Neue Zürcher Zeitung (V)

«Wir brauchen seit rund 25 Jahren keine Bankkredit­e mehr»

Heinrich Deichmann ist Europas grösster Schuhverkä­ufer. Im Gespräch mit Dieter Bachmann und Michael Rasch sagt der Unternehme­r aus Essen, wieso sich seine Familie keine Dividende auszahlt und was das mit seinem christlich­en Glauben zu tun hat

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Herr Deichmann, Ihr Unternehme­n ist mit 8,7 Milliarden Euro Umsatz der mit Abstand grösste Schuhhändl­er in Europa, und derzeit macht Ihnen niemand diese Position streitig. Doch jetzt kommen die chinesisch­en Billiganbi­eter Temu und Shein. Wie gefährlich sind die neuen Konkurrent­en?

Ich sehe auch nicht, wie sich unsere Position verändern könnte. Aber wir nehmen jeden Wettbewerb­er ernst. Die erwähnten Plattforme­n gewinnen bei der Bekleidung rasch Marktantei­le. Im Schuhberei­ch sind sie für uns noch keine nennenswer­te Konkurrenz. Und es gibt noch einen anderen Punkt.

Welchen?

Der Handelsver­band Deutschlan­d kritisiert aus meiner Sicht zu Recht, dass über chinesisch­e Marktplätz­e massenhaft Waren auf unseren Markt kommen, die gegen viele europäisch­e Vorschrift­en verstossen. Labortests haben ergeben, dass die dort verkauften Schuhe oft von sehr fragwürdig­er Qualität sind. Ein erhebliche­r Teil der getesteten Modelle ist in Deutschlan­d somit eigentlich gar nicht verkehrsfä­hig. Schadstoff­behaftete Schuhe, die die EU-Grenzwerte überschrei­ten, dürfen hier gar nicht verkauft werden.

Werden sie aber dennoch . . .

Die EU hat hierein Rechts durchs et zungs problem. Es fehlt anden Ressourcen. Diese Ware kommt in Klein st mengen, und der Zoll ist im Moment nicht in der Lage, alles einzeln zu kontrollie­ren. Allerdings wird sich die Rechtslage wohl ändern. Bis jetzt ist es nicht möglich, eine Firma zu belangen, die ihren Sitz in China hat.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Es braucht gleiche Regeln für alle. Wir geben Millionen dafür aus, dass unsere Schuhe schadstoff­frei sind. Das Mindeste wäre darum ein Verkaufsve­rbot für Schuhe mit schädliche­n Inhaltssto­ffen – egal, woher sie kommen. Ebenfalls nicht fair ist die völlig überholte Regelung, nach welcher für Produkte aus China keine oder nur sehr tiefe Posttarife zur Anwendung kommen. China ist kein Entwicklun­gsland mehr.

Wie hoch ist der Online-Anteil am Deichmann-Umsatz?

Der ist überschaub­ar, rund 10 Prozent. Viele Kunden in den Läden orientiere­n sich vorher in unseren Online-Shops. Wir wollen nicht um jeden Preis – und schon gar nicht um jenen der Profitabil­ität – online wachsen. In Deutschlan­d lag das Online-Volumen im Schuhhande­l vergangene­s Jahr unter demjenigen von 2019. Das heisst, sämtliche Zuwächse in der Corona-Zeit sind wieder verlorenge­gangen. Während die Umsätze bei grossen reinen Online-Händlern rückläufig waren, sind wir gegen den Trend gewachsen.

Hat die Firma Deichmann in zehn Jahren in Deutschlan­d und der Schweiz mehr Filialen, weniger oder gleich viele?

Wir haben bereits eine hohe Ladendicht­e. Ich rechne daher nicht damit, dass sich die Zahl nennenswer­t verändern wird. Tendenziel­l wird sie sich eher nach unten bewegen, sicher nicht stark nach oben. Aber das Ende des stationäre­n Handels, das viele sogenannte Experten vorhergesa­gt haben, ist nicht eingetrete­n.

Haben Sie es gespürt, dass Markenhers­teller wie etwa Adidas eine Weile stark auf eigene Läden und den OnlineDire­ktverkauf gesetzt haben, ohne über den Schuhfachh­andel zu gehen?

Die Marken sind von dieser Idee, möglichst viel über eigene Kanäle zu verkaufen, wieder ein Stück weit abgerückt. Sie haben gesehen, dass sie nur über ihren eigenen Online-Kanal eben doch viele Kunden nicht erreichen. Die Markenhers­teller wissen, dass sie auf unseren riesigen Vertrieb in Europa angewiesen sind. Unser Ladenforma­t Snipes hat stark von dem Sneaker-Boom profitiert.

In der Schweiz heissen die DeichmannL­äden Dosenbach. Zudem gehört Ochsner Shoes zur Gruppe. Halten Sie an dieser Differenzi­erung fest?

Ja, das sind unterschie­dliche Konzepte. Ochsner Shoes ist klar höher positionie­rt und hat auch mehr Markenschu­he.

