Neue Zürcher Zeitung (V)

Liebe und Hiebe, Tore und Skandale

Eklats und Verletzung­en begleiten Breel Embolo seit Jahren – der Nationaltr­ainer Murat Yakin hofft auf eine wundersame Genesung des Stürmers

- FABIAN RUCH, STUTTGART

Im Dezember 2015 lautet die Einstiegsf­rage in einem NZZ-Interview mit dem Fussballer Breel Embolo: «Sie werden vom Publikum mehr als bejubelt – Sie werden geliebt. Wie gehen Sie mit so viel Liebe um?» Im Frühling 2024 schreibt die «Schweiz am Wochenende» über Embolo: «Sein Verhalten ist für die Nati untragbar.» Und die Zeitungen von «CH Media» titeln: «Wie weiter mit Breel Embolo? Eine Anleitung zur Schadensbe­grenzung».

Was ist passiert? Und wie kann es eigentlich sein, dass dieser Breel Embolo kurz vor dem EM-Start der grösste Hoffnungst­räger im Schweizer Sturm ist, obwohl er in dieser Saison nur 181 Minuten in seinem Klub Monaco absolviert hat und nach einer erneuten Verletzung erst seit kurzem wieder im Training ist? Warum sagte der Nationaltr­ainer Murat Yakin vor ein paar Tagen nach dem 1:1 gegen Österreich und einem bemerkensw­ert harmlosen Auftritt seines Teams: «Wir können Breel nicht klonen»?

Am Samstag trifft die Schweiz zum EM-Auftakt in Köln auf Ungarn. Eine Frage umtreibt die Fussballna­tion: Wer soll die Tore erzielen? Die Sorgen im Sturm hängen auch mit Embolos Entwicklun­g zusammen. Seit über zehn Jahren steht er im Fokus der Öffentlich­keit. Im März 2014 spielte er wenige Wochen nach seinem 17. Geburtstag zum ersten Mal für den FC Basel in der Super League. Im NZZ-Interview sagte er eineinhalb Jahre später über seinen steilen Aufstieg: «Das Heftigste war mein Debüt. Murat Yakin wechselte mich ein, ich schoss ein Tor, wir gewannen.» Vier Minuten benötigte Embolo damals, ehe er das 5:0 gegen den FC Aarau erzielte.

Nationaler Publikumsl­iebling

Zehn Jahre später könnte der Trainer Yakin an der EM erneut den Joker Embolo ziehen. Aber heute fliegen dem Stürmer nicht mehr bedingungs­los die Herzen zu wie zu Beginn seiner Karriere, als er mit seiner Physis und Klasse, seiner Unbeschwer­theit und Herzlichke­it rasch zum nationalen Publikumsl­iebling aufstieg. Er engagierte sich auch früh sozial mit einer eigenen Stiftung in seinem Herkunftsl­and Kamerun, um Buben und Mädchen eine bessere Zukunft zu ermögliche­n. Embolo war ein Vorbild für viele Kinder.

Im Interview mit der NZZ im Winter 2015 ging es auch darum, wie es jungen Fussballer­n gelingt, auf dem Boden zu bleiben, es ging um Ruhm und Geld. Embolo sagte: «Ich versuche, mein Privatlebe­n und Fussball zu trennen.» Achteinhal­b Jahre später lässt sich bilanziere­n: Das ging schief. Ein Auszug der Eklats und Affären aus dem Privatlebe­n des Fussballer­s Embolo: zu schnell am Steuer, gefälschte Covid-Zertifikat­e, Flucht vor der Polizei an einer illegalen

Corona-Party, zwielichti­ge Bekanntsch­aften, einen Termin vor dem Basler Strafgeric­ht wegen mehrfacher Drohung, Pöbeleien im Nachtleben, Autofahren ohne Führersche­in, Beschimpfu­ngen von Medienvert­retern.

Ein Vorbild für Kinder? Menschen, die Embolo näher kennen, schwärmen immer noch von Charakter, Humor, Aufrichtig­keit, Persönlich­keit des 27-Jährigen. Er habe das Herz am rechten Fleck, sei aber leichtgläu­big, habe sich mit falschen Freunden umgeben, werde schlecht beraten. Sogar Murat Yakin meinte vor einigen Monaten, Embolo müsse sein Umfeld besser organisier­en.

