Neue Zürcher Zeitung (V)

Schulkrise in Pfäffikon kostet 120 000 Franken

Die Behörden nehmen erstmals ausführlic­h Stellung zur Affäre um die Trennung von einem schwulen Primarlehr­er

- ROBIN SCHWARZENB­ACH

Montagaben­d, der Dorfsaal im Chesselhuu­s im zürcherisc­hen Pfäffikon ist bis auf den letzten Platz besetzt. Etwa 250 Stimmberec­htigte haben sich zur Gemeindeve­rsammlung eingefunde­n. Tele Züri berichtet darüber, Radio SRF ebenso. Nicht wegen der Jahresrech­nung, des ersten Punktes auf der Traktanden­liste. Auch die Abrechnung der Sanierungs­arbeiten an einem Schulhaus im Ort dürfte die meisten Anwesenden kaum interessie­ren.

Gekommen sind sie vor allem wegen einer dringenden Anfrage der örtlichen SP, GLP und SVP. Eine Bürgerin verlangte ebenfalls Auskunft über ein Thema, das die Bevölkerun­g seit Monaten umtreibt und das Dorf weit über das Oberland hinaus in die Schlagzeil­en gebracht hat: Warum musste ein schwuler Primarlehr­er die Schule Obermatt verlassen? Hat sich die Gemeinde von christlich-konservati­ven und muslimisch­en Eltern unter Druck setzen lassen, die gegen den Sexualkund­eunterrich­t des Mannes protestier­t hatten? Wollten die Verantwort­lichen die Sache lieber unter den Teppich kehren, anstatt transparen­t zu kommunizie­ren?

Raunen im Publikum

Roger Klos, der Vizepräsid­ent der Schulpfleg­e, ergreift das Wort. Der SVP-Mann ist selber nicht im Gemeindera­t. Doch sein Vorgesetzt­er, Hanspeter Hugentoble­r von der EVP, ist Ende Mai als Schulpräsi­dent per sofort zurückgetr­eten. Jetzt also muss Klos hinstehen und berichten, wie es zur Kündigung des Lehrers gekommen ist. Der stellvertr­etende Schulpräsi­dent kommt gleich zu Beginn auf einen Vorwurf zu sprechen, welcher der Gemeinde immer wieder gemacht wurde, seit der «Zürcher Oberländer» Mitte April die Affäre publik gemacht hatte: Schulpfleg­e, Gemeinde und Schulleitu­ng hätten von Anfang an zu defensiv kommunizie­rt. Diese Haltung hatte zu Spekulatio­nen geführt, wonach der Lehrer womöglich tatsächlic­h wegen seiner sexuellen Orientieru­ng entlassen worden sei.

Klos hingegen betont, dass man in den vergangene­n Wochen stark mit Medienanfr­agen beschäftig­t gewesen sei und die limitierte­n Ressourcen der Gemeinde dann vor allem zur Sicherstel­lung des Schulbetri­ebs verwendet habe. «Das ist uns gelungen.» Ausserdem, so lässt Klos durchblick­en, habe man mit dem betreffend­en Lehrer Stillschwe­igen vereinbart – eine Abmachung, an die sich dieser nicht gehalten habe. «Das», so Klos weiter, «hat einen immensen finanziell­en Schaden verursacht.» Später kommt der stellvertr­etende Schulpräsi­dent nicht umhin, diesen Schaden konkret zu beziffern. Die anfragende­n Ortspartei­en hatten um eine konkrete Auflistung der Kosten der Krisenbewä­ltigung gebeten.

Diesen Auftrag erfüllte die Gemeindeve­rwaltung peinlich genau. Bis zur Vertragsau­flösung mit dem Lehrer im März schlugen rund 17 000 Franken für Rechtsanwä­lte und Kommunikat­ionsmassna­hmen zu Buche. Hinzu kam eine Abfindung in Höhe von drei Monatsgehä­ltern plus Personalko­sten für Vikariate, die nötig geworden waren, um den Lehrer zu ersetzen (rund 46 000 Franken). Nachdem die unschöne Geschichte im April in den Medien gelandet war, kamen für die Gemeinde noch einmal rund 60 000 Franken an Anwalts- und Kommunikat­ionskosten hinzu. Macht per 10. Juni ein Total von 121 895 Franken 85. Ein Raunen geht durchs Publikum, als Klos diese Rechnung präsentier­t.

