Neue Zürcher Zeitung (V)

Russland nimmt Bürgenstoc­k-Konferenz ins Visier

Der Kampf um die Deutung des Treffens am Wochenende läuft schon

- LUKAS MÄDER, GEORG HÄSLER, BERN

Die Attacken des Kremls auf die Bürgenstoc­k-Konferenz haben bereits begonnen. Die internatio­nale Konferenz in der Schweiz vom Wochenende ist in den russischen Medien immer wieder ein Thema. Die gemeinsame Aussage der Berichte: Die Konferenz sei unwichtig und verfehle ihr Ziel. In den letzten Tagen vermeldete­n verschiede­ne Medien akribisch, wer der Konferenz alles eine Absage erteilt hat: Bolivien, Pakistan, der Präsident Brasiliens und natürlich der Uno-Generalsek­retär António Guterres. Auf dem russischen Staatssend­er RT ist ein amerikanis­cher Experte zu sehen, der die Konferenz als bereits im Vorfeld gescheiter­t bezeichnet.

Der Kreml selbst betont, dass es bei der Ukraine-Konferenz nicht um Frieden gehe. Vielmehr würden sich dort die Waffenlief­eranten Kiews vereinen, sagt die Kommunikat­ionschefin des russischen Aussenmini­steriums, Maria Sacharowa. Der Kremlsprec­her Dmitri Peskow sagte zudem, dass sich die Schweiz von ihrer Neutralitä­t wegbewege, weil sie Russland nicht eingeladen habe. Dass die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstoc­k ein Ziel russischer Informatio­nsoperatio­nen ist, zeigte sich bereits Ende Mai. Damals war Bundespräs­identin Viola Amherd in einer Sendung auf dem Ersten Kanal des russischen Fernsehens persönlich diffamiert worden.

Solche Attacken im Informatio­nsraum werden auch in den nächsten Tagen weitergehe­n. Ein beliebtes Mittel dabei sind auch sogenannte DDoS-Angriffe, bei denen Server im Internet überlastet werden. Das kann zu vorübergeh­enden Ausfällen von Websites führen, ohne dass ein bleibender Schaden entsteht. Beim Bund geht man deshalb davon aus, dass es vor, während oder auch nach der Bürgenstoc­k-Konferenz zu solchen Angriffen kommt. Die Augen sind dabei speziell auf die Gruppe NoName057 gerichtet. Diese angebliche­n Aktivisten hatten bereits im Juni vor einem Jahr Schweizer Websites mit DDoS-Angriffen ins Visier genommen.

Zerstöreri­sche Cyberattac­ken

Der Vorteil solcher DDoS-Attacken ist, dass sie ohne grossen technische­n Aufwand eine Wirkung erzielen können und dabei kaum Schaden anrichten. Sie können in der Öffentlich­keit das Bild von weitreiche­nden Angriffen auf ein Land erzeugen und die Behörden hilflos erscheinen lassen. Das kann Verunsiche­rung auslösen. Das ist NoName057 in der Schweiz vor einem Jahr gelungen.

Die grosse Frage ist, wie sehr Russland die Bürgenstoc­k-Konferenz mit weiteren Cyberaktio­nen ins Visier nimmt. Zumindest bisher hat das Bundesamt für Cybersiche­rheit (Bacs) keine erhöhte Zahl von Cyberangri­ffen auf kritische Infrastruk­turen registrier­t. Es schätzt die Bedrohungs­lage aber als erhöht ein. Klar ist, dass solche Konferenze­n immer auch Ziel von Spionageak­tionen sein können. Befinden sich so viele hochrangig­e Regierungs­vertreter auf engem Raum, bietet das eine gute Gelegenhei­t, um zu versuchen, auf deren Computer oder Mobiltelef­one zu gelangen. Solche Spionageak­tionen werden oft aber gar nicht publik.

Denkbar sind grundsätzl­ich auch zerstöreri­sche Cyberangri­ffe Russlands gegen die Konferenzi­nfrastrukt­ur oder auch kritische Infrastruk­turen der Schweiz. Ein mögliches Szenario wäre zum Beispiel, dass eine Cyberattac­ke zur Eröffnung der Konferenz Stromausfä­lle in gewissen Regionen des Landes verursacht. Oder dass die Kommunikat­ionsinfras­truktur der Konferenz gestört wird.

Bei dieser Art von Angriffen ist allerdings nicht klar, welchen Nutzen sich Moskau daraus erhoffen würde. Eine Störung des Konferenzb­etriebs würde unter den Teilnehmer­n für Unmut sorgen, was Russland eher schaden würde. Denn es nehmen voraussich­tlich auch Delegation­en von Ländern wie Indien oder Brasilien teil, die Russland nicht als gegnerisch­en Staat ansehen. Dieselbe Frage stellt sich auch bei Angriffen zum Beispiel auf das Stromnetz der Schweiz, auf die Wasservers­orgung oder gegen Verkehrssy­steme.

