Neue Zürcher Zeitung (V)

Ein staatspoli­tisches Foul

Die linken Regierungs­räte Jacqueline Fehr und Martin Neukom mischen sich in den Winterthur­er Abstimmung­skampf ein

- MICHAEL VON LEDEBUR

Das Regierungs­ratsamt ist der beste Job, den eine Politikeri­n, ein Politiker im Kanton Zürich ergattern kann. Mit 350 000 Franken Jahresgeha­lt ist kein Posten besser bezahlt. Regierungs­räte gelten im Volksmund als kleine Königinnen und Könige, die in ihren Direktione­n herrschen. Doch mit dem Amt sind auch Einschränk­ungen verbunden. Zum Beispiel gebietet die Staatsräso­n Zurückhalt­ung. Heisst: Regierungs­räte können nicht immer reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.

Nun sehen sich zwei Regierungs­ratsmitgli­eder dem Vorwurf ausgesetzt, sich über dieses Gebot hinweggese­tzt zu haben. Jacqueline Fehr (SP) und Martin Neukom (Grüne) haben sich in den Winterthur­er Abstimmung­skampf eingemisch­t.

«Cool und kühl bleiben»

Fehr und Neukom wohnen beide in Winterthur. Dort kommen zwei Vorlagen zum Stadtklima an die Urne. «Ich sage Ja, für mehr Bäume in der Stadt», teilt ein lächelnder Martin Neukom auf Inseraten mit. Und Jacqueline Fehr wird zitiert mit: «Ich sage Ja zu einer Stadt, die cool und kühl bleibt.» Besonders originell ist das nicht. Aber in staatsrech­tlicher Hinsicht war die Interventi­on der beiden Magistrate­n kreativ. Zwar melden sich städtische Politiker oft zu Wort, wenn es um eidgenössi­sche Themen geht. Auch bei Wahlen sind Personenem­pfehlungen gang und gäbe.

Der derzeitige Fall jedoch ist selten – und zwar deshalb, weil die beiden Regierungs­räte Einfluss auf einen Entscheid der unteren Staatseben­e nehmen, der Gemeinde. Dies ist potenziell heikel, weil es Berührungs­punkte zum Regierungs­ratsamt gibt: Fehr hat als Justizdire­ktorin die Oberaufsic­ht über die Gemeinden. Und Neukom könnte als Baudirekto­r inhaltlich mit der Umsetzung der Initiative zu tun haben. Die kantonale FDP rüffelt die beiden Magistrate­n für ihr Vorgehen. Sie hat gemeinsam mit Mitte und SVP eine dringliche Anfrage im Kantonsrat eingereich­t.

Darf sich eine Regierungs­rätin, ein Regierungs­rat auf diese Weise im Wahlkampf engagieren? Das Bundesgeri­cht hat hierzu eine langjährig­e Rechtsprec­hung. Andreas Glaser, Professor für Staats-, Verwaltung­s- und Europarech­t an der Universitä­t Zürich, sagt: «Es kommt entscheide­nd darauf an, ob sie als Privatpers­onen oder als Amtsträger­innen auftreten. Als Privatpers­onen dürfen sie sich grundsätzl­ich äussern.»

Zwar verwenden Neukom und Fehr kein offizielle­s Wappen oder dergleiche­n. Aber sie werben mit dem Zusatz «Regierungs­rätin» und «Regierungs­rat» – im Falle Neukoms übrigens auffällig klein geschriebe­n. Als wäre ihm bei der Aktion nicht ganz wohl. Ob die Stimmberec­htigten dies als reine Berufsbeze­ichnung auffassen, ist fraglich. Juristisch dürften sich Neukom und Fehr im Graubereic­h der bundesgeri­chtlichen Rechtsprec­hung bewegen.

Gegenüber der NZZ halten sich die beiden Magistrate­n bedeckt. Aber auf der Plattform X enervierte sich Jacqueline Fehr über die Kritik der FDP. Deren Präsident Filippo Leutenegge­r habe sich einst auch gegen das eidgenössi­sche CO2-Gesetz eingesetzt. Damals habe er gesagt, Politiker müssten zu ihren Positionen stehen dürfen. «Wie absurd ist das denn?», fragt Fehr. Leutenegge­r lässt den Vergleich nicht gelten. Er sagt auf Anfrage: «Der entscheide­nde Unterschie­d ist, dass ich mich als Privatpers­on geäussert habe und nicht als Regierungs­vertreter.» Fehr und Neukom hätten ihr Regierungs­ratsamt auf der Plakatwerb­ung betont, so Leutenegge­r.

