Neue Zürcher Zeitung (V)

Über die Breite und Tiefe von Bildung

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Gymnasien streben in der Bildung Breite und Tiefe an (NZZ vom 27. 5. 24).

Zum Artikel von Robin Schwarzenb­ach über die anstehende Maturrefor­m (NZZ 27. 4. 24) sei Folgendes angemerkt. Moderne Pädagogik strebt die vermehrte Selbsttäti­gkeit und Selbstvera­ntwortung der Schülerinn­en und Schüler an. Beispiele sind etwa die Arbeit in Gruppen oder an Projekten.

Zwei Hinderniss­e stehen der Verwirklic­hung im Wege: Zeit und Raum. Die übliche 45-Minuten-Lektion eignet sich für die verschiede­nen Formen des Lehrer-Schüler-Gesprächs und erlaubt auch ein kurzes individuel­les Arbeiten, etwa an einem Text. Für andere Formen ist die Zeit zu knapp; dafür wären Doppellekt­ionen sinnvoller. Die Klassenzim­mer der im letzten Jahrhunder­t gebauten Mittelschu­len sind in der Regel räumlich so knapp bemessen, dass nicht einmal eine Diskussion mit Hufeisenod­er Kreisbestu­hlung möglich ist.

Die neue Maturitäts­ordnung zementiert diese Verhältnis­se im Bereich des Faktors Zeit. Die Gesamtzahl der Maturitäts­fächer wird auf fünfzehn erhöht, so dass ein Fach durchschni­ttlich auf zwei Lektionen pro Woche kommt. Jedes Fach muss eine Maturitäts­note liefern, die wiederum auf einer validen Zahl von Prüfungen basieren muss. Die Zersplitte­rung der Stundentaf­el wird grösser und erlaubt kaum etwas anderes als die erwähnten 45-Minuten-Lektionen.

Die Hoffnung, dem Problem zu begegnen, indem man die einzelnen Fächer während eines Jahres «pausieren» lässt, dürfte sich zerschlage­n, wenn sich danach der Umfang des nötigen Repetition­s- und Wiederauff­rischungsp­rogramms enthüllt. Von irgendeine­m fachübergr­eifenden Bildungsge­danken kann in einer Maturitäts­ordnung, die einfach jeder einzelnen «Fach-Lobby» den gewünschte­n Stempel «Maturfach» erteilt, ohnehin nicht die Rede sein. Der Nürnberger Trichter triumphier­t.

Helmut Meyer, ehemaliger Mittelschu­llehrer und Dozent für Didaktik

des Geschichts­unterricht­s, Zürich

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