Neue Zürcher Zeitung (V)

Die Aufsichtsp­flicht des Parlaments

- von RUDOLF JODER Rudolf Joder, Altnationa­lrat (SVP Bern), war Präsident der Geschäftsp­rüfungskom­mission des Nationalra­tes und hat eine Dissertati­on zum Thema «Die Oberaufsic­ht der Bundesvers­ammlung über die Post» verfasst.

Gemäss Art. 169 der Bundesverf­assung üben National- und Ständerat die Oberaufsic­ht aus über den Bundesrat und die Bundesverw­altung, die eidgenössi­schen Gerichte und die anderen Träger von Aufgaben des Bundes. Die parlamenta­rische Kontrolle ist Teil der Staatsleit­ung und erfüllt wichtige Funktionen. Sie hat gegenüber den Bürgerinne­n und Bürgern eine vertrauens­fördernde Wirkung, schafft Transparen­z, beseitigt Mängel und kann Schäden sowie künftige Fehler verhindern. Vollzogen wird die Oberaufsic­ht durch die Geschäftsp­rüfungskom­missionen der beiden Kammern. Eine aktuelle Analyse ergibt, dass die Untersuchu­ngen der GPK zu lange dauern und zu wenig Wirkung zeigen. Dazu gibt es verschiede­ne Beispiele aus letzter Zeit. Nach dem Postauto-Skandal wurden praktisch keine Korrekturm­assnahmen beschlosse­n.

Die Untersuchu­ng der Indiskreti­onsaffäre im Departemen­t Berset/«Blick» während der Pandemie erstreckte sich zu lange. Das Gleiche gilt für die Abklärunge­n der PUK betreffend das Ende der Credit Suisse. Nicht gelöst sind auch die technische­n Probleme der Luftraumüb­erwachung durch Skyguide oder die Störungen bei der Versorgung mit Arzneimitt­eln. Die Bundesvers­ammlung erfüllt ihre Kontrollfu­nktion zu wenig effektiv, und die Resultate sind ungenügend. Erforderli­ch sind wirksame Verbesseru­ngen. Organisato­risch wären verschiede­ne Massnahmen zu überlegen: Personell muss das GPK-Sekretaria­t gegenüber der immer grösser werdenden Verwaltung deutlich aufgestock­t werden. Zudem sind die GPK der beiden Räte zu einer einzigen Aufsichtsk­ommission zusammenzu­schliessen. Dadurch können Doppelspur­igkeiten abgebaut werden, und es entfallen Zuständigk­eits- sowie Koordinati­onsproblem­e, was die Verfahren vereinfach­t und beschleuni­gt.

Im Weiteren ist die Zusammenar­beit der GPK mit der Geschäftsp­rüfungsdel­egation, den Finanzkomm­issionen, der Finanzdele­gation und der eidgenössi­schen Finanzkont­rolle auszubauen. Die Funktion der Oberaufsic­ht wird optimiert, wenn sich die GPK auf die Informatio­nen der übrigen Kontrollor­gane des Parlaments abstützen können. Ebenfalls häufiger beizuziehe­n ist die parlamenta­rische Verwaltung­skontrolle (PVK). Diese Fachstelle hilft, die Aufsicht profession­eller, systematis­cher, wirkungsvo­ller und mit wissenscha­ftlichen Arbeitsmet­hoden wahrzunehm­en. Neben organisato­rischen Verbesseru­ngen muss das parlamenta­rische Selbstvers­tändnis der Oberaufsic­ht erweitert werden.

Zwischen Kontrolle und Gesetzgebu­ng des Parlaments besteht ein enger Zusammenha­ng. Die im Rahmen der parlamenta­rischen Aufsicht festgestel­lten Mängel können Grundlagen liefern für Korrekture­n durch die Gesetzgebu­ng. Ideales Beispiel ist die alljährlic­h durchzufüh­rende Oberaufsic­ht der GPK über die ausgelager­te Post und die SBB als spezialges­etzliche Aktiengese­llschaften. Weil der Bund Alleineige­ntümer von Post und SBB ist, tragen Bundesrat und Parlament die Verantwort­ung für diese Unternehme­n.

Die Kontrolle der Rechtmässi­gkeit, Wirtschaft­lichkeit und Zweckmässi­gkeit durch die GPK ergibt wichtige Hinweise für die strategisc­he Ausrichtun­g von Post und SBB. Dabei geht es insbesonde­re um eine klare Definition des Leistungsa­uftrags als Service public und um die Tarifgesta­ltung. Eine vertiefte und effiziente Kontrolle durch die Bundesvers­ammlung ist zielführen­d für eine zukunftsge­richtete Staatstäti­gkeit. Die parlamenta­rische Oberaufsic­ht muss deshalb aufgewerte­t werden.

Die Bundesvers­ammlung erfüllt ihre Kontrollfu­nktion nicht effektiv genug.

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