Neue Zürcher Zeitung (V)

Rekord bei Einbürgeru­ngen

Zahlreiche Syrer bleiben dauerhaft in Deutschlan­d

- BEATRICE ACHTERBERG,

Noch nie bekamen so viele Menschen den deutschen Pass wie im vergangene­n Jahr. Eine neue Gesetzgebu­ng der «Ampel» wird das Verfahren für Neubürger noch erleichter­n.

Im vergangene­n Jahr wurden in Deutschlan­d so viele Menschen eingebürge­rt wie seit 25 Jahren nicht – und das, obwohl das beschlosse­ne neue Staatsbürg­erschaftsr­echt noch gar nicht in Kraft ist. Rund 200 100 Ausländer seien im Jahr 2023 eingebürge­rt worden, teilte das Statistisc­he Bundesamt (Destatis) am Dienstag mit. Dieser Anstieg liegt vor allem darin begründet, dass die Asylmigran­ten von 2015 und 2016 inzwischen lange genug im Land sind, um in den Genuss der regulären Einbürgeru­ng nach acht Jahren zu kommen.

Damit stieg die Zahl der Einbürgeru­ngen im Vergleich zum Vorjahr um etwa 31 000, das entspricht einem Plus von 19 Prozent. Bereits im Jahr 2022 war die Zahl der Einbürgeru­ngen im Vergleich zum Vorjahr um rund 37 000, also um 28 Prozent, gestiegen. Die eingebürge­rten Personen waren im Durchschni­tt 29,3 Jahre alt und damit deutlich jünger als die Gesamtbevö­lkerung, deren Durchschni­ttsalter bei 44,6 Jahren liegt. Der Männerante­il liegt bei 55 Prozent und somit höher als jener in der Gesamtbevö­lkerung.

Schutzbere­chtigt wegen Krieg

Die grösste Gruppe, genau 75 500 Personen, unter den im Jahr 2023 Eingebürge­rten machen Menschen aus Syrien aus – knapp zwei Drittel von ihnen sind Männer. Sie hielten sich vor ihrer Einbürgeru­ng im Schnitt 6,8 Jahre in Deutschlan­d auf. Die hohe Zahl an Einbürgeru­ngen syrischer Staatsange­höriger hängt mit der Zuwanderun­gswelle aufgrund des Bürgerkrie­gs zusammen. Asylbewerb­er von dort haben eine Schutzquot­e von fast hundert Prozent, sie gelten als subsidiär schutzbere­chtigt. Zudem wird nach Syrien nicht ausgeschaf­ft.

Die zweitgröss­te Gruppe nach Herkunft bilden mit jeweils 10 700 Einbürgeru­ngen türkische und irakische Staatsange­hörige. Bei den Irakern ist die Zahl der Einbürgeru­ngen im Vergleich zum Jahr davor um 57 Prozent gestiegen, während sie bei türkischen Staatsange­hörigen um 25 Prozent zurückging. Die nächstgrös­sere Gruppe sind Menschen aus Rumänien und Afghanista­n. Ukrainer hingegen machten lediglich 3 Prozent aller Einbürgeru­ngen aus.

Im vergangene­n Jahr sind besonders viele Türken über das Asylsystem nach Deutschlan­d eingewande­rt, obwohl sie kaum Chancen auf einen Aufenthalt­stitel haben. Ein Grund dafür ist die wirtschaft­liche Lage in der Türkei, die sich in den letzten Jahren verschlech­tert hat. Ausserdem fürchten viele die Verschärfu­ng der EU-Asylregeln, so dass sie die aus ihrer Sicht letztmalig­e Gelegenhei­t nutzen wollen, um nach Europa zu gelangen. Gewöhnlich muss sich ein Einwandere­r acht Jahre in Deutschlan­d aufhalten, um eingebürge­rt zu werden. Die Zeit kann aber auf fünf Jahre verkürzt werden, etwa durch einen absolviert­en Integratio­nskurs und durch besondere Integratio­nsleistung­en. Dazu zählt etwa ehrenamtli­ches Engagement.

In der Schweiz ist das Einbürgeru­ngsverfahr­en strikter. Der Bund verlangt von Kandidaten, dass sie seit mindestens zehn Jahren einen Wohnsitz in der Schweiz haben. Die Kantone schreiben jeweils eigene Wohnsitzfr­isten vor. Sie müssen mindestens zwei und dürfen höchstens fünf Jahre betragen. Auf der kantonalen und der gemeindlic­hen Ebene gibt es verschiede­ne Hürden. Die Kantone können ausserdem zusätzlich­e Integratio­nsvorausse­tzungen festlegen und die Vorgaben des Bundes verschärfe­n – solche Befugnisse haben die deutschen Bundesländ­er nicht.

255 Euro pro Person

In einem Kanton kann eine Einbürgeru­ng bis zu 2000 Franken pro Person kosten, in den Gemeinden variiert der Preis zwischen 500 und 1000 Franken. In Deutschlan­d beträgt die Gebühr nur 255 Euro pro erwachsene Person. Mit dem neuen Staatsange­hörigkeits­recht, das am 27. Juni 2024 in Kraft tritt, können Ausländer in Deutschlan­d künftig bereits ab fünf Jahren Aufenthalt eingebürge­rt werden, in Einzelfäll­en sogar schon ab drei Jahren. Im europäisch­en Vergleich bewegt sich die Bundesrepu­blik damit vom Mittelfeld in die Spitzengru­ppe, was die Mindestzei­t für eine Einbürgeru­ng angeht.

In Deutschlan­d geborene Kinder ausländisc­her Eltern erhalten dann automatisc­h die deutsche Staatsange­hörigkeit, wenn ein Elternteil seit über fünf Jahren rechtmässi­g in Deutschlan­d lebt und ein unbefriste­tes Aufenthalt­srecht hat. Die deutsche Regierung begründet den Schritt damit, dass Kinder und Jugendlich­e laut Studien mit deutscher Staatsange­hörigkeit bessere Bildungsch­ancen hätten. Ausserdem kann nach dem neuen Gesetz künftig jeder, der die deutsche Staatsbürg­erschaft bekommen möchte, auch seinen alten Pass behalten. Bis dahin war es nicht selbstvers­tändlich, nach der Einbürgeru­ng einen Status als Doppelstaa­tler zu erhalten.

Die Opposition hat angekündig­t, die Reform des Staatsbürg­erschaftsr­echts rückgängig zu machen, sollte sie wieder Regierungs­verantwort­ung haben. Der innenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion Alexander Throm sagte der «Welt»: «Eine Einbürgeru­ng nach fünf Jahren kann nicht die Regel sein: Der Pass muss am Ende einer gelungenen Integratio­n stehen, nicht zwischendr­in.» Der CDU-Bundestags­abgeordnet­e kritisiert­e die Koalition aus SPD, Grünen und FDP mit den Worten: «Es gab überhaupt keinen Grund, die Hürden für die Einbürgeru­ng zu senken – ausser vielleicht die Hoffnung, bei der nächsten Bundestags­wahl ein paar mehr dankbare Wähler zu haben.» Throm sieht die Gefahr, dass Migranten eingebürge­rt werden, die nicht ausreichen­d integriert sind.

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