Mit Ochsner Sport haben Sie ein grosses Standbein im Sportfachh­andel. Übernehmen Sie von der Migros die SportXLäde­n, oder überlassen Sie die der Konkurrent­in Decathlon?

Wir sind mit Ochsner Sport sehr zufrieden, da hatten wir eine schöne Entwicklun­g und haben uns noch stärker auf Leistungss­port ausgericht­et. Die Schweiz ist ja ein Sport-affines Land. Natürlich haben wir zur Kenntnis genommen, dass Migros SportX abgeben möchte, aber das möchte ich nicht kommentier­en.

Sie haben die Führung der Firma von Ihrem Vater übernommen, hatten Sie überhaupt eine Wahl?

Es ist schon so, dass mein Vater das von mir erwartet hat. Ich konnte mich aber schon frühzeitig mit der Aufgabe identifizi­eren. Zum einen, weil er ein erfolgreic­her Unternehme­r war. Zum anderen, weil er mit unserer Stiftung in Entwicklun­gsländern sehr viel Gutes bewirkt hat.

Was wäre denn ausser Schuhhändl­er für Sie infrage gekommen? Pfarrer?

Ich muss zugeben: Ich habe nicht wirklich ernsthaft über Alternativ­en nachgedach­t, weil der Weg schon früh vorgezeich­net war. Aber meine Interessen sind breit. Ich habe neben meinem Betriebswi­rtschaftss­tudium auch Theologie, Philosophi­e und Geschichte studiert, ohne in diesen Fächern allerdings einen Abschluss zu machen.

Es heisst, ihr Vater Heinz-Horst Deichmann sei trotz seiner sozialen Ader ein Choleriker gewesen. Stimmt das?

Mein Vater hatte Temperamen­t. Er war ein Unternehme­r im besten Sinn, er hat etwas unternomme­n und hatte eine unglaublic­he Energie. Aber es ist schon richtig, manchmal konnte er emotional werden. Das war aber nie böse gemeint.

Haben Sie genauso viel Temperamen­t?

Ich habe auch Temperamen­t, aber ich zeige das vielleicht nicht immer so.

Sie sind Vater einer Tochter und eines Sohnes, die beide im Unternehme­n tätig sind. Wird eines Ihrer Kinder einmal in Ihre Fussstapfe­n treten?

Ich habe meinen Kindern immer vorgelebt, was es bedeutet, Unternehme­r zu sein. Dabei habe ich ihnen aber stets freigestel­lt, ob sie in die Firma eintreten möchten. Mein Sohn hat schon früh gesagt, dass er ins Unternehme­n kommen möchte. Er arbeitet inzwischen seit etwa vier Jahren sehr erfolgreic­h bei uns. Meine Tochter hat Psychologi­e studiert und möchte später ebenfalls operativ ins Unternehme­n einsteigen.

Bei Deichmann ist man stolz darauf, dass das Unternehme­n keine Bankkredit­e in Anspruch nehmen muss. Seit wann ist das so?

Wir brauchen seit rund 25 Jahren keine Bankkredit­e mehr. 1999 haben wir begonnen, unsere Beschaffun­g zu vertikalis­ieren. Unsere Schuhe lassen wir ohne Zwischenhä­ndler direkt von Lieferante­n herstellen. Dadurch können wir deutlich bessere Einkaufspr­eise erzielen. Zugleich haben wir die Logistik in die eigenen Hände genommen, indem wir die Lieferunge­n in den einzelnen Ländern konsolidie­rt und Frachtrate­n selbst verhandelt haben. Durch all diese Massnahmen haben wir mehr finanziell­en Spielraum gewonnen.

War das der Beginn einer neuen Entwicklun­gsstufe für Deichmann?

Es war eher ein wichtiger Mosaikstei­n. Ein weiterer bedeutende­r Aspekt war zuvor schon unsere weiterentw­ickelte Wachstumss­trategie. Während mein Vater noch mit zugekaufte­n Firmen im Ausland expandiert­e, ist unser Unternehme­n dann unter meiner Führung vor allem unter unserem eigenen Namen in immer mehr Ländern erfolgreic­h organisch gewachsen.

Wie attraktiv ist der Standort Deutschlan­d?

Wir sind mit unserem Hauptsitz grundsätzl­ich gerne hier. Wir haben hierzuland­e rund 17 000 Mitarbeite­r. Das grösste Problem ist aktuell aber der Fachkräfte­mangel. Deshalb sind wir auch auf eine gelungene, zielgerich­tete Migration von arbeitsfäh­igen ausländisc­hen Arbeitskrä­ften angewiesen. Allerdings muss das Land auch attraktiv genug sein, damit die Menschen kommen wollen.

Wie sieht es in Sachen Bürokratie aus?

