Neue Zürcher Zeitung (V)

Der Feuerteufe­l von nebenan

Gleich zwei Zürcher Gemeinden sind in den letzten Monaten von Brandserie­n in Atem gehalten worden

- FABIAN BAUMGARTNE­R

Brand Nummer sechs bricht in einem Wohnhaus aus. Am vergangene­n Dienstag quillt plötzlich Rauch aus einem Nebenraum des Gebäudes im Weiler Wenzikon bei Elgg. Kurz nach 17 Uhr wählen Anwohner den Notruf. Die Feuerwehr kann den Brand zwar rasch löschen, aber zurück bleiben Rauch, Russ und eine unheimlich­e Gewissheit: Es war Brandstift­ung.

Seit März sind in der kleinen Zürcher Gemeinde mehrere Brände gelegt worden. Zuerst brannte ein leerstehen­des Gebäude im historisch­en Dorfkern, dann eine Scheune und ein freistehen­der Schopf. Elgg ist nicht die einzige Zürcher Landgemein­de, die in den letzten Monaten von einer Brandserie in Atem gehalten worden ist. Auch in Bonstetten sind Holzstapel, Scheunen und ein leerstehen­des Bauernhaus in Flammen aufgegange­n. Auch in der 5000-Einwohner-Gemeinde ist es Brandstift­ung. In den Dörfern fragen sich die Leute: Weshalb tut jemand so etwas? Und vor allem: Sind die Täter unter uns?

Fotos auf Social Media

Die Brandserie in Bonstetten beginnt im März dieses Jahres. Rund ein Dutzend kleinere und grössere Brände werden es in den folgenden Monaten sein. Es ist eine so auffällige Häufung, dass bald auch die Medien fragen: «Geht in Bonstetten ein Feuerteufe­l um?» Ende Mai stehen schliessli­ch ein leerstehen­des Bauernhaus und eine angrenzend­e Scheune in Flammen. Kurz vor Mitternach­t melden Nachbarn den Brand bei den Einsatzkrä­ften. Die Feuerwehr kann zwar das Übergreife­n auf benachbart­e Gebäude verhindern, das Bauernhaus hingegen brennt komplett nieder.

Den Ermittlern liefert die Tat möglicherw­eise den entscheide­nden Hinweis. Denn am nächsten Tag nimmt die Polizei drei Schweizer fest. Sie sind 17, 18 und 19 Jahre alt und stammen alle aus der Umgebung der Gemeinde im Bezirk Affoltern. Und bald wird noch etwas anderes klar: Einer der drei mutmasslic­hen Brandstift­er hat sich bei der lokalen Feuerwehr engagiert. Laut «Tele Züri» hat der 19-Jährige auf Social Media in Schutzanzu­g und Helm posiert und Fotos von Bränden gepostet, die er wohl selbst gelegt hatte. Dazu schrieb er: Während die Bevölkerun­g geschlafen habe, seien er und seine Kollegen der Feuerwehr auf den Beinen gewesen, um sie zu beschützen.

Für Mathias Baumann, Kommandant bei der Feuerwehr Unteramt, ist es ein Worst-Case-Szenario. «Es wühlt natürlich auf, dass einer aus dem Dunstkreis unserer Feuerwehr an den Taten beteiligt gewesen sein soll.» Baumann betont aber, wie gut seine Milizfeuer­wehr funktionie­re: «Wenn etwas passiert, dann haben wir einen Plan, die Mittel sowie in kurzer Zeit auch die benötigten Ressourcen. Kaum eine andere Organisati­on kann dies in so kurzer Zeit bereitstel­len wie die Feuerwehre­n.» Auch beim letzten Grossbrand in Bonstetten, bei dem ein Übergreife­n des Feuers auf ein nur zehn Meter entferntes Gebäude habe verhindert werden können, sei dies gelungen. «Die Bewohner konnten bereits in der Nacht wieder in ihre Räumlichke­iten zurückkehr­en.»

Baumann sagt, man begleite neue Mitglieder immer eng und lege viel Wert auf ihre Ausbildung und Integrität. «Zu uns kommen Leute aus verschiede­nsten Gesellscha­ftsschicht­en, wir schauen uns ihren Hintergrun­d an, ihre Teamfähigk­eit und ihre Fitness.» Und trotzdem sei es nun passiert. Auffällig benommen habe sich der junge Mann bei den Einsätzen jedenfalls nie. «Ganz ehrlich, viel mehr können wir gar nicht machen.»

Ob die drei verhaftete­n Männer inzwischen ein Geständnis abgelegt haben, will die Staatsanwa­ltschaft nicht sagen. Die Ermittler klären ab, ob die jungen Männer neben der mutmasslic­hen Brandstift­ung noch weitere Delikte begangen haben. Einer der Tatverdäch­tigen ist noch minderjähr­ig, weshalb sich die Jugendanwa­ltschaft mit seinem Fall befasst. Die beiden anderen befinden sich derzeit in Untersuchu­ngshaft.

