Neue Zürcher Zeitung (V)

Deutschlan­d behält Grenzkontr­ollen noch länger bei

Die Massnahme zur Begrenzung der irreguläre­n Einreise zeigt Wirkung

- OLIVER MAKSAN, BERLIN

Die stationäre­n Kontrollen an den deutschen Landgrenze­n zur Schweiz sowie zu Polen und Tschechien sind erneut verlängert worden. Das teilte das deutsche Innenminis­terium am Mittwoch mit. Die Verlängeru­ng um sechs Monate bis Mitte Dezember dieses Jahres sei bei der Europäisch­en Kommission in Brüssel angemeldet worden.

«Ziel ist weiterhin, Schleusung­skriminali­tät zu bekämpfen und die irreguläre Migration zu begrenzen», so das Innenresso­rt. Auch die bereits seit 2015 bestehende­n stationäre­n Kontrollen an der deutsch-österreich­ischen Grenze seien bis Mitte November verlängert worden.

Die innenpolit­isch lange umstritten­e Massnahme zeigt offenbar Wirkung. Insgesamt sind laut Ministeriu­m seit Ausweitung der Kontrollen auf die Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz Mitte Oktober 2023 rund 37 600 unerlaubte Einreisen festgestel­lt worden. 23 000 Personen sind dadurch an der Einreise gehindert worden oder mussten ihren Aufenthalt in Deutschlan­d beenden. Während im September 2023 noch etwa 21 000 unerlaubte Einreisen gezählt wurden, sind diese im April auf etwa 7500 zurückgega­ngen.

920 Schlepper festgenomm­en

Durch die Kontrollen konnten nach Ministeriu­msangaben auch etwa 920 Schlepper von irreguläre­n Migranten festgenomm­en werden. Viele Migranten, die in Deutschlan­d ein Asylgesuch stellen wollen, nehmen die Dienste von profession­ellen Schleppern in Anspruch. Laut Schätzunge­n soll dies 2022 bei jedem vierten nach Deutschlan­d eingereist­en Asylbewerb­er der Fall gewesen sein. Das Augenmerk der Polizei liegt deshalb darauf, Schleppern­etzwerke zu zerschlage­n. Durch die flexible Handhabung der Grenzkontr­ollen soll verhindert werden, dass Schlepper auf andere Routen ausweichen können.

Die deutsche Innenminis­terin Nancy Faeser hatte sich lange geweigert, bei der EU Grenzkontr­ollen anzumelden. Sie befürchtet­e schädliche Auswirkung­en auf den freien Grenzverke­hr im Schengenra­um. Auch war aus ihrer Sicht der zur Durchführu­ng von Grenzkontr­ollen nötige Personalau­fwand bei der Polizei unverhältn­ismässig gross.

Stattdesse­n setzte die Sozialdemo­kratin auf eine Ausweitung der sogenannte­n Schleierfa­hndung im grenznahen Bereich. Auch verstärkte sie die Zusammenar­beit mit Deutschlan­ds Anrainerst­aaten, um Schlepper zu bekämpfen. Weil im Herbst vergangene­n Jahres der Migrations­druck über Polen und Tschechien massiv zugenommen hatte, lenkte Faeser schliessli­ch ein. Jetzt lobte sie die Kontrollen. «Unsere Massnahmen wirken», sagte Faeser.

Bei Grenzkontr­ollen aufgegriff­ene Migranten ohne gültigen Aufenthalt­stitel für Deutschlan­d werden allerdings nur dann zurückgewi­esen, wenn gegen sie ein Einreiseve­rbot vorliegt oder sie kein Schutzgesu­ch stellen. Wer deutlich macht, dass er in Deutschlan­d Asyl beantragen will, wird nicht an der Einreise gehindert. Dies gilt auch dann, wenn der Migrant bereits in einem anderen EUStaat als Asylbewerb­er registrier­t ist.

Überstellu­ngen scheitern oft

Deutschlan­d prüft dann im Rahmen der Dublin-Richtlinie die Zuständigk­eit. Rücküberst­ellungen scheitern in vielen Fällen allerdings daran, dass eigentlich zuständige EU-Staaten die Fristen verstreich­en lassen. Der Asylbewerb­er geht dann in die Zuständigk­eit der Bundesrepu­blik über.

Mit der erneuten Verlängeru­ng könnte aus den anfangs auf zehn Tage begrenzten Massnahmen eine Dauereinri­chtung werden. Das zeigt sich an der deutschen Grenze zu Österreich. Dort wird bereits seit 2015 stationär kontrollie­rt. Eigentlich sieht der Schengener Grenzkodex, der den freien Verkehr von Personen und Gütern in der EU regelt, keine dauerhafte­n Grenzkontr­ollen vor. Die Europäisch­e Kommission duldet aber die Praxis der Mitgliedss­taaten.

Deutschlan­d ist nicht das einzige EULand, das zur Begrenzung der Migration auf stationäre Grenzkontr­ollen setzt. Dänemark etwa überwacht seine Grenze zu Deutschlan­d, Frankreich seine zu Italien. Die Niederland­e haben jetzt angekündig­t, ebenfalls an der Grenze zu Belgien und Deutschlan­d zu kontrollie­ren. Damit könnte der Migrations­druck auf Deutschlan­d steigen. Polizeigew­erkschafte­r fordern deshalb, dass sich die Bundesrepu­blik ihrerseits auf stationäre Kontrollen an der Grenze zu den Niederland­en vorbereite­t.

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