Vom Bürgenstock nach Riad
Die Schweiz wird den Friedensgipfel wohl an die Saudi weitergeben
Während sich die Schweiz auf das hochrangige Treffen mit Vertretern von über neunzig Staaten und Organisationen auf dem Bürgenstock vorbereitet, wird hinter den Kulissen über den zweiten Schritt des angestossenen Friedensprozesses verhandelt. Seit geraumer Zeit verdichten sich die Zeichen dafür, dass der eigentliche Friedensgipfel – unter Beteiligung beider Kriegsparteien – auf der Arabischen Halbinsel stattfinden könnte.
«Gemeinsame Interessen»
Bundespräsidentin Viola Amherd hat vergangene Woche am Fraktionsausflug der Mitte-Partei entsprechende Andeutungen gemacht. Man arbeite auf eine zweite Konferenz «in einem anderen Land und mit Russland» hin, sagte sie bei einem Podiumsgespräch. An einer gemeinsamen Medienkonferenz am Montag hat Aussenminister Ignazio Cassis bestätigt, dass Verhandlungen über eine mögliche Nachfolgekonferenz in vollem Gang seien. Details wollte Cassis nicht verraten. Nur so viel, dass der in der Schweiz angestossene Friedensprozess «ausserhalb der westlichen Welt» fortgeführt werden solle, in einem Land des sogenannten globalen Südens oder aber in der arabischen Welt.
Cassis hatte am vergangenen Donnerstag mit dem saudischen Aussenminister, Prinz Faisal bin Farhan, telefoniert und dabei über «gemeinsame Interessen» gesprochen, wie das saudische Aussenministerium auf der Plattform X verlauten liess. Der FDP-Aussenpolitiker Hans-Peter Portmann sagt, dass er jüngst sehr gute Signale erhalten habe. Der Zürcher Nationalrat hat erst vor kurzem eine parlamentarische Freundschaftsgruppe Schweiz - Saudiarabien ins Leben gerufen. Vertreter des Schura-Rats, eines beratenden Gremiums des saudischen Königs, haben während der Sommersession das Bundeshaus besucht.
Ob die Schweiz bei allfälligen Friedensverhandlungen in Riad noch eine Rolle spielt, ist derzeit offen. Könnte sie beratend mithelfen, einen Neutralitätsstatus für die Ukraine zu entwerfen? Die Antworten auf solche und ähnliche Fragen scheinen derzeit noch in weiter Ferne zu liegen. Die zuständigen Bundesräte Amherd und Cassis hoffen, dass am Wochenende auf dem Bürgenstock zunächst der Fahrplan für den weiteren Verlauf der Friedensbemühungen festgelegt werden kann. Die Schlusserklärung dazu ist bereits in der Konsultation zwischen den Teilnehmerstaaten.
Wettrennen um Vermittlerrolle
Saudiarabien ist nicht das einzige Land, das als Gastgeber für eine zweite Konferenz infrage kommt. China, Brasilien oder die Türkei werden immer wieder als mögliche Austragungsorte genannt. Wenige Tage vor der ersten Konferenz auf dem Bürgenstock lässt sich sagen: Die Schweiz hat es immerhin geschafft, einen Wettbewerb unter potenziellen Friedensvermittlern auszulösen. Am Schluss entscheiden ohnehin die beiden Kriegsparteien, ob und wo sie sich zusammensetzen wollen.
Ist die Schweiz bereit, den russischen Krieg in der Ukraine und mögliche Ansätze für einen Frieden zu balancieren? Und bereit, die internationale Welt der Diplomatie und der Politik zu beherbergen in einem Hotel auf dem Bürgenstock? Das sind die Fragen, die Bundesrätin Viola Amherd und Bundesrat Ignazio Cassis am Montagmorgen in Bern beantworten mussten, genauso wie Divisionär Daniel Keller, der am Montagnachmittag unterhalb des Bürgenstocks im Dreck stand. Es sind noch wenige Tage bis zur Konferenz, und die Behörden haben für Medienleute eine Reise durch das Land organisiert, per Reisecar von Bern in den Kanton Nidwalden und zurück, um zu beweisen, dass die Schweiz bereit ist. Ist sie das wirklich?
