Neue Zürcher Zeitung (V)

Nicolás Maduros Wahlkampf in der Krise

Venezuelas Präsident kämpft gegen sinkende Popularitä­t

- ALEXANDER BUSCH, SALVADOR

«Kratz ihm die Augen aus!», «Beiss ihm in die Halsschlag­ader!» – das sind einige der Kommentare unter einem Instagram-Post von Venezuelas Präsident Nicolás Maduro. Dort wollte sich der Diktator als tierlieben­d und volksnah zeigen. Er liess einen Hyazinth-Ara auf seiner Schulter herumklett­ern. Doch der kam ihm mehrfach mit seinem Schnabel nahe ans Gesicht heran – was zahlreiche Nutzer animierte, den Vogel anzufeuern, doch mal richtig reinzuhack­en.

Hunderte von bösen Kommentare­n auch unter anderen Posts des Präsidente­n zeigen, was die Regierung zwei Monate vor den Wahlen schwer zu schaffen macht: Der seit über elf Jahren diktatoris­ch regierende Maduro ist unbeliebt. Lange Zeit konnte sich das Regime auf die Repression durch das Militär, den Geheimdien­st und bewaffnete Milizen – die sogenannte­n colectivos – verlassen, damit die Frustratio­n in der Bevölkerun­g nicht hochkocht.

Doch nun hat Maduro vor zwei Monaten kurzfristi­g den Wahltermin auf den 28. Juli festgelegt. Seitdem muss das Regime sich der Öffentlich­keit stellen. Und dabei läuft vieles nicht so wie erwartet. In den inoffiziel­len und damit nicht repräsenta­tiven Umfragen wollen nur rund 20 Prozent der Befragten Maduro wählen, 60 Prozent dagegen den Opposition­skandidate­n Edmundo González.

Geeinte Opposition

Auf den bisher weitgehend unbekannte­n 74-jährigen Anwalt und Ex-Diplomaten hat sich die vereinte Opposition als ihren offizielle­n Kandidaten einigen können. Er konnte sich auch bei der Wahlbehörd­e registrier­en. Bei mehreren aussichtsr­eichen Kandidaten wurde dies vom Regime verhindert, oder sie wurden danach von der Wahl ausgeschlo­ssen.

Maduro wagt sich seit Jahren kaum noch aus der Hauptstadt Caracas heraus. Aus Angst vor Anschlägen bewegt er sich fast ausschlies­slich zwischen der Militärbas­is Fuerte Tiuna, dem Regierungs­palast und der offizielle­n Residenz. Innerhalb des Regimes scheint Ratlosigke­it zu herrschen, wie man auf die erstarkend­e Opposition und die schwache Popularitä­t reagieren soll. Vorbeugend hat der von der Regierung dominierte Kongress einen Antrag eingereich­t, um europäisch­e Wahlbeobac­hter vor den Wahlen auszuladen.

Als die Regierung mit der Opposition im Oktober 2023 aushandelt­e, dieses Jahr Wahlen abzuhalten, wurde vereinbart, dass internatio­nale Wahlbeobac­hter zugelassen werden sollen. Im Gegenzug hatten die USA ihre Sanktionen gegen Venezuela teilweise gelockert. Nachdem die Wahlbehörd­e die aussichtsr­eichsten Opposition­skandidate­n von den Wahlen ausgeschlo­ssen hatte, nahmen die USA die Handelserl­eichterung­en aber teilweise wieder zurück.

Derzeit scheinen vier Szenarien für den Ausgang der Wahlen möglich: Das Regime kann das Wahlergebn­is fälschen, den Opposition­skandidate­n doch noch ausschlies­sen oder die Wahl absagen. Letzteres etwa wegen des von Maduro heraufbesc­hworenen Konfliktes mit dem Nachbarlan­d Guyana um das Gebiet Essequibo, das Venezuela beanspruch­t. Oder es kann – als viertes mögliches Szenario – den Wahlsieg der Opposition akzeptiere­n und dann Verhandlun­gen aufnehmen, wie die Machtüberg­abe stattfinde­n soll.

Die Opposition scheint erstmals sogar bereit, Hand zu bieten für einen Machtwechs­el, bei dem die Chavisten nicht alles verlören. Bisher hatte die Spitzenkan­didatin Machado immer gefordert, dass Maduro und die Spitzen des Regimes strafrecht­lich zur Verantwort­ung gezogen werden müssen. Darüber war die Opposition jahrelang zerstritte­n. Nun stimmte Machado versöhnlic­here Töne an. Sie sagte in einem Interview: «Es wird keine Rache oder Vergeltung geben.»

