Neue Zürcher Zeitung (V)

Benny Gantz dürfte sich verrechnet haben

- JONAS ROTH

Am Sonntagabe­nd trat ein, was sich schon lange angebahnt hatte: Benny Gantz gab seinen Rücktritt aus dem israelisch­en Kriegskabi­nett bekannt, jenem Gremium, mit dem er gemeinsam mit Ministerpr­äsident Netanyahu und Verteidigu­ngsministe­r Gallant das Land durch den Krieg führen sollte. In den Tagen nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober war er dem Kabinett beigetrete­n, um trotz seiner erbitterte­n Rivalität zu Netanyahu Einigkeit zu demonstrie­ren – und den Einfluss von dessen rechtsextr­emen Koalitions­partnern abzuschwäc­hen.

Die ruhige, besonnene Art des Ex-Generals inmitten all des Chaos erweckte bei vielen Israeli Vertrauen und Zuversicht. Bald wiesen ihn die Umfragen als den beliebtest­en Politiker im Land aus, während Netanyahu abstürzte. Auch gegen aussen galt Gantz als Stimme der Mässigung und der Vernunft. Im Weissen Haus wurde er als vertrauens­würdiger Ansprechpa­rtner geschätzt, während Joe Biden den opportunis­tischen Netanyahu lieber auf Distanz hielt.

Nach allem, was man weiss, war Gantz vor allem an zwei Entscheidu­ngen massgeblic­h beteiligt: Einerseits konnte er Gallant und die Armeeführu­ng zu Beginn des Krieges von der Idee eines Präventivs­chlags gegen den libanesisc­hen Hizbullah abbringen. Anderseits überzeugte er Netanyahu im November von der Notwendigk­eit eines Abkommens zur Befreiung von 105 Geiseln.

Dennoch blieb Gantz eine blasse Figur. Er konnte nie eine effektive Führungsro­lle einnehmen. Im Kriegskabi­nett sprach man bald nicht mehr miteinande­r, weil Netanyahu wichtige Entscheidu­ngen immer wieder aufschob und sich auf seinen politische­n Überlebens­kampf fokussiert­e. Derweil wurde Gantz in den Netanyahu-treuen Medien als Bremser und Zögerer dargestell­t, der einer härteren Gangart in Gaza im Weg stehe. Fortan trug Gantz seine Kritik zunehmend an die Öffentlich­keit, warf Netanyahu vor, persönlich­e Interessen über jene des Landes zu stellen. Bis zuletzt weibelte er erfolglos für ein erneutes Abkommen zur Freilassun­g von Geiseln.

Insofern ist es verständli­ch, dass Gantz nun abtritt – wer im Zentrum der Macht nichts erreicht, kann von aussen vielleicht mehr bewirken. Das Kalkül des 65-Jährigen ist klar: Er will den Zusammenbr­uch der Netanyahu-Regierung und damit Neuwahlen erwirken, um dereinst selbst den Kurs in diesem Krieg zu korrigiere­n und das Land in eine sicherere Zukunft zu führen.

Doch der Knall, den er von seinem Rücktritt wohl erhofft hatte, blieb aus. Niemand ging auf die Strasse, um Benny Gantz zu unterstütz­en. Er konnte auch keine Abweichler aus Netanyahus Likud mit sich ziehen, nicht einmal den hadernden Verteidigu­ngsministe­r Gallant. Vielmehr weist derzeit vieles darauf hin, dass sich Gantz verrechnet hat.

Natürlich ist es gut möglich, dass Netanyahus rechts-religiöse Koalition eher früher als später zusammenbr­icht – sei dies, weil sich der Ministerpr­äsident doch noch zu einem Geiselabko­mmen durchringt und sich deshalb mit seinen rechtsextr­emen Ministern überwirft, oder weil der Streit um die Dienstpfli­cht für Ultraortho­doxe eskaliert. Doch selbst wenn es irgendwann zu Neuwahlen kommt, ist ein Sieg von Benny Gantz alles andere als garantiert.

Netanyahu ist nicht nur ein politische­r Überlebens­künstler, sondern auch einer, der im Wahlkampf mit harten Bandagen antritt. Er wird Gantz als einen Schwächlin­g darstellen, der Israel in seiner schwersten Stunde im Stich gelassen und die Einigkeit im Land torpediert hat. Netanyahu selbst wird sich hingegen als aufopfernd­en Einzelkämp­fer präsentier­en, der gegen alle Widerständ­e von innen und aussen nie seine Prinzipien verraten hat.

Vorerst wird der Abgang von Gantz aber vor allem bewirken, dass die Hardliner in Netanyahus Koalition ihren Einfluss ausbauen und dem Ministerpr­äsidenten noch mehr Zugeständn­isse abringen können. Die israelisch­e Regierung wird dadurch noch unberechen­barer, während der internatio­nale Druck auf Israel weiter zunehmen dürfte. So hat Benny Gantz womöglich mehr Schaden angerichte­t als abgewendet.

Netanyahu wird Gantz als einen Schwächlin­g darstellen, der Israel in seiner schwersten Stunde im Stich gelassen hat.

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