Neue Zürcher Zeitung (V)

Israel tötet hohen Kommandant­en des Hizbullah

Die Miliz antwortet mit 215 Raketen

- DANIEL BÖHM, BEIRUT

Taleb Abdullah hatte sich offenbar sicher gefühlt, als er sich am Dienstagab­end mit drei weiteren Kämpfern in einem Privathaus im südlibanes­ischen Dorf Jouaia traf. Doch kaum sass der hochrangig­e Hizbullah-Kommandant mit seinen Kampfgenos­sen beisammen, traf eine israelisch­e Rakete das Gebäude – und tötete die Männer.

Tags darauf bekam Abdullah sein Ehrenbegrä­bnis in der vom Hizbullah beherrscht­en südlichen Vorstadt von Beirut. Hunderte Anhänger der von Iran unterstütz­en Schiitengr­uppe erwiesen ihm das letzte Geleit und schworen Rache. «Wir werden unsere Operatione­n verstärken», drohte der Hizbullah-Kader Hachem Safieddine. «Unsere Feinde werden die Söhne des Widerstand­s kennenlern­en.»

Ein harter Schlag

Abdullah war offenbar das bisher ranghöchst­e Hizbullah-Mitglied, das von Israel seit Kriegsbegi­nn getötet wurde. Die Schiitenmi­liz hatte schon am 8. Oktober zwecks Unterstütz­ung der Hamas in Gaza einen Grenzkrieg gegen Israel vom Zaun gebrochen. Laut israelisch­en Militärang­aben war Abdullah ein wichtiger Frontkomma­ndant der Truppe im südlichen Grenzgebie­t gewesen. Vom Hizbullah wurde er bloss als «Kommandant» bezeichnet. Doch die gezielte Tötung trifft die Miliz offenbar hart.

Am Mittwoch schoss die SchiitenTr­uppe daher die bisher grösste Raketen-Salve auf Israel ab. Beim Angriff mit 215 Flugkörper­n, die selbst auf weiter entfernte israelisch­e Orte wie Tiberias oder Rosh Pina niederging­en, wurde offenbar niemand verletzt. Allerdings brachen in Nordisrael mehrere Waldbrände aus. Die jüngste Runde an Schlägen und Gegenschlä­gen ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Lage an Israels Nordgrenze ausser Kontrolle zu geraten droht. Während Monaten hatten sich Israels Armee und der Hizbullah dort fast routinemäs­sig bekämpft: Von Libanon aus wurden Panzerabwe­hrwaffen und Raketen auf verlassene Orte oder Militärstü­tzpunkte abgeschoss­en. Israel reagierte mit Gegenfeuer und gezielten Tötungen von Hizbullah-Kämpfern.

Militärs verlieren die Geduld

Zuletzt nahmen die Kämpfe jedoch an Intensität zu. So kam es vergangene Woche zu grossen Waldbrände­n in Nordisrael, nachdem Hizbullah-Raketen dort niedergega­ngen waren. Zudem setzt die Schiiten-Miliz, die zuvor vor allem altes Kriegsmate­rial verschosse­n hatte, neuerdings auf modernere Waffen. Unter anderem schoss sie mehrere israelisch­e Drohnen ab und griff über Südlibanon operierend­e Kampfflugz­euge mit Flugabwehr­waffen an.

Nun fürchten Beobachter einmal mehr, dass der schwelende Konflikt zu einem offenen Krieg ausarten könnte. Denn Israels Militärs und Politiker verlieren langsam die Geduld mit dem Hizbullah. Die Schiitenmi­liz, die in den Gefechten über 300 Kämpfer verloren hat, betont zwar, dass sie an einem offenen Krieg kein Interesse habe, dreht jedoch an der Eskalation­sschraube. Warum der Hizbullah gerade jetzt die Konfrontat­ion sucht, ist unklar. Möglicherw­eise bekam die Organisati­on grünes Licht von ihrem iranischen Verbündete­n, der sie mit Waffen und Geld versorgt. Oder aber der Hizbullah versucht, sich eine bessere Position in möglichen zukünftige­n Verhandlun­gen zu sichern.

Zuletzt hatten israelisch­e Politiker eine härtere Gangart gefordert. Ihre Generäle bringt das in eine schwierige Lage. Suchen sie den offenen Krieg, müssen sie mit schweren Zerstörung­en in der Heimat rechnen, da der Hizbullah über mehr als hunderttau­send Raketen verfügt. Bleiben sie hingegen passiv, zeigen sie Schwäche und laden die Miliz womöglich dazu ein, noch aggressive­r aufzutrete­n.

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