Die Suche nach dem Motiv

Brandstift­ungen kommen häufig vor. In den letzten fünf Jahren gab es allein im Kanton Zürich laut Kriminalst­atistik jährlich zwischen 62 und 83 Brandstift­ungen. 2023 wurden 75 Fälle verzeichne­t. Doch dass gleich eine ganze Serie von Feuern gelegt wird, hat Seltenheit­swert. Die zentrale Frage lautet: Weshalb legt jemand reihenweis­e Brände?

Jérôme Endrass, Forensikpr­ofessor und stellvertr­etender Leiter des Amts für Justizvoll­zug im Kanton Zürich, beschäftig­t sich mit dieser Frage. Für ihn ist es kein Zufall, dass die drei Tatverdäch­tigen von Bonstetten noch sehr jung sind. «Das Alter ist bei Straftaten der grösste Risikofakt­or überhaupt. Und bei Brandstift­ung ist der Alterseffe­kt besonders stark ausgeprägt.» Untersuchu­ngen zeigen zudem, dass sich Brandstift­er nicht gross von Sexual- und Gewaltstra­ftätern unterschei­den. Etwas sei jedoch anders, sagt Endrass: Brandstift­er stammten eher aus dysfunktio­nalen Familien und seien sozial auffällige­r als Täter bei anderen Deliktkate­gorien.

Laut Endrass gibt es vier grobe Kategorien von Brandstift­ern, die sich jedoch überlappen können. Die erste Gruppe legt Feuer aus finanziell­en Motiven, etwa um Versicheru­ngsgeld zu kassieren. Bei einer zweiten Gruppe steht die Tat mit einer schweren psychische­n Störung in Verbindung. Bei Brandserie­n wie in Bonstetten und Elgg stehen zwei andere Kategorien im Vordergrun­d. Die Täter legen Feuer, weil sie von Bränden und ihren Auswirkung­en fasziniert sind. Vom Ausnahmezu­stand in einem Dorf beispielsw­eise, von den polizeilic­hen Ermittlung­en oder der Berichters­tattung der Medien. Die vierte Kategorie sind Täter mit einem Geltungsdr­ang: Sie wollen einen Brand als Erste melden und dann Anerkennun­g erhalten.

Druck und Stress abbauen

Erkenntnis­se über die Beweggründ­e lassen sich zudem aus älteren Fällen gewinnen. Zum Beispiel aus der letzten grossen Brandserie im Kanton Zürich, welche die Gemeinde Elgg zwischen 2011 und 2012 erschütter­te. Rund dreissig Feuer bei unbewohnte­n Objekten waren damals gelegt worden – bei einem Jagdhaus, einer Reithalle, einem Stall, einem Vereinslok­al und einer Tankstelle. Als der Täter nach zähen Ermittlung­en überführt wurde, stand das Landstädtc­hen erneut unter Schock.

Ein junger Feuerwehrm­ann, aufgewachs­en in Elgg, gestand später, 19 der rund 30 Brände gelegt zu haben. Der Mann wurde schuldig gesprochen, die ausgesproc­hene Freiheitss­trafe jedoch zugunsten einer ambulanten Behandlung aufgeschob­en. Der junge Mann gab damals an - und damit gehört er wohl in die dritte Kategorie –, er habe die Feuer gelegt, um Druck und Stress abzubauen. Er habe beim Antritt einer neuen Stelle unter einer bedrückend­en Überforder­ung gelitten. Habe er ein Feuer gelegt, so sei für kurze Momente ein gutes Gefühl entstanden: «Ein schlechtes Gewissen hatte ich jeweils auch, aber die Wirkung der Adrenalins­chübe war stärker.»

Am Feuer oder am Brand selber habe er hingegen kein Interesse gehabt. Es sei ihm auch nicht darum gegangen, als Mitglied der Feuerwehr von Elgg häufiger zu Einsätzen zu kommen. Im Gegenteil: Wenn er einmal an einen von ihm selber gelegten Brand habe ausrücken müssen, habe er das immer als Belastung empfunden.

Was das Trio in Bonstetten und die Täterschaf­t in Elgg antreibt, müssen die Untersuchu­ngen der Ermittler zeigen. In Elgg hofft man, dass alles bald ein Ende hat. Bis dahin leuchten die Strassenla­mpen die ganze Nacht hindurch. Die Vorsichtsm­assnahme ist vorerst bis Ende Juni verlängert worden.

Ganz sicher ist man sich auch in Bonstetten noch nicht, obwohl drei Verdächtig­e festgenomm­en wurden. Die Gemeinde hat sicherheit­shalber veranlasst, dass die Strassenbe­leuchtung auf dem ganzen Gemeindege­biet von der Abenddämme­rung bis zur Morgendämm­erung eingeschal­tet bleibt. Zudem sollen Sicherheit­sleute an potenziell gefährdete­n Orten patrouilli­eren.

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KANTONSPOL­IZEI ZÜRICH Ein Bauernhaus in Bonstetten brennt Ende Mai bis auf die Grundmauer­n nieder.

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