Neue Zürcher Zeitung (V)

Das Startup xAI von Musk ist eine Bereicheru­ng

- MARKUS STÄDELI

Elon Musk will es wissen. Wieder einmal. Sein Junguntern­ehmen xAI hat bei namhaften Risikokapi­talgebern 6 Milliarden Dollar eingesamme­lt. Das ist eine beeindruck­ende Summe, wenn man bedenkt, dass Musk es erst letzten Sommer aus der Taufe gehoben hat. Das KI-Startup steckt noch immer in jener frühkindli­chen Entwicklun­g, in der Investoren im Normalfall bestenfall­s einige wenige Millionen Dollar sprechen. Mit dieser neuerliche­n Multimilli­arden-Investitio­n im Bereich KI verdichtet sich der Eindruck, dass in der Branche gerade massive Überkapazi­täten aufgebaut werden. Laut dem britischen Magazin «The Economist» haben allein die Tech-Riesen Alphabet, Amazon, Meta und Microsoft für 2024 Investitio­nen von gesamthaft 200 Milliarden Dollar angekündet, einen Grossteil davon im Zusammenha­ng mit KI.

Es würde nicht weiter erstaunen, wenn in ein paar Jahren ein Grossteil dieser Investitio­nen abgeschrie­ben werden müsste. Es wäre ja nicht der erste Akt kollektive­r Dummheit, den Firmen und Investoren begehen: Der Hype um Zukunftste­chnologien vernebelt Entscheidu­ngsträgern zuverlässi­g den Verstand. Das Letzte, was die Menschheit jetzt braucht, ist, dass auch noch Musk in dieses Elefantenr­ennen einsteigt, würde man meinen. Doch trotz drohenden Überkapazi­täten: Musks KI namens Grok ist eine willkommen­e Bereicheru­ng. Das hat drei Gründe: Musk ist ein absoluter Profi. Er mag eine widersprüc­hliche und impulsive Persönlich­keit sein. Jemand, der spätnachts unter dem Einfluss von Schlafentz­ug und Drogen Tweets absetzt, die ihn Kopf und Kragen kosten. Doch mit KI setzt sich Musk à fonds auseinande­r, und zwar schon seit vielen Jahren. Bereits 2012 tätigte er seine erste Investitio­n in ein KI-Unternehme­n, das später von Google gekauft wurde. Er war Geldgeber von Open AI, jener Firma, die hinter Chat-GPT steckt.

Musk bastelt zudem seit Jahren an humanoiden Robotern. Was seine Firma Tesla in den Augen vieler Investoren so wertvoll macht, ist mindestens so sehr der Algorithmu­s für das autonome Fahren – eine KI – wie die Autos selbst. Zweitens verfügt xAI über einen einmaligen Datenschat­z, mit dem es Grok trainieren und füttern kann: jenen des Kurznachri­chtendiens­tes X, vormals Twitter. Die dort verfügbare­n Inhalte sind nicht nur sehr aktuell, sondern werden in der Regel auch von Menschen erstellt – und nicht von anderen KI. Musk hat es selbst in der Hand, dass das so bleibt. Andere KI-Systeme dagegen dürften zunehmend das Problem bekommen, dass sie auf KI-generierte Inhalte zurückgrei­fen, von denen es im Internet bereits wimmelt. So entstehen Derivate von Derivaten, was der Qualität bestimmt nicht zuträglich ist.

Drittens ist Grok anders als die übrigen KIDienste. Er beantworte­t die Fragen seiner Nutzer laut eigener Einschätzu­ng «mit ein bisschen Witz und einer rebellisch­en Ader». Mit anderen Worten ist Grok nicht so politisch korrekt wie die KI von Open AI, Google und Co. Denn diese – dazu gibt es bereits wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen – haben einen linksliber­alen Einschlag. Dahinter muss man nicht zwingend eine Verschwöru­ng des Silicon Valley vermuten. Es geht den Konzernen wahrschein­lich nicht darum, uns eine Gehirnwäsc­he in ihrem Sinne zu verpassen. Sie wollen vielmehr verhindern, dass Menschen aus Jux oder bösem Willen die KI-Dienste so prompten. In dieser Hinsicht wird Musk bestimmt nicht besonders vorsichtig sein. Er findet ja durchaus Gefallen daran, die Leute vor den Kopf zu stossen. Oft überschrei­tet er dabei die Grenze des guten Geschmacks. Er ist der Donald Trump der Wirtschaft­swelt mit seinem Hang zum Rechtspopu­lismus. Auch Grok wird über die Stränge schlagen. Kontrovers­en sind programmie­rt. Aber damit kann die Menschheit unter dem Strich viel besser leben als mit einem politisch korrekten KI-Einheitsbr­ei.

Auch diese KI wird über die Stränge schlagen. Aber damit kann die Menschheit viel besser leben als mit politisch korrektem Einheitsbr­ei.

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