Russland nimmt Bürgenstock-Konferenz ins Visier
Der Kampf um die Deutung des Treffens am Wochenende läuft schon
Die Attacken des Kremls auf die Bürgenstock-Konferenz haben bereits begonnen. Die internationale Konferenz in der Schweiz vom Wochenende ist in den russischen Medien immer wieder ein Thema. Die gemeinsame Aussage der Berichte: Die Konferenz sei unwichtig und verfehle ihr Ziel. In den letzten Tagen vermeldeten verschiedene Medien akribisch, wer der Konferenz alles eine Absage erteilt hat: Bolivien, Pakistan, der Präsident Brasiliens und natürlich der Uno-Generalsekretär António Guterres. Auf dem russischen Staatssender RT ist ein amerikanischer Experte zu sehen, der die Konferenz als bereits im Vorfeld gescheitert bezeichnet.
Der Kreml selbst betont, dass es bei der Ukraine-Konferenz nicht um Frieden gehe. Vielmehr würden sich dort die Waffenlieferanten Kiews vereinen, sagt die Kommunikationschefin des russischen Aussenministeriums, Maria Sacharowa. Der Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte zudem, dass sich die Schweiz von ihrer Neutralität wegbewege, weil sie Russland nicht eingeladen habe. Dass die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock ein Ziel russischer Informationsoperationen ist, zeigte sich bereits Ende Mai. Damals war Bundespräsidentin Viola Amherd in einer Sendung auf dem Ersten Kanal des russischen Fernsehens persönlich diffamiert worden.
Solche Attacken im Informationsraum werden auch in den nächsten Tagen weitergehen. Ein beliebtes Mittel dabei sind auch sogenannte DDoS-Angriffe, bei denen Server im Internet überlastet werden. Das kann zu vorübergehenden Ausfällen von Websites führen, ohne dass ein bleibender Schaden entsteht. Beim Bund geht man deshalb davon aus, dass es vor, während oder auch nach der Bürgenstock-Konferenz zu solchen Angriffen kommt. Die Augen sind dabei speziell auf die Gruppe NoName057 gerichtet. Diese angeblichen Aktivisten hatten bereits im Juni vor einem Jahr Schweizer Websites mit DDoS-Angriffen ins Visier genommen.
Zerstörerische Cyberattacken
Der Vorteil solcher DDoS-Attacken ist, dass sie ohne grossen technischen Aufwand eine Wirkung erzielen können und dabei kaum Schaden anrichten. Sie können in der Öffentlichkeit das Bild von weitreichenden Angriffen auf ein Land erzeugen und die Behörden hilflos erscheinen lassen. Das kann Verunsicherung auslösen. Das ist NoName057 in der Schweiz vor einem Jahr gelungen.
Die grosse Frage ist, wie sehr Russland die Bürgenstock-Konferenz mit weiteren Cyberaktionen ins Visier nimmt. Zumindest bisher hat das Bundesamt für Cybersicherheit (Bacs) keine erhöhte Zahl von Cyberangriffen auf kritische Infrastrukturen registriert. Es schätzt die Bedrohungslage aber als erhöht ein. Klar ist, dass solche Konferenzen immer auch Ziel von Spionageaktionen sein können. Befinden sich so viele hochrangige Regierungsvertreter auf engem Raum, bietet das eine gute Gelegenheit, um zu versuchen, auf deren Computer oder Mobiltelefone zu gelangen. Solche Spionageaktionen werden oft aber gar nicht publik.
Denkbar sind grundsätzlich auch zerstörerische Cyberangriffe Russlands gegen die Konferenzinfrastruktur oder auch kritische Infrastrukturen der Schweiz. Ein mögliches Szenario wäre zum Beispiel, dass eine Cyberattacke zur Eröffnung der Konferenz Stromausfälle in gewissen Regionen des Landes verursacht. Oder dass die Kommunikationsinfrastruktur der Konferenz gestört wird.
Bei dieser Art von Angriffen ist allerdings nicht klar, welchen Nutzen sich Moskau daraus erhoffen würde. Eine Störung des Konferenzbetriebs würde unter den Teilnehmern für Unmut sorgen, was Russland eher schaden würde. Denn es nehmen voraussichtlich auch Delegationen von Ländern wie Indien oder Brasilien teil, die Russland nicht als gegnerischen Staat ansehen. Dieselbe Frage stellt sich auch bei Angriffen zum Beispiel auf das Stromnetz der Schweiz, auf die Wasserversorgung oder gegen Verkehrssysteme.
