Freiheitsstrafe für jungen Mann, der mit Stichflamme auf Kontrahenten losging
Vor der Chilbi in Winterthur Seen eskalierte eine Auseinandersetzung
Als zwei 20-jährige Männer im Herbst 2022 in Winterthur mit einem 32-Jährigen in einen Streit geraten, artet der Konflikt in brutale Gewalt aus: Ein Polymechaniker sprüht seinem Opfer Pfefferspray ins Gesicht. Daraufhin wirft einer seiner Freunde, ein Büroangestellter, ein sieben Kilogramm schweres Brett nach dem Mann und geht auf ihn los. Er versetzt ihm einen Fausthieb und einen Tritt.
Schliesslich zündet der Polymechaniker den Strahl des Pfeffersprays mit seinem Feuerzeug an und richtet die Stichflamme auf das Opfer. Der Feuerstrahl reicht einen Meter weit und setzt den Körper des Angegriffenen für mehrere Sekunden in Brand. Das Opfer erleidet Verbrennungen ersten und zweiten Grades am Hals, am Ohr und am Arm. Dank zwei Passanten, die ihm von der anderen Strassenseite zu Hilfe eilen, kommt er ohne bleibende Schäden davon.
Für diese Taten mussten sich der Büroangestellte und der Polymechaniker am Mittwoch und am Donnerstag vor dem Bezirksgericht in Winterthur verantworten. Der zuständige Staatsanwalt verlangte für den Polymechaniker wegen versuchter schwerer Körperverletzung und wegen Angriffs eine unbedingte Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten. Zudem soll er, ein neuseeländischer Staatsbürger, für sieben Jahre des Landes verwiesen werden.
Dem Büroangestellten, einem Schweizer, drohten eine bedingte Freiheitsstrafe von 21 Monaten sowie eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 80 Franken für leichte Körperverletzung und Angriff.
Betrunkenes Opfer
Zur Tatzeit, im September 2022, ist in Winterthur Seen Chilbi, ein grosses Ereignis mit Tausenden von Besuchern. Auch das spätere Opfer, bricht spätabends noch auf, um sich dort zu vergnügen. Um etwa 23 Uhr steigt er bei der Haltestelle Depot in den Bus der Linie 2 und stellt sich in den Eingangsbereich.
Eine Überwachungskamera zeichnet die folgende Fahrt auf. Der eben dem Bus Zugestiegene ist angetrunken und schwankt sichtlich. Er rempelt einen jungen Mann an und gerät in Konflikt mit dessen Clique. Ein aggressiver Wortwechsel entsteht, der Betrunkene sagt zu einem der ungefähr 20-Jährigen: «Bist du schwul, dass du mich so anschaust? Willst du einen Kuss?» Die jungen Männer lassen sich das nicht gefallen, versuchen aber zunächst auch zu schlichten.
Der Betrunkene will den Büroangestellten mit der Faust schlagen. Doch dieser packt ihn am Arm und vereitelt den Angriff. Bei der Haltestelle Waser steigen alle Männer aus. Wenig später eskaliert die Situation. Gemäss dem Staatsanwalt hat sich das spätere Opfer im Bus «dumm» verhalten, war danach aber wehrlos den gewaltbereiten jungen Männern ausgeliefert: «Das Verhalten der zwei Angreifer befindet sich in der Nähe zur versuchten Tötung», sagte er in seinem Plädoyer vom Mittwoch.
Die Verteidiger schilderten den Hergang der Ereignisse anders. Es sei in Wahrheit der 32-Jährige gewesen, der den Konflikt während der Busfahrt verursacht habe. Als Beweis zeigte der Rechtsanwalt des Polymechanikers das Videomaterial der Überwachungskamera. «Das Video stellt die Affäre in ein anderes Licht», sagte er. Das Opfer sei zunächst als Provokateur aufgetreten und habe die jungen Männer zum Aussteigen und zur Prügelei aufgefordert. Insofern könne von einem Angriff keine Rede sein.
Der Polymechaniker sagte vor Gericht aus, dass er sich eingeschüchtert gefühlt habe. Aus schierer Angst habe er zum Pfefferspray gegriffen. Der Polymechaniker gestand: «Ich war es, ich habe ihn angezündet.» Er habe jedoch keine Absicht gehabt, seinem Kontrahenten schwere Verletzungen zuzufügen. Im Gegenteil – er habe selbst gestaunt, dass die Stichflamme des angezündeten Pfeffersprays so stark gewesen sei. Der Verteidiger des Polymechanikers machte sodann Notwehr geltend. Zudem sei der Brand am Körper des Opfers rasch gelöscht worden, so dass sein Mandant nur für einfache Körperverletzung belangt werden könne. Von einem Landesverweis sei abzusehen.
Der Anwalt des Büroangestellten ging sogar noch weiter. Er führte aus, dass der 32-Jährige mit seiner angeblichen Aufforderung zur Schlägerei in eine handgreifliche Auseinandersetzung eingewilligt habe. Aus diesem Grund könne er gar nicht als Opfer gelten – denn er habe sich aus freien Stücken in den Gewaltexzess gefügt. Deshalb, so plädierte sein Verteidiger, sei der Büroangestellte vom Vorwurf der Körperverletzung und des Angriffs freizusprechen. Am Donnerstag wurden die Urteile gesprochen.
Richter ist bestürzt
Das Gericht geht, wie die beiden Verteidiger auch, davon aus, dass das Opfer sich im Bus kampfbereit gemacht und sich auf eine Prügelei eingestellt habe. Dennoch habe es sich beim ersten Gebrauch des Pfeffersprays an der Bushaltestelle um einen unvermittelten Angriff gehandelt, hiess es weiter.
Urteile DG230 052 und DG230 051 vom 30. Mai 2024, nicht rechtskräftig.
Dass der Büroangestellte sodann ein Brett nach dem Opfer geworfen habe, sei gefährlich gewesen und «durchaus dazu geeignet», einfache Körperverletzungen hervorzurufen. Über den Angriff mit der Stichflamme zeigte sich der Richter bestürzt. Es sei immer gefährlich, Feuer gegen Menschen zu richten – selbst mit einer Kerze. «Man kann von grossem Glück sprechen, dass nichts Schlimmeres geschehen ist», schloss der Richter.
Hätte das Feuer schwere Körperverletzungen verursacht, hätte sich der Polymechaniker mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis sechs Jahren abfinden müssen. So aber wurde er bloss der versuchten schweren Körperverletzung schuldig gesprochen. Er erhält eine unbedingte Freiheitsstrafe von 33 Monaten. Die Verbüssung wird zugunsten einer ambulanten psychiatrischen Behandlung aufgeschoben. Von einem Landesverweis wird indessen abgesehen.
Der Büroangestellte wird des Angriffs und der versuchten einfachen Körperverletzung schuldig gesprochen. Er erhält eine Freiheitsstrafe von 13 Monaten. Zudem 60 Tagessätze à 80 Franken. Der Vollzug wird aufgeschoben, die Probezeit beträgt 2 Jahre.