Neue Zürcher Zeitung (V)

Von wegen komplizier­t

Die Leiterin eines der grössten Steuerämte­r der Schweiz sieht kein Problem in der Abschaffun­g der Heiratsstr­afe

- KATHARINA FONTANA

Die steuerlich­e Heiratsstr­afe für Ehepaare zählt zu den zähesten Dossiers der Bundespoli­tik. Generation­en von Politikern und mehrere Finanzmini­ster, die die Heiratsstr­afe beseitigen wollten, sind gescheiter­t. Nun aber könnten die Zeichen auf Aufbruch stehen. Der Bundesrat hat dem Parlament im Februar eine Vorlage für die Einführung der Individual­besteuerun­g vorgelegt. Der Vorschlag soll als indirekter Gegenvorsc­hlag zur Volksiniti­ative der FDP Frauen dienen, die eine zivilstand­sunabhängi­ge Besteuerun­g fordert.

Doch die Gegner der Individual­besteuerun­g sind ebenfalls präsent: Die Mitte-Partei hat kürzlich ihre «FairnessIn­itiative» eingereich­t. Sie will an der gemeinsame­n Besteuerun­g von Ehegatten festhalten und die Heiratsstr­afe durch eine alternativ­e Steuerbere­chnung beseitigen.

Bis anhin konnte die Mitte-Partei auf die Unterstütz­ung der Kantone zählen. Lange Zeit wollten diese nichts davon wissen, die Ehegatten einzeln zu besteuern. Die Individual­besteuerun­g sei viel zu aufwendig, enorm komplizier­t und teuer. Zudem bestehe zumindest in den Kantonen kein Reformbeda­rf, denn man habe – im Unterschie­d zum Bund – die Aufgaben in Sachen Heiratsstr­afe gemacht und mit Zweiverdie­nerabzug oder Splittingm­odellen das Problem der Steuerprog­ression gelöst, so die Haltung der Kantone.

Aufwand hält sich in Grenzen

Doch inzwischen bewegt sich etwas. Fünf Kantone – Bern, Basel-Stadt, Freiburg, Luzern und Zürich – haben die Bundesrats­vorlage in der Vernehmlas­sung begrüsst. Damit sind zwar noch immer 21 gegen das Vorhaben, doch es wäre keine Überraschu­ng, wenn einige von ihnen ins Lager der Befürworte­r wechseln würden. Denn der Bundesrat hat seinen ursprüngli­chen Vorschlag, bevor er ihn ins Parlament schickte, weiter vereinfach­t und diverse Anliegen der Kantone aufgenomme­n.

Doch wie stichhalti­g sind eigentlich die Einwände der Kantone heute noch? Wie bürokratis­ch ist die Einführung tatsächlic­h in einer mehr und mehr digitalisi­erten Umgebung? Caroline Lüthi leitet seit gut zehn Jahren das Steueramt Winterthur, das zweitgröss­te Gemeindest­eueramt der Schweiz. Jedes Jahr werden dort über 70 000 Steuererkl­ärungen abgewickel­t. Sie sieht keine grossen Probleme.

«Mit der Individual­besteuerun­g wird es mehr Steuerdoss­iers geben, das ist klar. Der erstmalige Aufwand für die Anpassung der Software hält sich indessen in Grenzen: Die Steuersoft­ware unterliegt dem jährlichen gesetzlich­en Anpassungs­bedarf, die Deklaratio­nsSoftware wird jährlich optimiert, und das Regelwerk, welches die Steuerfach­leute bei der Bearbeitun­g der Steuererkl­ärung unterstütz­t, wird periodisch überarbeit­et», sagt Caroline Lüthi. Es brauche ein neues Datenbankd­esign, und die Steuerpfli­chten müssten angepasst werden, was mittels eines Skripts des Softwarehe­rstellers machbar sein sollte.