Wohlgesinnte Kräfte stärken
Denkbar wären stattdessen opportunistische Angriffe: Dort, wo ein Eindringen einfach möglich ist – zum Beispiel wegen veralteter Software –, könnten die Angreifer eine Störung auslösen. Die Folgen wären aber vermutlich eher beschränkt. Russland ist stark darauf bedacht, die Konferenz kleinzureden und als unsinnig darzustellen. Der Kreml hätte deshalb ein Interesse daran, jene Kräfte in der Schweiz zu stärken, die Russland wohlgesinnt sind. Dazu gehört etwa die SVP. Sie hat vor einer Woche in einer Fraktionserklärung dem Bundesrat vorgeworfen, «die bewährten Prinzipien der Schweizer Neutralität preisgegeben» zu haben. Das Treffen auf dem Bürgenstock dürfe «nicht zur einseitigen Propaganda- und Rüstungskonferenz verkommen».
Diese Äusserung hat der Kreml dankbar aufgenommen. Der Sprecher Peskow sagte laut der Nachrichtenagentur Tass zu den Aussagen der SVP: «Wir würden dem Argument der Partei definitiv zustimmen.» In dieses Narrativ würde es deshalb bestens passen, wenn es in der Schweiz am Wochenende zu einer Demonstration gegen die Konferenz auf dem Bürgenstock kommen würde – zum Beispiel der Freiheitstrychler. Auch Bilder von Krawallen in einer Schweizer Stadt, die wegen mangelnder Polizeikräfte zu Zerstörungen führen, wären für Russland ideal.
Damit liesse sich das Narrativ eines Grabens zwischen Bevölkerung und der politischen Elite verbreiten: Während die abgehobenen Politiker gut beschützt auf dem Bürgenstock sind, leidet die einfache Bevölkerung unter den Folgen. Solche Aktionen erscheinen zwar unwahrscheinlich, sind aber nicht ganz ausgeschlossen. So hat Russland zum Beispiel im Oktober mutmasslich mehrere Personen dafür bezahlt, in Berlin oder Paris Davidsterne an Hauswände zu sprayen – was kurz nach dem Beginn des Gaza-Kriegs zu Angst vor Judenfeindlichkeit führte. Und dass die Schweiz auch im Visier russischer Informationsoperationen steht, hat sich bereits in der Vergangenheit gezeigt.
Dass die Wirkung im Informationsraum bei einem hybriden Angriff wichtiger ist als der tatsächliche physische Schaden, bestätigten auch die Vertreter der zivilen Sicherheitsorgane im Verteidigungsdepartement (VBS). Vertreter der Bundesämter für Bevölkerungsschutz und Cybersicherheit sowie vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB) orientierten die Medien am Dienstag in einem Fachgespräch über die laufenden Vorbereitungen für die Bürgenstock-Konferenz.
Drei hybride Bedrohungen stechen laut den VBS-Vertretern heraus:
Desinformation: Russland dürfte weiter alles daransetzen, das eigene Narrativ zu verbreiten. Möglich ist dies auch mit Störmassnahmen im Internet – wie bei den DDoS-Angriffen im Umfeld der Selenski-Rede vor einem Jahr. Damals brüstete sich die Gruppe NoName057, die hinter den Attacken stand, auf ihrem Telegram-Kanal mit Screenshots der ausgefallenen Website, gezeichnet mit der Tatze des russischen Bären.
Sabotage: Die kritischen Infrastrukturen können physisch oder digital angegriffen werden. Bis jetzt ist die Lage ruhig: Weder wurde der Funkverkehr gestört, noch gab es Cyberattacken auf die Stromversorgung oder ähnliche Infrastrukturen.
Spionage: Der NDB geht davon aus, dass sich unter die Delegationen auch Angehörige von Nachrichtendiensten mischen werden. Versuche, Informationen abzusaugen, können auch aus der Ferne geschehen: über das Internet oder das WLAN. Das Bacs hat keine Weisungsbefugnis, spricht aber deutliche Empfehlungen aus und hofft auf die Eigenverantwortung aller Akteure.
Insgesamt sind die Verantwortlichen zuversichtlich, alle nötigen Vorbereitungen getroffen zu haben. Das Labor Spiez beobachtet sogar die Lage im Bereich Radioaktivität und chemische Kampfstoffe. Die russischen Angriffswellen mit Halbwahrheiten und Behauptungen dagegen kann der Bund kaum abwehren. In einem freiheitlichen Land bleibt die stärkste Abwehr gegen Desinformation die Urteilskraft der einzelnen Bürgerinnen und Bürger.