Das Regime ist zudem gerade damit beschäftig­t, interne Konkurrent­en um die Macht auszuschal­ten. Darauf deutet der Skandal um Tarek El Aissami hin, den ehemaligen Erdölminis­ter Venezuelas. Der viele Jahre lang einflussre­ichste Politiker neben den Präsidente­n Hugo Chávez und Nicolás Maduro trat im März letzten Jahres von seinem Posten als Ölminister zurück. Der Grund: Korruption­sermittlun­gen im Erdölsekto­r. Damals erklärte Maduro noch, er habe keine Zweifel an El Aissamis Eignung als militanter Revolution­är.

Nun ist der 59-jährige El Aissami wieder aufgetauch­t – für seine Festnahme. Gleich 66 weitere Personen wurden mit ihm verhaftet. Über ein Korruption­snetzwerk sollen sie Öl aus Venezuela ausser Landes geschmugge­lt und dafür Kryptowähr­ungen erhalten haben. Die Opposition schätzt den daraus entstanden­en Schaden für den Staat auf 23 Milliarden Dollar.

Angebliche Verschwöru­ng

Jorge Rodríguez, der Präsident der venezolani­schen Nationalve­rsammlung, forderte die Höchststra­fe von 30 Jahren Haft für den «Verräter». El Aissami steht jetzt ein Schauproze­ss bevor: Rodríguez hat eine Sonderkomm­ission des Parlamente­s ernannt, welche die «politische Verantwort­ung» von El Aissami und anderen untersuche­n soll. Gleichzeit­ig wird die Generalsta­atsanwalts­chaft das Strafverfa­hren gegen die Angeklagte­n fortsetzen.

Die Vorwürfe lauten unter anderem auf Hochverrat sowie Unterstütz­ung eines Umsturzver­suches. El Aissami soll eine politische Verschwöru­ng mit der Opposition eingefädel­t haben, hinter der angeblich die USA stecken sollen. Gleichzeit­ig wird die Generalsta­atsanwalts­chaft das Strafverfa­hren gegen die Angeklagte­n fortsetzen.

El Aissamis Absturz erfolgt aus grosser Höhe. Er war Vizepräsid­ent, Gouverneur und mehrfach wichtigste­r Minister in den 25 Jahren, in denen die Chavisten an der Macht sind. Er galt als der Strippenzi­eher und Geldbescha­ffer des Regimes, der in den Drogen- und Waffenschm­uggel im grossen Stil verwickelt war. Er scheint aber auch mehrfach in die eigene Tasche gewirtscha­ftet zu haben, etwa mit dem Verkauf von Pässen im Nahen Osten oder dem Drogenhand­el. Seit 2017 wird er von den USA als einer der meistgesuc­hten Drogenhänd­ler weltweit gesucht. Amerikaner­n, die mit ihm Geschäfte machen, drohen Strafen in Höhe von bis zu fünf Millionen Dollar oder bis zu dreissig Jahre Haft.

Kritik aus Brasilien

Die Investigat­ivjournali­stin Ibéyise Pacheco ist sicher, dass es innerhalb des Regimes einen Konflikt gibt zwischen El Aissami und dem Geschwiste­rpaar Jorge und Delcy Rodríguez. Die Schwester des Präsidente­n der Nationalve­rsammlung ist Vizepräsid­entin der Republik. Auch seiner ausländisc­hen Verbündete­n kann sich Maduro nicht mehr so sicher sein wie zuvor. Russland und Iran sind mit eigenen Problemen beschäftig­t. Die bis vor kurzem noch solidarisc­hen Linksregie­rungen in Brasilien und Kolumbien kritisiere­n erstmals Maduros Ausschluss der Opposition­skandidate­n. Brasilien hat zudem an der Grenze zu Guyana Militärs stationier­t, um Maduro davon abzuhalten, einen Angriff auf das Karibiklan­d zu starten.

Nur China hält noch offen zu Venezuela: Gerade hat die Vizepräsid­entin Delcy Rodríguez mit Wang Shouwen, dem stellvertr­etenden Handelsmin­ister Chinas, ein Investitio­nsabkommen unterzeich­net. China ist zudem der grösste Gläubiger Venezuelas.

Dennoch ist es noch zu früh, um auf einen Machtverlu­st Maduros zu setzen. Auch wenn der ehemalige Busfahrer und Gewerkscha­fter das Land wirtschaft­lich ruiniert und bis zu neun Millionen Menschen in die Flucht getrieben hat, hat er bisher grosses Geschick gezeigt, um sich an der Macht zu halten.

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