündnis, sondern die blosse Feststellu­ng, dass der Souverän in Deutschlan­d klar rechts der Mitte steht. Doch die Brandmauer der Christlich­demokraten sichert den etablierte­n linken Parteien ihren Platz an der Macht. Fragt sich nur, wie lange noch.

Falls das Bündnis von Frau Wagenknech­t bei den ostdeutsch­en Landtagswa­hlen im Herbst tatsächlic­h so stark abschneide­t, wie die Umfragen vermuten lassen, dann wird die CDU-Brandmauer zum linken Rand sehr wahrschein­lich schneller zerbröseln, als man gucken kann. Schon jetzt äussern sich etliche führende Christlich­demokraten in diesem Sinne, und das nicht nur im Osten. Hendrik Wüst, Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen und stets zur Stelle, wenn es darum geht, seinem Parteivors­itzenden das Leben schwer zu machen, hat bereits erklärt, dass er den lieben Parteifreu­nden in Sachsen, Thüringen und Brandenbur­g in dieser Frage keine Ratschläge geben wolle.

CDU-Chef Friedrich Merz war da gerade erst gefragt worden, ob er denn bereit sei, über eine Zusammenar­beit mit dem Bündnis Sahra Wagenknech­t nachzudenk­en, um so einen AfD-Ministerpr­äsidenten im Osten zu verhindern. Seine Antwort: «Das ist völlig klar, das haben wir auch immer gesagt. Wir arbeiten mit solchen rechtsextr­emen und linksextre­men Parteien nicht zusammen.» Frau Wagenknech­t sei sogar beides: «in einigen Themen rechtsextr­em, in anderen wiederum linksextre­m».

Diese Worte sind nun in der Welt, und sie werden die Diskussion über den Sinn und Zweck christlich­demokratis­cher Brandmauer­n befeuern. Denn wenn die CDU im Herbst tatsächlic­h mit der nach Frau Wagenknech­t benannten und ganz auf sie ausgericht­eten Partei zusammenko­mmt – wo und in welcher Form auch immer –, dann verhilft sie einer nach den Worten des Parteichef­s extremisti­schen Politikeri­n an die Macht.

Wie will Herr Merz die andere Brandmauer in diesem Fall noch rechtferti­gen? Ist ein politische­s Extrem wirklich weniger gefährlich als ein anderes? Oder sind die als Extremiste­n gebrandmar­kten Wettbewerb­er, von den unstreitig­en Fällen mal abgesehen, am Ende gar nicht alle extrem? Haben sie nur grundlegen­d andere Vorstellun­gen von Politik als jene, für die die Brandmauer­n bis jetzt eine Art Versicheru­ngspolice darstellen? Es gibt auch Bürger, die Meldestell­en für unliebsame Meinungen für extrem halten oder die freie Geschlecht­swahl für Minderjähr­ige.

Natürlich wäre ein Bündnis mit dem Team Wagenknech­t mit erhebliche­n Risiken verbunden, von einer Zusammenar­beit mit der AfD ganz zu schweigen. In den Parteien der Ränder gibt es deutlich mehr fragwürdig­e Gestalten als anderswo. Aber die Alternativ­e – eine fortgesetz­te Ausgrenzun­g – ist angesichts des grossen Zuspruchs, vor allem im Osten, riskanter. Sie entmachtet den Souverän. Die CDU hat sich mit ihren Brandmauer­n einbetonie­rt und das Land gleich mit. Jetzt bröckelt es. Allein dafür kann man Frau Wagenknech­t schon dankbar sein.

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