Amherd und Cassis verbunden
Als Bundespräsidentin Amherd und Aussenminister Cassis am Morgen in Bern vor die Medien treten, wird das Komplizierte ganz einfach. Und das Einfache kompliziert. Beide Bundesräte wollen klarmachen: Es ist das Logischste der Welt, dass ein Frieden zwischen der Ukraine und Russland nur dann möglich ist, wenn sich beide Parteien gemeinsam an einen Tisch setzen. Warum das am Wochenende aber nicht der Fall sein wird, wenn sich auf dem Bürgenstock die halbe Welt in Abwesenheit Russlands trifft, ist nicht so leicht zu vermitteln.
Das Verhältnis zwischen Amherd und Cassis war meist eher distanziert, seit sie gemeinsam im Bundesrat sitzen. Das hat sich geändert seit Januar und dem Besuch des ukrainischen Präsidenten Selenski in der Schweiz. Amherd und Cassis liessen sich damals ein Stück weit treiben, von Selenskis Überzeugungskraft und von der Ohnmacht des Kleinstaates. Die Schweiz muss doch irgendetwas tun angesichts dieses schrecklichen Kriegs. Abseitszustehen, sei keine Option, betonen Amherd und Cassis seither immer wieder. Egal, was kommt: Sie werden über diese Konferenz verbunden bleiben – ob alles scheitert oder etwas gelingt.
Was, wenn Selenski die helvetische Plattform auf dem Bürgenstock nutzt, um sich Geld oder Waffen zu besorgen? Was, wenn Putin übers Wochenende die Intensität des Kriegs steigern lässt? Und wie wird die Neutralität der Schweiz von den Ergebnissen der Konferenz tangiert – manövriert das Land sich in eine weltpolitisch aktivere Rolle? Und ist es dafür bereit?
Für die Schweiz scheint – und das ist eine diplomatische Neuheit – der Weg genauso wichtig zu sein wie das Resultat. Die Konferenz auf dem Bürgenstock sei, anders als ursprünglich kommuniziert, keine Friedenskonferenz, geschweige denn ein Friedensgipfel. Sondern eine Konferenz zum Frieden. Allein die Vorbereitung dazu habe eine positive Dynamik ausgelöst.
Schon in diesen Tagen wird die gemeinsame Schlusserklärung zwischen den Teilnehmerstaaten hin- und hergeschickt, abgeändert, ergänzt. Amherd und Cassis hoffen, dass man sich darauf einigen kann, wie und wo man fortan auch Russland einbeziehen kann. Der erste Schritt auf dem langen Weg in Richtung Frieden erfolgt auf dem Zirkularweg. Einen Schritt vor, zwei zurück, zwei vor, einen zurück, sagt Cassis. Als die Reise begann, wollten sie im Aussendepartement Leerläufe vermeiden. Heute hofft man, dass es ja keinen Fehltritt gibt. Amherd betonte am Montag zum wiederholten Mal, dass die Konferenz wegen des breiten Teilnehmerfelds jetzt schon ein Erfolg sei.
Cassis zeigt sich etwas selbstkritischer. Der Wunsch, sowohl die Ukraine als auch Russland dabei zu haben, sei nicht in Erfüllung gegangen. Der ukrainische Unwille, Russland auf dem Bürgenstock zu treffen, war genauso gross wie die Abneigung Russlands, an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Man habe, sagt Cassis schliesslich, Moskau nicht offiziell einladen wollen, weil man Angst gehabt habe, dass Putin zusage und man dafür die Ukraine «verloren» hätte.
