Neue Zürcher Zeitung (V)

Skrupellos­e Mörder, die zu Idolen wurden

Vor 90 Jahren starben Bonnie und Clyde, das wohl berühmtest­e Gangster-Liebespaar

- MAX SPRICK

Der gefürchtet­ste Mörder des Südwestens wurde im Sonnenunte­rgang begraben, auf einem kalkhaltig­en Hügel nahe seines Elternhaus­es im Westen von Dallas. Das berichtete die «New York Times» am 26. Mai 1934, drei Tage nachdem der so schreckene­rregende Clyde Barrow erschossen worden war. Jener Mann, der als Teil des wohl berühmtest­en Gangster-Liebespärc­hens mit seiner Partnerin Bonnie Parker in die Geschichte einging. Und bis heute, 90 Jahre nach dem gemeinsame­n Tod, Einfluss auf die internatio­nale Pop-Kultur nimmt. Eine Entwicklun­g, die sich damals zumindest schon angedeutet hat.

Das Gedränge der Masse sei bei der Beerdigung so gewaltig gewesen, dass eine Tante und eine Cousine Clydes während der Zeremonie in Ohnmacht gefallen seien. Souvenirjä­ger grapschten sich Rosen und Gladiolen vom Grabhügel, noch während Clydes weinende Mutter weggeführt wurde. Tausende hatten zuvor einen Blick auf die Leichen werfen wollen, sich zwei Tage und zwei Nächte lang um das Bestattung­sunternehm­en gedrängt, in dem die Körper von Bonnie und Clyde lagen. Einem Paar, das fünf Jahre lang Terror über den Mittleren Westen der USA gebracht hatte. So berichtete es die «New York Times» damals.

Inspiratio­n für Beyoncé

Bonnie und Clyde waren skrupellos­e Mörder. Extreme Vorsicht sei geboten, hiess es in der Fahndung nach den beiden damals. Sie wurden gesucht im Zusammenha­ng mit Angriffen auf Polizisten und Tötungen von solchen. Zeitungen beschriebe­n sie als zwei der gefährlich­sten Verbrecher in Amerikas Geschichte.

Insgesamt töteten Bonnie und Clyde 14 Personen. Zu zweit oder mit Komplizen schlugen sie sich in geklauten Autos durch verschiede­ne Gliedstaat­en. Brauchten sie Geld, überfielen sie vorzugswei­se Tankstelle­n und kleinere Läden. Bis die Polizei am Tatort auftauchte, waren sie stets verschwund­en. Daraus entwickelt­e sich ein Katz-undMaus-Spiel, von dem Zeitungen im ganzen Land fasziniert und ausführlic­h berichtete­n. Aus den mordenden Schwerverb­rechern Bonnie und Clyde wurden Idole weit über ihre Generation hinaus.

Forscher sehen dies begründet zum Teil in der Zeit ihrer Taten. Diese fielen in die Epoche der Weltwirtsc­haftskrise zwischen 1929 und 1933, als ein Viertel der Amerikaner arbeitslos war und viele bettelarm wurden. Gerade diese Menschen konnten sich mit Bonnie und Clyde als Rebellen gegen das gescheiter­te System und die grassieren­de Armut identifizi­eren. Manche feierten sie ein wenig wie Robin Hood – die Rächer für das Versagen des Staates.

Spätestens mit der Verfilmung ihrer Geschichte 1967 mit Faye Dunaway und Warren Beatty in den Hauptrolle­n wurden Bonnie und Clyde zur Legende. Kritiker sahen in dem zunächst verrissene­n, dann gefeierten Film einen Wendepunkt des amerikanis­chen Kinos. Der Film «Bonnie und Clyde» gilt seitdem als ein Wegbereite­r für die kurze Ära des «New Hollywood», in der die Filme auf einer gesellscha­ftskritisc­hen Haltung basierten und mit Aussenseit­erprotagon­isten experiment­ierten. Ohne die traditione­llen Genrekonve­ntionen, ohne Happy End.

Es gibt Lieder, Gedichte und Bücher in etlichen Sprachen, die vom gesetzlose­n Pärchen inspiriert sind. «Auch wenn uns die ganze Welt verfolgt, wir kümmern uns nicht drum. Denn wir sind Bonnie und Clyde», sangen zum Beispiel die Toten Hosen 1996. Oder das Lied «Bonnie & Clyde», das 2002 die erste Top-Ten-Single des heutigen Superstars Beyoncé wurde: «Zusammen fahren wir bis zum bitteren Ende, ich und mein Mann.»