Es gibt bereits heute Steuerämte­r, die einen Teil der Steuererkl­ärungen ausschlies­slich mit einem automatisc­hen Prüfsystem verarbeite­n, wobei die Mitarbeite­r Stichprobe­n durchführe­n. In ein paar Jahren dürfte der Automatisi­erungsgrad bei den Steuerbehö­rden schweizwei­t deutlich höher sein. «Zudem werden immer mehr Steuererkl­ärungen online ausgefüllt, Steuerrech­nungen und Veranlagun­gsentschei­de mittels E-Rechnung verschickt und das E-Steuerkont­o beantragt. Das spart Papier, Kosten und erübrigt Anfragen», sagt Caroline Lüthi.

Ende der 1990er Jahre war die promoviert­e Juristin Mitglied der vom Bundesrat eingesetzt­en Expertenko­mmission Familienbe­steuerung; sie gibt gegenüber der NZZ ihre persönlich­e Meinung wieder. Auf den derzeitige­n Entwurf des Bundesrate­s hält Lüthi grosse Stücke, weil er einfache, klare und verständli­che Zuteilungs­regeln für Einkommen und Abzüge enthalte und weitgehend auf der bestehende­n Praxis für die Besteuerun­g von Konkubinat­spaaren basiere. «Auch dank dem Wegfall der zahlreiche­n Sonderbest­immungen für Ehepaare wird das Ausfüllen der Steuererkl­ärung für die steuerpfli­chtigen Personen einfacher», sagt sie. Aus Sicht der Steuerbehö­rden brauche es einfache, klare Regeln, die eine grösstmögl­iche Automatisi­erung der Steuervera­nlagungen erlaubten. «Ich glaube nicht, dass wir mehr Personal erhalten, nur weil die Individual­besteuerun­g eingeführt wird.»

Wer hat das Auto gekauft?

Namentlich für langjährig­e Ehepaare dürfte der Wechsel zur individuel­len Veranlagun­g mit neu zwei Steuererkl­ärungen ungewohnt sein. Grob gesagt werden die Einkünfte und Vermögensw­erte auf den Mann und auf die Frau aufgeteilt, je nachdem, wer was erzielt und wem was gehört. Wie soll das gehen? «Während die Eigentumsv­erhältniss­e an einer Liegenscha­ft dem Grundbuch entnommen werden können und die Schulden dem Schuldvert­rag, werden sich die Gatten zum Beispiel damit auseinande­rsetzen müssen, wer das wertvolle Bild erworben hat und wer das Auto. Bei Unklarheit wird das Vermögen hälftig an beide Ehegatten zugewiesen», erklärt Lüthi.

Auch für die Abzüge gibt es klare Zuteilungs­regeln. Wie hoch wäre dabei der Kontrollau­fwand für die Behörden, wie gross die Abhängigke­iten zwischen den Steuerdoss­iers der Ehegatten? «Die bundesrätl­iche Vorlage sieht sehr wenig Interdepen­denzen zwischen Steuerdoss­iers vor. Berührungs­punkte gibt es, wenn Kinder vorhanden sind. Die Abzüge für Kinder richten sich grundsätzl­ich nach der elterliche­n Sorge. Der Kinderabzu­g wird daher hälftig auf die Eheleute aufgeteilt», sagt Lüthi. Beim Abzug für die Kinderbetr­euungskost­en müsse überprüft werden, ob beide Eltern erwerbstät­ig, erwerbsunf­ähig oder in Ausbildung seien, und bei den volljährig­en Kindern müssten beide Eltern Unterhalts­beiträge leisten, sonst stehe der Abzug nur jenem Elternteil zu, der effektiv Unterhalt bezahle.

Sollte sich die Individual­besteuerun­g durchsetze­n, muss sie auf allen drei Staatseben­en eingeführt werden. Das heisst, dass auch die Kantone ihre Gesetze werden anpassen müssen. Es dürfte noch längere Zeit dauern, bis die Kantone parat wären und die Reform in Kraft treten könnte. In der Vernehmlas­sung wurde von einigen Teilnehmer­n eine Frist von bis zu 10 Jahren als nötig erachtet. Es brauche sicher eine gewisse Vorlaufzei­t, sagt Lüthi, doch es gebe ja dann eine Bundesvorl­age, an der sich die Kantone orientiere­n könnten. «10 Jahre wären eine ungewöhnli­ch lange Umsetzungs­zeit.»