Bis zu dieser Pressekonferenz am Montag einigte man sich in Bundesbern auf das Narrativ, wonach ein echter Friedensgipfel auf Schweizer Boden nur wegen Russland nicht möglich sei. Nun ist klar: Russland kommt auch deshalb nicht, weil die Ukraine dagegen ist. Und weil Russland nicht kommt, hat auch China abgesagt. Ob das Ganze nicht einfach eine Schuhnummer zu gross sei, fragte am Montag eine Journalistin. «Nein», sagte Cassis.
Einige Stunden später holt Divisionär Daniel Keller die Diskussion auf den Boden der meteorologischen Tatsachen herunter. Er steht unterhalb des Bürgenstocks in einer dreckigen Wiese. Hinter ihm arbeiten Soldaten der Schweizer Armee daran, die Landeplätze für die Helikopter bereit zu machen. In den vergangenen Tagen hat es geregnet, Divisionär Keller spricht von einer problematischen «Durchfeuchtung des Bodens», aber «die Truppe wird die Herausforderung zu meistern wissen».
Bis zu viertausend Soldaten
Das ist die Gleichzeitigkeit, in der alle leben, die sich auf die Bürgenstock-Konferenz vorbereiten: Es geht um den Frieden auf der Welt und gleichzeitig um den Zustand von Wiesen. Divisionär Keller sagt, der Anlass sei einzigartig, noch nie sei gleichzeitig die Sicherheit derart vieler «völkerrechtlich geschützter Personen» zu gewährleisten gewesen, aber man werde bereit sein, ja: «Wir müssen bereit sein.» Die Armee hat fünf Startund Landebahnen für Helikopter eingerichtet, sie hat Zaunelemente in einer Länge von sechseinhalb Kilometern aufgestellt, sie wird die Konferenz mit bis zu viertausend Soldaten schützen.
Geleitet wird der Einsatz aber nicht vom Chef der Armee oder von einer Bundesrätin, sondern von Stephan Grieder, dem Kommandanten der Kantonspolizei Nidwalden, die nur gerade über «genau gesagt 80,5 Vollzeitstellen» verfügt, wie er in eines der vielen Mikrofone sagt. Man werde aber von anderen Polizeien, vom Fedpol, von der Armee unterstützt, sagt Grieder. Er steht in der Turnhalle von Obbürgen, wo eine Akkreditierungsstelle für Anwohnerinnen und Anwohner eingerichtet ist – hier riecht die Weltpolitik nach Mattenwagen. Wer ab Donnerstagmittag in die Sicherheitszone
Es geht um den Frieden auf der Welt und gleichzeitig um den Zustand von Wiesen.
kommen will, muss einen Badge abholen, die Bauern müssen auch ihre Traktoren akkreditieren.
Wie viele Leute einen Badge erhalten, wo die grösste Gefahr für die Sicherheit lauert und wie viele Cyberangriffe bereits abgewehrt worden sind, gibt Polizeikommandant Grieder den Medienleuten nicht bekannt. Er wiederholt laufend: «Aus taktischen Gründen . . .» Draussen, schräg gegenüber der Turnhalle, wird ein Checkpoint aufgebaut, wo jedes Auto «mit Sensoren und auch mit geschulten Hunden komplett durchsucht wird». Ob man wirklich gerüstet sei, wenn etwa ein Auto an der Polizeikontrolle vorbeirase, wird Stephan Grieder jetzt gefragt. «Sie können sicher sein», sagt er, «dass wir ein solches Auto in vernünftiger Zeit stoppen könnten.»
Die grosse Frage stellt sich nicht nur in Bern, sondern auch hier, in diesem kleinen Dorf. Wird die Schweiz etwas für den Frieden machen können? Eines der Häuser, das zwischen der Turnhalle von Obbürgen und der Weltbühne auf dem Bürgenstock liegt, ist mit einem Holzschild angeschrieben. Darauf steht «Bergfrieden» – es ist ein Anfang.