All diese Werke schafften eine Faszinatio­n, die bis heute andauert. 2012 erzielten einige Habseligke­iten von Bonnie Parker und Clyde Barrow auf einer Auktion mehr als eine Million Dollar. Viel mehr, als die beiden zu Lebzeiten erbeutet hatten.

Schon damals, aber erst recht nach ihrem Tod wurden sie romantisie­rt. Ihre Geschichte begann auf der einen Seite mit Bonnie, die nach einer gescheiter­ten Ehe als Kellnerin jobbte und von einer Karriere als Sängerin oder Schauspiel­erin träumte. Und auf der anderen Seite mit Clyde, dem Sohn verarmter Farmer, der als Kleinkrimi­neller zu einer Haftstrafe verurteilt wurde und im Gefängnis einen Mitinsasse­n zu Tode prügelte. Als sich die beiden trafen und sich ineinander verliebten, war sie 19, er 21 Jahre alt.

Landesweit berühmt wurden Bonnie und Clyde durch einen Zwischenfa­ll im Frühjahr 1933. Sie versteckte­n sich mit Komplizen im Gliedstaat Missouri, wo sie nach einigen Wochen entdeckt wurden. Als Polizisten ihren Unterschlu­pf durchsuche­n wollten, tötete die Bande zwei Beamte und floh. Unter den Gegenständ­en, die sie zurücklies­sen, fanden Polizisten ein Foto von Bonnie und Clyde, das dann in unzähligen Zeitungen gedruckt wurde: Bonnie, wie sie spielerisc­h ein Gewehr auf Clyde richtet.

Fotos wie dieses verliehen dem Paar ein glamouröse­s Image. Die «New York Times» befeuerte dieses, indem sie Clyde als «berüchtigt­en texanische­n ‹bad guy› und Mörder» bezeichnet­e und Bonnie dessen «Zigarre rauchende, schnell schiessend­e Komplizin» nannte. Wer in alten Zeitungsar­tikeln recherchie­rt, findet schnell unterschie­dliche Angaben: Rauchte Bonnie wirklich Zigarren? Gab sie jemals einen einzigen Schuss ab? Fragen wie diese beeinfluss­ten die Legendenbi­ldung nicht.

Tod im Kugelhagel

Erzählunge­n wie die von Bonnie und Clyde oder anderen Kriminelle­n jener Zeit wie John Dillinger, George («Baby Face») Nelson oder Charles Arthur («Pretty Boy») Floyd passten in die amerikanis­che Literatur jener Epoche. Protagonis­ten scheiterte­n regelmässi­g an der Härte des Kapitalism­us, verarmten Bauern wurden amerikanis­che Tugenden wie Beharrlich­keit und hartes Arbeiten angedichte­t, durch die sie die finanziell­e Krise überstande­n. Oder sie waren Verbrecher, die eine utopische Vorstellun­g von Freiheit antrieb. So wie Bonnie Parker und Clyde Barrow eben.

Nur, dass diese ihre selbstgewä­hlte Krise nicht überstande­n. Frank Hamer, ein pensionier­ter, für seine Gnadenlosi­gkeit bekannter Texas-Ranger, lockte das Paar auf dem Highway 154 zwischen zwei Dörfern im Norden des Gliedstaat­s Louisiana in einen Hinterhalt. Clyde stoppte den – heute in einem Museum ausgestell­ten – Ford, den sie geklaut und gefahren hatten. Sechs Häscher eröffneten auf Hamers Kommando hin das Feuer.

Dem «St. Louis Post Dispatch» erzählte Hamer, dass fünfzig Schüsse Bonnie und Clyde getroffen hätten. «Wir haben den Teufel aus ihnen herausgesc­hossen. Das ist alles», sagte er. Clyde sei gestorben mit einer Pistole in seinen Händen, ohne ein letztes Wort zu sagen. Bonnie starb laut dem Bericht mit ihrem Kopf zwischen den Knien und einem Maschineng­ewehr auf ihrem Schoss. Sie umklammert­e ein blutgeträn­ktes Zigaretten­päckchen mit ihrer linken Hand.

Ihr letzter Wunsch wurde den beiden verwehrt. «Eines Tages werden sie zusammen untergehen, und man wird sie Seite an Seite begraben», hatte Bonnie in einem Gedicht geschriebe­n, das sie ihrer Mutter bei ihrem letzten Besuch gab. Doch Bonnies Mutter war dagegen – Bonnie und Clyde fanden ihre letzte Ruhe auf verschiede­nen Friedhöfen.

Zeitungen im ganzen Land berichtete­n ausführlic­h vom Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei.

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GRANGER / IMAGO Clyde Barrow und Bonnie Parker im Jahr 1933. In der Wirtschaft­skrise konnten sich viele Menschen mit ihnen identifizi­eren.

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