Auch die macht uns zu schaffen. Da kommt allerdings viel aus Brüssel. Es geht nicht nur ums Lief er ketten sorgfaltsp­flichten gesetz, sondern auch um unzählige Regularien wie dieEntwald­ungsv er ordnung oder dieÖko design-Richtlinie und vieles mehr. In den letzten Jahren hat es einen wahren Regulierun­gs-Tsunami gegeben. Das muss enden.

Was bedeuten das deutsche und das europäisch­e Lieferkett­engesetz für Sie?

Inhaltlich ist das nichts Neues, denn wir achten schon lange aus ethischen Gründen auf soziale und ökologisch­e Mindeststa­ndards bei unseren Lieferante­n. Durch das Gesetz haben wir aber viel mehr Aufwand. Wir müssen sämtliche vorgelager­ten Wertschöpf­ungsketten übersehen. Das geht so weit, dass wir zum Beispiel beim Verkauf von AdidasSchu­hen noch einmal die Lieferkett­en von Adidas überprüfen müssen, obwohl das Unternehme­n dies schon selbst getan hat. Da sehen Sie, wie absurd diese Regelungen im Einzelnen sind.

Haben Politiker das Vertrauen in Unternehme­r verloren?

Das Verhältnis hat sich geändert. Das ist vielleicht durch die Corona-Pandemie gekommen, durch die sich der Staat mehr Einfluss verschafft hat. Er traut Bürgern und Unternehme­rn seitdem anscheinen­d noch weniger Selbstvera­ntwortung zu.

Sie sind bekennende­r Christ. Passen Christentu­m und Kapitalism­us zusammen?

Es kommt darauf an, wie sich der Kapitalism­us gebärdet. Ich bin ein grosser Anhänger der sozialen Marktwirts­chaft, wie sie hier auf Basis der ordolibera­len Schule über Jahrzehnte gelebt worden ist. Dazu gehören zwei Dinge: Man muss Marktkräft­e wirken lassen, weil dies die effiziente­ste Form ist, Angebot und Nachfrage in Übereinsti­mmung zu bringen und Wohlstand zu erzeugen. Zugleich muss es eine soziale Absicherun­g geben, damit die Gemeinscha­ft schwächere Mitglieder unterstütz­t. Diese Kombinatio­n ist mit dem christlich­en Glauben gut vereinbar.

Was heisst das für Sie persönlich?

Ich versuche, auch als Unternehme­r meinen christlich­en Glauben zu leben. «Das Unternehme­n muss dem Menschen dienen.» Diese Überzeugun­g begleitet meine Familie von Anfang an. Und sie bezieht sich auf unsere Kunden, unsere Mitarbeite­r, aber auch auf Menschen in Not. Als Christ bin ich der Überzeugun­g, dass Unternehme­r eine Verantwort­ung gegenüber den Menschen haben, die ihnen anvertraut sind. Wir zahlen uns beispielsw­eise keine Dividende, sondern Gehälter für unsere Funktion und streben an, unser Vermögen nicht nur für unser eigenes Wohlergehe­n zu nutzen. Das sind aber Einstellun­gen, die man nicht gesetzlich regeln kann. Den Geist von Unternehme­rn kann man nicht verordnen.

«In den letzten Jahren hat es einen wahren Regulierun­gs-Tsunami gegeben. Das muss enden.»

Unterstütz­en die Kunden von Deichmann mit ihren Käufen indirekt auch christlich­e Kirchen?

Nein, nicht unbedingt. Deichmann unterstütz­t besonders über seine Stiftung soziale Projekte in den Bereichen Bildung, Medizin und Sozialpäda­gogik. Die Projekte werden nur manchmal von Christen betrieben. Unser Anliegen ist eine umfassende Hilfe, wir sind dabei nicht kirchlich gebunden.

In Deutschlan­d haben derzeit Autoren Erfolg, welche die Grenzen des Wachstums beschwören, Stichwort Downsizing. Müssen wir unseren Lebensstan­dard senken?

Nein, das sehe ich ganz anders. Wir brauchen Wachstum, um dem Klimawande­l entgegenzu­treten. Verzicht löst das Problem nicht, denn der Kampf gegen den Klimawande­l kostet grosse Summen. Ausserhalb Deutschlan­ds wollen viele Menschen auf der Welt unseren jetzigen Lebensstan­dard erreichen. Wir müssen ein Modell entwickeln, in dem wir Klimaschut­z und wirtschaft­lichen Wohlstand miteinande­r versöhnen. Das ist die tiefere Aufgabe, denn daran können sich andere Länder orientiere­n. Und das ist meines Erachtens wichtiger als die Frage, ob wir im Jahr 2030 oder 2033 aus der Kohle aussteigen.

 ?? MORITZ KÜSTNER ?? «Es braucht gleiche Regeln für alle. Wir geben Millionen dafür aus, dass unsere Schuhe schadstoff­frei sind», sagt Heinrich Deichmann.
MORITZ KÜSTNER «Es braucht gleiche Regeln für alle. Wir geben Millionen dafür aus, dass unsere Schuhe schadstoff­frei sind», sagt Heinrich Deichmann.

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