Nicolás Maduros Wahlkampf in der Krise
Venezuelas Präsident kämpft gegen sinkende Popularität
«Kratz ihm die Augen aus!», «Beiss ihm in die Halsschlagader!» – das sind einige der Kommentare unter einem Instagram-Post von Venezuelas Präsident Nicolás Maduro. Dort wollte sich der Diktator als tierliebend und volksnah zeigen. Er liess einen Hyazinth-Ara auf seiner Schulter herumklettern. Doch der kam ihm mehrfach mit seinem Schnabel nahe ans Gesicht heran – was zahlreiche Nutzer animierte, den Vogel anzufeuern, doch mal richtig reinzuhacken.
Hunderte von bösen Kommentaren auch unter anderen Posts des Präsidenten zeigen, was die Regierung zwei Monate vor den Wahlen schwer zu schaffen macht: Der seit über elf Jahren diktatorisch regierende Maduro ist unbeliebt. Lange Zeit konnte sich das Regime auf die Repression durch das Militär, den Geheimdienst und bewaffnete Milizen – die sogenannten colectivos – verlassen, damit die Frustration in der Bevölkerung nicht hochkocht.
Doch nun hat Maduro vor zwei Monaten kurzfristig den Wahltermin auf den 28. Juli festgelegt. Seitdem muss das Regime sich der Öffentlichkeit stellen. Und dabei läuft vieles nicht so wie erwartet. In den inoffiziellen und damit nicht repräsentativen Umfragen wollen nur rund 20 Prozent der Befragten Maduro wählen, 60 Prozent dagegen den Oppositionskandidaten Edmundo González.
Geeinte Opposition
Auf den bisher weitgehend unbekannten 74-jährigen Anwalt und Ex-Diplomaten hat sich die vereinte Opposition als ihren offiziellen Kandidaten einigen können. Er konnte sich auch bei der Wahlbehörde registrieren. Bei mehreren aussichtsreichen Kandidaten wurde dies vom Regime verhindert, oder sie wurden danach von der Wahl ausgeschlossen.
Maduro wagt sich seit Jahren kaum noch aus der Hauptstadt Caracas heraus. Aus Angst vor Anschlägen bewegt er sich fast ausschliesslich zwischen der Militärbasis Fuerte Tiuna, dem Regierungspalast und der offiziellen Residenz. Innerhalb des Regimes scheint Ratlosigkeit zu herrschen, wie man auf die erstarkende Opposition und die schwache Popularität reagieren soll. Vorbeugend hat der von der Regierung dominierte Kongress einen Antrag eingereicht, um europäische Wahlbeobachter vor den Wahlen auszuladen.
Als die Regierung mit der Opposition im Oktober 2023 aushandelte, dieses Jahr Wahlen abzuhalten, wurde vereinbart, dass internationale Wahlbeobachter zugelassen werden sollen. Im Gegenzug hatten die USA ihre Sanktionen gegen Venezuela teilweise gelockert. Nachdem die Wahlbehörde die aussichtsreichsten Oppositionskandidaten von den Wahlen ausgeschlossen hatte, nahmen die USA die Handelserleichterungen aber teilweise wieder zurück.
Derzeit scheinen vier Szenarien für den Ausgang der Wahlen möglich: Das Regime kann das Wahlergebnis fälschen, den Oppositionskandidaten doch noch ausschliessen oder die Wahl absagen. Letzteres etwa wegen des von Maduro heraufbeschworenen Konfliktes mit dem Nachbarland Guyana um das Gebiet Essequibo, das Venezuela beansprucht. Oder es kann – als viertes mögliches Szenario – den Wahlsieg der Opposition akzeptieren und dann Verhandlungen aufnehmen, wie die Machtübergabe stattfinden soll.
Die Opposition scheint erstmals sogar bereit, Hand zu bieten für einen Machtwechsel, bei dem die Chavisten nicht alles verlören. Bisher hatte die Spitzenkandidatin Machado immer gefordert, dass Maduro und die Spitzen des Regimes strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden müssen. Darüber war die Opposition jahrelang zerstritten. Nun stimmte Machado versöhnlichere Töne an. Sie sagte in einem Interview: «Es wird keine Rache oder Vergeltung geben.»