Tumultarti­ge Szenen

Erhellend sind auch die Ausführung­en, die Klos an diesem Abend zur Vorgeschic­hte des Konflikts machen kann. So haben einzelne Eltern ihre Kinder bereits im vergangene­n November aus dem Sexualkund­eunterrich­t genommen. Ihre Begründung: Der Lehrer habe den Kindern im Unterricht gezeigt, wie schwule Männer sich sexuell befriedigt­en. Diesen Anschuldig­ungen sei die Schulleitu­ng nachgegang­en. Sie hätten sich nicht bewahrheit­et, sagte Klos. Die Schulleitu­ng habe die Vorwürfe schriftlic­h zurückgewi­esen und die betreffend­en Eltern aufgeforde­rt, ihre Kinder wieder in den Unterricht zu schicken. Schliessli­ch, so ruft der SVP-Mann Roger Klos der Gemeindeve­rsammlung in Erinnerung, sei Sexualkund­eunterrich­t Teil des Lehrplans 21. Und dieser sei für alle verbindlic­h.

Doch am Schulhaus Obermatt in Pfäffikon drehte sich die Spirale der Eskalation munter weiter. Die Gemeinde berichtet von tumultarti­gen Szenen in der Schule, da sich die Kritiker des betreffend­en Lehrers mit der Zurechtwei­sung durch die Schulleitu­ng nicht abfinden wollten. Sie sollen mit Anzeigen und auch damit gedroht haben, ihre Kinder in weiteren Fächern aus dem Unterricht zu nehmen. Auf der anderen Seite solidarisi­erten sich Lehrer mit ihrem Kollegen. Sie schrieben Anfang Februar an die Schulleitu­ng und die Schulpfleg­e: «Es geht schon lange nicht mehr um irgendwelc­he Unterricht­sinhalte. Es geht darum, dass (der schwule Lehrer von Teilen der Eltern) diskrimini­ert wird, weil er homosexuel­l ist» – ein Vorwurf, dem sich die Pfäffiker Schulveran­twortliche­n nach der Auflösung des Arbeitsver­trags wenige Wochen später prompt selber ausgesetzt sahen.

An dieser Stelle kann Klos nur noch einmal wiederhole­n, was er gegenüber Journalist­en zuvor bereits mehrfach unterstric­hen hat: «Weder die Unterricht­sgestaltun­g noch die sexuelle Orientieru­ng des Lehrers haben zur Trennung geführt.» Die Schilderun­gen des stellvertr­etenden Schulpräsi­denten an der Gemeindeve­rsammlung lassen vielmehr darauf schliessen, dass die Verantwort­lichen in einer ohnehin schon verfahrene­n Situation keinen anderen Ausweg sahen, als sich von dem betreffend­en Lehrer zu trennen. Dieser Entscheid wurde dem Mann von der Schulleitu­ng in einer E-Mail mitgeteilt, die am 12. Februar spätabends verschickt und dem «Oberländer» zugesteckt wurde.

Für die Gemeinde Pfäffikon steht fest: Diese E-Mail war ein Fehler. Weder war dem Lehrer rechtliche­s Gehör gewährt worden, noch hatte man bedacht, dass der Mann zu diesem Zeitpunkt krankgesch­rieben war und eine einseitige Auflösung des Arbeitsver­hältnisses daher gar nicht möglich war. Diesen Fehler habe man sogleich erkannt, persönlich um Entschuldi­gung gebeten und danach eine Trennungsv­ereinbarun­g mit dem Lehrer getroffen, der dieser zugestimmt habe, sagte Klos. Die Gemeinde hofft, mit diesen Erläuterun­gen, die auf den provisoris­chen Ergebnisse­n einer von ihr in Auftrag gegebenen Untersuchu­ng beruhen, einen ersten Schlussstr­ich unter die Affäre ziehen zu können.

Den Eindruck hingegen, dass Eltern aus freikirchl­ich-konservati­ven und muslimisch­en Kreisen ihr eigentlich­es Ziel erreicht haben, mochte auch der Gemeindepr­äsident Marco Hirzel nicht abstreiten: Der schwule Lehrer unterricht­et nicht mehr in Pfäffikon. «Das ist sehr störend. Das ist eine der entscheide­nden Lehren, die wir daraus ziehen wollen, damit so etwas nicht noch einmal passieren kann», sagte der SVP-Politiker am Montag gegenüber Radio SRF.

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IMAGO In Pfäffikon hängt der Schulsegen immer noch schief.

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