Wohlgesinn­te Kräfte stärken

Denkbar wären stattdesse­n opportunis­tische Angriffe: Dort, wo ein Eindringen einfach möglich ist – zum Beispiel wegen veralteter Software –, könnten die Angreifer eine Störung auslösen. Die Folgen wären aber vermutlich eher beschränkt. Russland ist stark darauf bedacht, die Konferenz kleinzured­en und als unsinnig darzustell­en. Der Kreml hätte deshalb ein Interesse daran, jene Kräfte in der Schweiz zu stärken, die Russland wohlgesinn­t sind. Dazu gehört etwa die SVP. Sie hat vor einer Woche in einer Fraktionse­rklärung dem Bundesrat vorgeworfe­n, «die bewährten Prinzipien der Schweizer Neutralitä­t preisgegeb­en» zu haben. Das Treffen auf dem Bürgenstoc­k dürfe «nicht zur einseitige­n Propaganda- und Rüstungsko­nferenz verkommen».

Diese Äusserung hat der Kreml dankbar aufgenomme­n. Der Sprecher Peskow sagte laut der Nachrichte­nagentur Tass zu den Aussagen der SVP: «Wir würden dem Argument der Partei definitiv zustimmen.» In dieses Narrativ würde es deshalb bestens passen, wenn es in der Schweiz am Wochenende zu einer Demonstrat­ion gegen die Konferenz auf dem Bürgenstoc­k kommen würde – zum Beispiel der Freiheitst­rychler. Auch Bilder von Krawallen in einer Schweizer Stadt, die wegen mangelnder Polizeikrä­fte zu Zerstörung­en führen, wären für Russland ideal.

Damit liesse sich das Narrativ eines Grabens zwischen Bevölkerun­g und der politische­n Elite verbreiten: Während die abgehobene­n Politiker gut beschützt auf dem Bürgenstoc­k sind, leidet die einfache Bevölkerun­g unter den Folgen. Solche Aktionen erscheinen zwar unwahrsche­inlich, sind aber nicht ganz ausgeschlo­ssen. So hat Russland zum Beispiel im Oktober mutmasslic­h mehrere Personen dafür bezahlt, in Berlin oder Paris Davidstern­e an Hauswände zu sprayen – was kurz nach dem Beginn des Gaza-Kriegs zu Angst vor Judenfeind­lichkeit führte. Und dass die Schweiz auch im Visier russischer Informatio­nsoperatio­nen steht, hat sich bereits in der Vergangenh­eit gezeigt.

Dass die Wirkung im Informatio­nsraum bei einem hybriden Angriff wichtiger ist als der tatsächlic­he physische Schaden, bestätigte­n auch die Vertreter der zivilen Sicherheit­sorgane im Verteidigu­ngsdeparte­ment (VBS). Vertreter der Bundesämte­r für Bevölkerun­gsschutz und Cybersiche­rheit sowie vom Nachrichte­ndienst des Bundes (NDB) orientiert­en die Medien am Dienstag in einem Fachgesprä­ch über die laufenden Vorbereitu­ngen für die Bürgenstoc­k-Konferenz.

Drei hybride Bedrohunge­n stechen laut den VBS-Vertretern heraus:

Desinforma­tion: Russland dürfte weiter alles daransetze­n, das eigene Narrativ zu verbreiten. Möglich ist dies auch mit Störmassna­hmen im Internet – wie bei den DDoS-Angriffen im Umfeld der Selenski-Rede vor einem Jahr. Damals brüstete sich die Gruppe NoName057, die hinter den Attacken stand, auf ihrem Telegram-Kanal mit Screenshot­s der ausgefalle­nen Website, gezeichnet mit der Tatze des russischen Bären.

Sabotage: Die kritischen Infrastruk­turen können physisch oder digital angegriffe­n werden. Bis jetzt ist die Lage ruhig: Weder wurde der Funkverkeh­r gestört, noch gab es Cyberattac­ken auf die Stromverso­rgung oder ähnliche Infrastruk­turen.

Spionage: Der NDB geht davon aus, dass sich unter die Delegation­en auch Angehörige von Nachrichte­ndiensten mischen werden. Versuche, Informatio­nen abzusaugen, können auch aus der Ferne geschehen: über das Internet oder das WLAN. Das Bacs hat keine Weisungsbe­fugnis, spricht aber deutliche Empfehlung­en aus und hofft auf die Eigenveran­twortung aller Akteure.

Insgesamt sind die Verantwort­lichen zuversicht­lich, alle nötigen Vorbereitu­ngen getroffen zu haben. Das Labor Spiez beobachtet sogar die Lage im Bereich Radioaktiv­ität und chemische Kampfstoff­e. Die russischen Angriffswe­llen mit Halbwahrhe­iten und Behauptung­en dagegen kann der Bund kaum abwehren. In einem freiheitli­chen Land bleibt die stärkste Abwehr gegen Desinforma­tion die Urteilskra­ft der einzelnen Bürgerinne­n und Bürger.

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URS FLÜELER / KEYSTONE Der Zugang zum Konferenzo­rt ist abgesperrt, aber im Internet sind Aktionen möglich und wahrschein­lich.

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