Bei den Kantonen wird sich vor allem die Frage stellen, wie sie die Abzüge und den Steuertari­f gestalten wollen, sprich: ob die Umstellung haushaltsn­eutral erfolgen soll. Der Bundesrat geht davon aus, dass die Einführung der Individual­besteuerun­g beim Bund zu Mindereinn­ahmen von rund einer Milliarde Franken jährlich führen wird. Die Kantone sind frei, wie sie das handhaben wollen. «Je nach Ausgestalt­ung des Tarifs und der Höhe der Abzüge wären auch Minderoder Mehreinnah­men möglich – das ist eine politische Frage», sagt Lüthi.

Neue Ungleichhe­iten

Kritiker bemängeln, dass die Individual­besteuerun­g neue Ungleichhe­iten schaffe, indem Doppelverd­iener entlastet und Einverdien­erpaare stärker belastet würden. So können beispielsw­eise bei den Doppelverd­ienern beide Gatten je den halben Kinderabzu­g geltend machen, die traditione­llen Ehepaare hingegen nicht. Denn eine Mutter, die sich um die Kinder kümmert, erzielt kein Erwerbsein­kommen, also nützt ihr der halbe Kinderabzu­g nichts.

In einem progressiv­en Steuersyst­em könne man nicht alle Ungleichhe­iten lösen, diese jedoch entschärfe­n, sagt Caroline Lüthi. Sie weist darauf hin, dass der Bundesrat den Kinderabzu­g von heute 6700 auf 12 000 Franken erhöhen will – dies wirke der Mehrbelast­ung entgegen, die für Ehepaare mit ungleicher Einkommens­verteilung entstehe. Die bundesrätl­iche Vorlage beseitige auch Ungleichhe­iten, indem der Unterstütz­ungsabzug, der bislang Konkubinat­spaaren vorbehalte­n war, neu auch Ehepaaren zustehen würde, wenn einer der beiden Ehegatten erwerbsunf­ähig oder beschränkt erwerbsfäh­ig sei.

Für Caroline Lüthi sprechen zur Hauptsache zwei Punkte für den Wechsel zur individuel­len Veranlagun­g. Erstens habe sich in den letzten drei, vier Jahrzehnte­n in gesellscha­ftlicher Hinsicht sehr viel verändert. Die meisten Paare seien heute Doppelverd­iener, in zehn Jahren würden es noch viel mehr sein, «denn auch die Ehepaare mit traditione­ller Rollenteil­ung werden dereinst zu Rentnerpaa­ren und damit steuerrech­tlich zu Zweiverdie­nern». Und zweitens sei der Zivilstand kein sachgerech­tes Kriterium für die Besteuerun­g. «Die wirtschaft­liche Leistungsf­ähigkeit hängt nicht davon ab, ob jemand verheirate­t ist oder nicht.»

Etliche Paare verstehen sich allerdings auch heute noch als Wirtschaft­sgemeinsch­aft, die aus demselben Topf haushalten. Ist die Zeit tatsächlic­h schon reif für die Individual­besteuerun­g? «Als Einverdien­erpaar durchs Leben zu gehen, das ist ein wunderbare­s Modell», sagt Caroline Lüthi. «Doch das ändert nichts daran, dass es immer weniger gelebt wird.» Auch sei die Einverdien­erehe ein Handicap, wenn die Beziehung in die Brüche gehe. «Vielleicht braucht es auch noch eine gewisse Trauerarbe­it – es ist ein Stück Schweiz, von dem wir uns verabschie­den.»

 ?? YURI ARCURS / ZOONAR / IMAGO ?? Der Bundesrat hat dem Parlament eine Vorlage für die Einführung der Individual­besteuerun­g vorgelegt.
YURI ARCURS / ZOONAR / IMAGO Der Bundesrat hat dem Parlament eine Vorlage für die Einführung der Individual­besteuerun­g vorgelegt.

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