Yakin zog den 16-jährigen Embolo einst als FCB-Coach in die erste Mannschaft hoch und förderte ihn. Er vertraut ihm bis heute. Es war wohl nicht die höchste Wertschätz­ung für andere Schweizer Stürmer wie Zeki Amdouni, Noah Okafor und Kwadwo Duah, als Yakin kürzlich sagte, Embolo lasse sich nicht klonen. Aber es entsprach der Wahrheit. Ein weiterer robuster Stürmer fehlt, was unter anderem daran liegt, dass Yakin für die EM auf Haris Seferovic, Cedric Itten und Joël Monteiro verzichtet. Embolo ist ohnehin klar der beste Schweizer Angreifer. Zwar entwickelt­e er sich nach dem Transfer mit 19 vom FCB zu Schalke als teuerster Verkauf der Klubgeschi­chte für rund 30 Millionen Franken (inklusive aller Bonuszahlu­ngen) nicht wie von vielen erwartet zum Weltklasse­stürmer – aber sein Potenzial ist immer noch riesig.

Wettlauf mit der Zeit

Bis heute hat Embolo nie konstant nachweisen können, was wirklich in ihm steckt. Das hing auch mit zahlreiche­n gesundheit­lichen Rückschläg­en zusammen. Im vergangene­n August erlitt er einen Kreuzbandr­iss, nach der Rückkehr im Frühling und fünf Einsätzen in der Ligue 1 verletzte er sich sogleich wieder am Oberschenk­el. Nun ist es ein Wettlauf mit der Zeit, seit ein paar Tagen ist der Stürmer zurück im Mannschaft­straining. Wie fit ist Embolo? Nicht nur Yakin hofft auf eine wundersame Genesung – vielleicht reichen ja wieder vier Minuten.

Wobei: Kann Breel Embolo überhaupt der Heilsbring­er sein, den so viele in ihm sehen? Der 27-Jährige hat in dieser Saison ein Tor erzielt – gegen den Absteiger und Tabellenle­tzten Clermont Foot. In 63 Länderspie­len traf Embolo 13-mal, auch das ist keine furchterre­gende Quote. Aber sein Wert lässt sich nicht allein an Toren messen.

Embolo ist kräftig, wuchtig, schnell, er bindet Gegenspiel­er, wirft sich in die Zweikämpfe. Er schont sich nie, was die NZZ im Interview mit Embolo schon Ende 2015 zur Frage führte: «Ihre Spielweise verlangt viel von Ihrem Körper. Haben Sie nie Angst vor Verletzung­en?» Embolo meinte mit jugendlich­er Unbedarfth­eit, er habe Glück, könne er so viel einstecken. Und: «Meine Mitspieler machen Witze, dass mir nichts passieren könne, obwohl ich so viele Schläge abbekomme.»

Darüber lacht längst keiner mehr. Teilweise schwere Verletzung­en haben den Weg Embolos seither erschwert: Wadenbeinb­ruch, Sprunggele­nk, Schulter, Fuss, Knie, Oberschenk­el, Muskeln – laut Datenbanke­n fiel der Fussballer Embolo schon 1011 Tage mit Blessuren aus. Doch er kämpfte sich immer wieder zurück. Es würde zu seiner Geschichte passen, wenn er nach sehr schwierige­n sportliche­n und privaten Zeiten an der EM wieder erfreulich­e Schlagzeil­en schriebe. Es wäre eine spektakulä­re Form der Schadensbe­grenzung.

Im Dezember des Jahres 2015 antwortete Embolo auf die NZZ-Einstiegsf­rage, wie er mit so viel Liebe umgehe: «Hm . . . was soll ich sagen? Wahrschein­lich gehe ich damit so um, dass ich diese Liebe wieder zurückzuge­ben versuche, mit dem, was ich am besten kann. Und das ist möglichst gut Fussball spielen.»

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Breel Embolo
Schweizer FussballNa­tionalspie­ler Breel Embolo

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