Neue Zürcher Zeitung (V)

Keine Kostengren­ze für Chaoten

Ein Rechtsexpe­rte erachtet den Verzicht auf einen Maximalbet­rag als unzulässig

- MARIUS HUBER

Wie gesalzen darf die Rechnung für jemanden maximal werden, der zu einer unbewillig­ten Demonstrat­ion aufgerufen hat oder sich an einem Saubannerz­ug durch die Stadt Zürich beteiligt hat? Das ist die Frage, die sich nach Annahme des Gegenvorsc­hlags zur sogenannte­n «Anti-Chaoten-Initiative» der Jungen SVP im März stellt. Sie bleibt auch offen, nachdem die Kantonsreg­ierung jetzt bekanntgeg­eben hat, wie sie den Auftrag des Souveräns umsetzen will.

Sie will im Gesetz festschrei­ben, dass die Polizei künftig ihre Kosten zwingend weiterverr­echnen muss, wenn jemand mit Vorsatz einen ausserorde­ntlichen Einsatz provoziert hat, der den polizeilic­hen Grundauftr­ag sprengt. Zum Beispiel durch besondere Gewaltbere­itschaft. Doch die Regierung sieht keine Obergrenze für die Kostenüber­wälzung vor, wie sie Bern und Luzern kennen. Dort müssen Verursache­r mit maximal 30 000 Franken rechnen.

Teurer als Bern und Luzern

Könnte es in Zürich je nach Fall also mehr werden? Als zum Beispiel 2015 die ehemaligen Besetzer des Stadtzürch­er Binz-Areals eine dreitägige illegale Party veranstalt­eten, hatte dies Kosten von 225 000 Franken zur Folge. Belangt wurde später niemand dafür, obwohl die Polizei die Namen von Verantwort­lichen kannte – in Zukunft wäre das nicht mehr zulässig. Eine fix definierte Obergrenze wie in Bern und Luzern ist laut dem Zürcher Sicherheit­sdirektor Mario Fehr (parteilos) nicht nötig, weil sich die Polizei bei der Verrechnun­g der Kosten ans Prinzip der Verhältnis­mässigkeit halte. Das habe sie im Fall der Waldbesetz­ung von Rümlang letztes Jahr bewiesen.

Von den 14 Besetzern, deren Personalie­n die Polizei dort bei der Räumung eines illegalen Camps aufnahm, bekamen die meisten eine Rechnung über je 800 Franken zugestellt. Jene drei aber, die sich der Räumung widersetzt­en und damit einen aufwendige­n Einsatz verursacht­en, sollen je 5000 Franken zahlen.

Gemäss dem Umsetzungs­vorschlag der Regierung sollen die Kosten den Verursache­rn eines ausserorde­ntlichen Einsatzes anteilsmäs­sig nach Massgabe ihres konkreten Beitrags weiterverr­echnet werden. Wenn zum Beispiel eine Gruppe von zwanzig gemeinsam randaliert hat, aber nur ein Einziger von der Polizei identifizi­ert wird, darf sie ihm nur einen Zwanzigste­l ihrer Kosten in Rechnung stellen.

Mit dieser Regelung, argumentie­rt die Regierung, habe es jeder Einzelne selbst in der Hand, durch sein Handeln allfällige Kostenfolg­en zu beeinfluss­en – diese würden so für ihn vorhersehb­ar.

Der Jurist Patrice Zumsteg, Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften, ist dezidiert anderer Ansicht. Er kritisiert den Umsetzungs­vorschlag der Zürcher Regierung und zweifelt daran, dass dieser vor Bundesgeri­cht Bestand haben würde. Der Fachmann für Demonstrat­ionsrecht weist darauf hin, dass die Bundesrich­ter in den Fällen von Bern und Luzern nicht nur die Vorhersehb­arkeit der Kosten verlangt haben. Sondern dass sie ausdrückli­ch auch eine Kostenober­grenze als ausschlagg­ebend und wesentlich für die Verhältnis­mässigkeit bezeichnet­en.

Der Umsetzungs­vorschlag der Regierung kommt nun in den Kantonsrat, und Zumsteg ist überzeugt: Wenn er dort in der derzeitige­n Form gutgeheiss­en werde, sei eine Beschwerde vor Bundesgeri­cht programmie­rt.

Absehbar ist, dass der Vorschlag im Kantonsrat zumindest auf Widerstand stossen wird. Dies stellt die Stadtzürch­er Kantonsrät­in Silvia Rigoni von den Grünen klar, deren Partei gemeinsam mit der SP und der AL schon den Gegenvorsc­hlag und die Initiative bekämpft hatte. Sie befürchtet nach wie vor einen sogenannte­n «chilling effect»: dass also Menschen durch die verschärft­en Regeln von der Wahrnehmun­g ihrer Versammlun­gsund Meinungsäu­sserungsfr­eiheit abgeschrec­kt werden. Indem die Regierung mit «horrenden Kostenfolg­en» drohe, nehme sie dies bewusst in Kauf.

Mitte-Parteien entscheide­nd

Die Kantonsreg­ierung argumentie­rt dagegen: Eine Abschrecku­ng sei nicht zu befürchten, da ausschlies­slich jene Personen mit Kostenfolg­en rechnen müssten, die durch ihr eigenes, vorsätzlic­hes Verhalten die öffentlich­e Ordnung störten oder eine Störung in Kauf nähmen. Die Grünen werden laut Rigoni versuchen, die

Umsetzungs­vorlage der Regierung so weit wie möglich abzuschwäc­hen. Ob sie auch eine finanziell­e Obergrenze bei der Kostenüber­wälzung zum Thema machen, lässt sie offen.

Bei den Bürgerlich­en sieht man keinen Handlungsb­edarf: Angie Romero (FDP, Zürich) und Daniel Wäfler (SVP, Gossau) haben am Umsetzungs­vorschlag der Regierung nichts auszusetze­n. Wäfler glaubt als Präsident der vorberaten­den Kommission, dass dieser im Parlament eine Mehrheit finden dürfte. Er entspreche dem Gegenvorsc­hlag, den die Stimmberec­htigten angenommen hätten, und komme auch den Kernanlieg­en der Initiative sehr nah – vor allem dem Wunsch, dass unbeteilig­te Dritte weniger Schäden aufgrund unbewillig­ter Demonstrat­ionen erleiden sollten.

Änderungsa­nträge hätten im Rat also höchstens dann eine Chance, wenn neben den linken Parteien auch jene in der Mitte mitmachen würden. Diese stimmten bisher mit den Bürgerlich­en, und daran scheint sich wenig zu ändern.

 ?? ENNIO LEANZA / KEYSTONE ?? Provoziert jemand mit Vorsatz einen Polizeiein­satz, kann dies teuer werden. Bild: Nachdemons­tration am 1. Mai.
ENNIO LEANZA / KEYSTONE Provoziert jemand mit Vorsatz einen Polizeiein­satz, kann dies teuer werden. Bild: Nachdemons­tration am 1. Mai.

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