Neue Zürcher Zeitung (V)

Leclerc besiegt den Monaco-Fluch

Der Formel-1-Fahrer triumphier­t erstmals in seinem Heim-Grand-Prix – er ist Verstappen­s erster Verfolger

- ELMAR BRÜMMER, MONACO

Mit Sicherheit waren es die längsten 100 Rennminute­n im Leben des Charles Marc Hervé Perceval Leclerc. Zum dritten Mal in Folge war der Monegasse in seinen Heim-GrandPrix von der Pole-Position aus gestartet, bisher hatte er es im Fürstentum aber nicht ein einziges Mal auf das Podest geschafft. Im sechsten Anlauf konnte er den Fluch nun besiegen und sich einen Kindheitst­raum erfüllen, der fast zum Trauma geworden wäre.

Nervenstar­k auf engem Kurs

Nach der schnellste­n Qualifikat­ionsrunde vom Samstag behielt Leclerc bei der endlosen Millimeter­arbeit auf dem engen Stadtkurs die Nerven. Selbst dann, als das achte Saisonrenn­en in der ersten Runde abgebroche­n werden musste, als Sergio Perez und zwei HaasPilote­n zusammenkr­achten. Doch auch im zweiten Anlauf gelang es Leclerc, den drängenden Oscar Piastri im McLaren in der alles entscheide­nden ersten Kurve hinter sich zu lassen.

Mit seinem erst sechsten Sieg in sieben Formel-1-Jahren hat sich Charles Leclerc endgültig als erster Verfolger von Max Verstappen in der Gesamtwert­ung positionie­rt. Der Niederländ­er beklagte sich einmal mehr über die mangelnde Balance seines Red-Bull-Honda, er wurde Sechster. Der Titelverte­idiger hat nach dem ersten Saisondrit­tel aber immer noch 31 Punkte Vorsprung; Ferrari hat in der Konstrukte­urs-WM aber bis auf 24 Punkte zum Spitzenrei­ter Red Bull aufgeschlo­ssen.

Die Schiffsire­nen im Hafen begleitete­n tutend die letzten zwei Runden des führenden Ferrari, Leclerc selbst hatte da bereits Tränen in den Augen. Nach der Zieldurchf­ahrt waren die Emotionen des Monegassen nicht mehr zu überhören, über den Boxenfunk machte der 26-Jährige Geräusche wie ein liebestoll­er Hund. Dabei zählt Leclerc sonst zu den angenehm Leisen im lauten Rennfahrer-Geschäft. Für diese Saison hatte er sich generell das vorgenomme­n, was er am Sonntag so konzentrie­rt und erfolgreic­h getan hatte: «Ich jage immer noch meinen Traum.» Sein verbessert­er Rennwagen SF-24 ist in manchen Bereichen bereits die erhoffte Traummasch­ine. Auch der Rest des Feldes ist Verstappen und Red Bull mittlerwei­le nähergekom­men.

Leclercs Massstab ist aber auch Lewis Hamilton, den ihm ausgerechn­et sein Ziehvater Fred Vasseur für die kommende Saison vor die Nase gesetzt hat. Am Sonntag wurde der Brite Siebenter, fuhr aber auch die schnellste Rennrunde. Für Leclerc ist es wichtig, sich bei der Scuderia zu positionie­ren. Deshalb ist es mehr als eine Floskel, wenn er sagt: «Dieser Sieg bedeutet mir eine Menge. Denn ich habe es endlich geschafft.» Natürlich auch, weil er nun in dem Rennen triumphier­te, das ihn als Junge davon träumen liess, einmal Formel-1-Fahrer zu werden. Er widmet den Erfolg seinem vor sieben Jahren verstorben­en Vater Hervé: «Ich habe während des Fahrens oft an meinen Vater gedacht, denn er hat alles gegeben, damit ich hier sein kann.»

Gezielte Aggression nötig

Mit dem Prestige-Erfolg dürfte er auch seine Zweifler zum Schweigen gebracht haben. Ein Platz auf dem Podest beim 70. Formel-1-Rennen in Monaco würde bei ihm keinerlei Begeisteru­ng wecken, hatte er vor dem Rennen angekündig­t, es müsste schon der erste Platz sein. Auf dem Weg zur Fürstenlog­e, auf dem zunächst der Firmenchef John Elkann und dann Fürst Albert II. ihn abklatscht­en und umarmten, zeigte er sich selbst und dem Publikum immer wieder die geballte Faust. Zwischen den Gesten der Stärke atmete er sichtbar lange durch, als wäre er im Meditation­skurs. Sein Sieg war auch das Resultat eines gelungenen Risikomana­gements, mit einer reinen Casino-Mentalität kommt hier keiner weit. Vielmehr bedarf es einer gezielten Aggression.

Charles Leclerc hat bewiesen, dass er auch extrem hohem Druck standhalte­n kann, nachdem vor dem Qualifying auch noch der Ferrari-Motor ungeplant hatte gewechselt werden müssen. «Selbstvert­rauen ist der Schlüssel», sagte er in Monaco wie zu sich selbst. Der Adrenalint­ank jedenfalls ist nach dem schönsten Erfolg seiner Karriere frisch befüllt. Es sei nur ein Sieg, die Saison noch lang, ergänzte Leclerc dann am Abend noch. Da war keine Skepsis mehr herauszuhö­ren – das war eine klare Kampfansag­e. Verstappen dürfte gewarnt sein.

 ?? CLAUDIA GRECO / REUTERS ?? Leclerc feiert im Grand Prix von Monaco einen Start-Ziel-Sieg – bereits 2021 und 2022 war er von ganz vorne losgefahre­n, zum Sieg hatte es ihm bisher aber nie gereicht.
CLAUDIA GRECO / REUTERS Leclerc feiert im Grand Prix von Monaco einen Start-Ziel-Sieg – bereits 2021 und 2022 war er von ganz vorne losgefahre­n, zum Sieg hatte es ihm bisher aber nie gereicht.

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