Das Regime ist zudem gerade damit beschäftigt, interne Konkurrenten um die Macht auszuschalten. Darauf deutet der Skandal um Tarek El Aissami hin, den ehemaligen Erdölminister Venezuelas. Der viele Jahre lang einflussreichste Politiker neben den Präsidenten Hugo Chávez und Nicolás Maduro trat im März letzten Jahres von seinem Posten als Ölminister zurück. Der Grund: Korruptionsermittlungen im Erdölsektor. Damals erklärte Maduro noch, er habe keine Zweifel an El Aissamis Eignung als militanter Revolutionär.
Nun ist der 59-jährige El Aissami wieder aufgetaucht – für seine Festnahme. Gleich 66 weitere Personen wurden mit ihm verhaftet. Über ein Korruptionsnetzwerk sollen sie Öl aus Venezuela ausser Landes geschmuggelt und dafür Kryptowährungen erhalten haben. Die Opposition schätzt den daraus entstandenen Schaden für den Staat auf 23 Milliarden Dollar.
Angebliche Verschwörung
Jorge Rodríguez, der Präsident der venezolanischen Nationalversammlung, forderte die Höchststrafe von 30 Jahren Haft für den «Verräter». El Aissami steht jetzt ein Schauprozess bevor: Rodríguez hat eine Sonderkommission des Parlamentes ernannt, welche die «politische Verantwortung» von El Aissami und anderen untersuchen soll. Gleichzeitig wird die Generalstaatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen die Angeklagten fortsetzen.
Die Vorwürfe lauten unter anderem auf Hochverrat sowie Unterstützung eines Umsturzversuches. El Aissami soll eine politische Verschwörung mit der Opposition eingefädelt haben, hinter der angeblich die USA stecken sollen. Gleichzeitig wird die Generalstaatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen die Angeklagten fortsetzen.
El Aissamis Absturz erfolgt aus grosser Höhe. Er war Vizepräsident, Gouverneur und mehrfach wichtigster Minister in den 25 Jahren, in denen die Chavisten an der Macht sind. Er galt als der Strippenzieher und Geldbeschaffer des Regimes, der in den Drogen- und Waffenschmuggel im grossen Stil verwickelt war. Er scheint aber auch mehrfach in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben, etwa mit dem Verkauf von Pässen im Nahen Osten oder dem Drogenhandel. Seit 2017 wird er von den USA als einer der meistgesuchten Drogenhändler weltweit gesucht. Amerikanern, die mit ihm Geschäfte machen, drohen Strafen in Höhe von bis zu fünf Millionen Dollar oder bis zu dreissig Jahre Haft.
Kritik aus Brasilien
Die Investigativjournalistin Ibéyise Pacheco ist sicher, dass es innerhalb des Regimes einen Konflikt gibt zwischen El Aissami und dem Geschwisterpaar Jorge und Delcy Rodríguez. Die Schwester des Präsidenten der Nationalversammlung ist Vizepräsidentin der Republik. Auch seiner ausländischen Verbündeten kann sich Maduro nicht mehr so sicher sein wie zuvor. Russland und Iran sind mit eigenen Problemen beschäftigt. Die bis vor kurzem noch solidarischen Linksregierungen in Brasilien und Kolumbien kritisieren erstmals Maduros Ausschluss der Oppositionskandidaten. Brasilien hat zudem an der Grenze zu Guyana Militärs stationiert, um Maduro davon abzuhalten, einen Angriff auf das Karibikland zu starten.
Nur China hält noch offen zu Venezuela: Gerade hat die Vizepräsidentin Delcy Rodríguez mit Wang Shouwen, dem stellvertretenden Handelsminister Chinas, ein Investitionsabkommen unterzeichnet. China ist zudem der grösste Gläubiger Venezuelas.
Dennoch ist es noch zu früh, um auf einen Machtverlust Maduros zu setzen. Auch wenn der ehemalige Busfahrer und Gewerkschafter das Land wirtschaftlich ruiniert und bis zu neun Millionen Menschen in die Flucht getrieben hat, hat er bisher grosses Geschick gezeigt, um sich an der Macht zu halten.