Benny Gantz dürfte sich verrechnet haben
Am Sonntagabend trat ein, was sich schon lange angebahnt hatte: Benny Gantz gab seinen Rücktritt aus dem israelischen Kriegskabinett bekannt, jenem Gremium, mit dem er gemeinsam mit Ministerpräsident Netanyahu und Verteidigungsminister Gallant das Land durch den Krieg führen sollte. In den Tagen nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober war er dem Kabinett beigetreten, um trotz seiner erbitterten Rivalität zu Netanyahu Einigkeit zu demonstrieren – und den Einfluss von dessen rechtsextremen Koalitionspartnern abzuschwächen.
Die ruhige, besonnene Art des Ex-Generals inmitten all des Chaos erweckte bei vielen Israeli Vertrauen und Zuversicht. Bald wiesen ihn die Umfragen als den beliebtesten Politiker im Land aus, während Netanyahu abstürzte. Auch gegen aussen galt Gantz als Stimme der Mässigung und der Vernunft. Im Weissen Haus wurde er als vertrauenswürdiger Ansprechpartner geschätzt, während Joe Biden den opportunistischen Netanyahu lieber auf Distanz hielt.
Nach allem, was man weiss, war Gantz vor allem an zwei Entscheidungen massgeblich beteiligt: Einerseits konnte er Gallant und die Armeeführung zu Beginn des Krieges von der Idee eines Präventivschlags gegen den libanesischen Hizbullah abbringen. Anderseits überzeugte er Netanyahu im November von der Notwendigkeit eines Abkommens zur Befreiung von 105 Geiseln.
Dennoch blieb Gantz eine blasse Figur. Er konnte nie eine effektive Führungsrolle einnehmen. Im Kriegskabinett sprach man bald nicht mehr miteinander, weil Netanyahu wichtige Entscheidungen immer wieder aufschob und sich auf seinen politischen Überlebenskampf fokussierte. Derweil wurde Gantz in den Netanyahu-treuen Medien als Bremser und Zögerer dargestellt, der einer härteren Gangart in Gaza im Weg stehe. Fortan trug Gantz seine Kritik zunehmend an die Öffentlichkeit, warf Netanyahu vor, persönliche Interessen über jene des Landes zu stellen. Bis zuletzt weibelte er erfolglos für ein erneutes Abkommen zur Freilassung von Geiseln.
Insofern ist es verständlich, dass Gantz nun abtritt – wer im Zentrum der Macht nichts erreicht, kann von aussen vielleicht mehr bewirken. Das Kalkül des 65-Jährigen ist klar: Er will den Zusammenbruch der Netanyahu-Regierung und damit Neuwahlen erwirken, um dereinst selbst den Kurs in diesem Krieg zu korrigieren und das Land in eine sicherere Zukunft zu führen.
Doch der Knall, den er von seinem Rücktritt wohl erhofft hatte, blieb aus. Niemand ging auf die Strasse, um Benny Gantz zu unterstützen. Er konnte auch keine Abweichler aus Netanyahus Likud mit sich ziehen, nicht einmal den hadernden Verteidigungsminister Gallant. Vielmehr weist derzeit vieles darauf hin, dass sich Gantz verrechnet hat.
Natürlich ist es gut möglich, dass Netanyahus rechts-religiöse Koalition eher früher als später zusammenbricht – sei dies, weil sich der Ministerpräsident doch noch zu einem Geiselabkommen durchringt und sich deshalb mit seinen rechtsextremen Ministern überwirft, oder weil der Streit um die Dienstpflicht für Ultraorthodoxe eskaliert. Doch selbst wenn es irgendwann zu Neuwahlen kommt, ist ein Sieg von Benny Gantz alles andere als garantiert.
Netanyahu ist nicht nur ein politischer Überlebenskünstler, sondern auch einer, der im Wahlkampf mit harten Bandagen antritt. Er wird Gantz als einen Schwächling darstellen, der Israel in seiner schwersten Stunde im Stich gelassen und die Einigkeit im Land torpediert hat. Netanyahu selbst wird sich hingegen als aufopfernden Einzelkämpfer präsentieren, der gegen alle Widerstände von innen und aussen nie seine Prinzipien verraten hat.
Vorerst wird der Abgang von Gantz aber vor allem bewirken, dass die Hardliner in Netanyahus Koalition ihren Einfluss ausbauen und dem Ministerpräsidenten noch mehr Zugeständnisse abringen können. Die israelische Regierung wird dadurch noch unberechenbarer, während der internationale Druck auf Israel weiter zunehmen dürfte. So hat Benny Gantz womöglich mehr Schaden angerichtet als abgewendet.
Netanyahu wird Gantz als einen Schwächling darstellen, der Israel in seiner schwersten Stunde im Stich gelassen hat.