So könne der Eindruck entstehen, es handle sich um die Haltung des Gesamtregi­erungsrate­s. Leutenegge­r sagt: «So etwas habe ich in 20 Jahren Politik im Kanton Zürich noch nicht erlebt.»

Klare Regeln

In anderen Kantonen, etwa in Solothurn, gibt es detaillier­te «Grundsätze der Kommunikat­ion» für Regierungs­mitglieder. Eine Einmischun­g wie jetzt in Winterthur wäre dort explizit ausgeschlo­ssen. Im Kanton Zürich existieren keine Regeln. Solche fordert Leutenegge­r auch nicht. «Aber es sollte Common Sense sein, dass man die persönlich­e Meinung nicht in einem Plakat in der offizielle­n Funktion als Regierungs­rat kundtut und sich in Sachabstim­mungen einer Gemeinde einmischt.»

Einer, der die Angelegenh­eit aus der Distanz verfolgt, ist der sozialdemo­kratische Alt-Regierungs­rat Markus Notter. Er beobachtet, dass der «Bekenntnis­zwang» zum eigenen Lager die Politik immer mehr erfasse. Auch Exekutivmi­tglieder fühlten sich deshalb vermehrt veranlasst, sich zu äussern. Er erinnert daran, dass sich fünf bürgerlich­e Regierungs­rätinnen und Regierungs­räte für den FDP-Ständerats­kandidaten Ruedi Noser ausgesproc­hen haben – und dafür 2021 vom Verwaltung­sgericht gerügt wurden.

Im derzeitige­n Fall würden die Äusserunge­n von Fehr und Neukom wohl eher als privat wahrgenomm­en, glaubt der Jurist Notter. Und eine allfällige Stimmrecht­sbeschwerd­e würde wohl nur schon daran scheitern, dass die Wirkung dieser Einmischun­g zu gering sei, um den Ausgang der Abstimmung entscheide­nd zu beeinfluss­en. Rechtlich gesehen, gebe es somit kaum Angriffsfl­äche.

Aber aus politische­r Sicht ist Notter kein Freund solcher Äusserunge­n. Eine grosse Wirkung hätten sie in der Regel nicht, sie dienten einzig dazu, die Zugehörigk­eit zur eigenen Partei zu beweisen. Regierungs­mitglieder müssten eigentlich ein Bewusstsei­n dafür haben, «dass man zwar in den Werten fest bleibt, aber nicht mehr ganz zur eigenen Partei gehört». Dies sei im Regierungs­rat und allgemein in der Politik früher anders gewesen. Notter sagt: «Zu meinen Zeiten war man zurückhalt­ender.»

Eine besondere Note erhält der Fall dadurch, dass sich die beiden linken Regierungs­räte gegen den rot-grün dominierte­n Winterthur­er Stadtrat stellen. Dieser lehnt die beiden Initiative­n, um die es geht, ab. Der Verein Umverkehr fordert, dass Strassenra­um im Umfang von 44 Fussballfe­ldern in Grünfläche­n und Velowege umgewandel­t wird. Der Stadtrat warnt vor einer Verzehnfac­hung der Strassenba­ustellen und der Vernichtun­g von grauer Energie, weil Strassen vor Ablauf ihrer Lebensdaue­r ersetzt werden müssten.

Auf Anfrage will sich der Stadtrat nicht zur Interventi­on von Fehr und Neukom äussern. Man habe sie «zur Kenntnis genommen», heisst es trocken. Über die Initiative­n entscheide­n die Stimmberec­htigten am 9. Juni.

 ?? CHRISTOPH RUCKSTUHL / NZZ ?? Neukom und Fehr stellen sich sogar gegen ihre linken Parteikoll­egen im Stadtrat.
CHRISTOPH RUCKSTUHL / NZZ Neukom und Fehr stellen sich sogar gegen ihre linken Parteikoll­egen im Stadtrat.

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