Ein laxer Rettungseinsatz mit Folgen
Die Ombudsstelle nimmt Beschwerden über die Stadtverwaltung entgegen – darunter sind neben gravierenden auch kuriose Fälle
Herr K. schafft es noch, in der Nacht die Notrufnummer 144 anzurufen. Er hat Mühe mit Sprechen, ein typisches Anzeichen für einen Schlaganfall. Die Person am anderen Ende der Leitung reagiert schnell: Sie schickt eine Ambulanz zu Herrn K., der in einer Wohnung in der Stadt Zürich lebt. Als die Rettungssanitäter eintreffen, ist K. in der Lage, ihnen die Türe zu öffnen. Was dann passiert, lässt ihn am Vorgehen der Sanitäter zweifeln. Und auch an Schutz und Rettung Zürich (SRZ), jener städtischen Organisation, der die Sanität angehört.
Gemeinsam mit einem Sanitäter fährt K. im Lift ins Erdgeschoss. Zu Fuss geht es zum Rettungsfahrzeug, das nicht direkt vor dem Haus steht, sondern vor einer anderen Liegenschaft, die 40 bis 50 Meter entfernt ist. Als K. dann mit Blaulicht ins Stadtspital gefahren wird – es muss offenbar schnell gehen –, wundert er sich über den vorangegangenen «lockeren Evakuierungsstil».
Das Gefühl verstärkt sich auf der Notfallstation. Dort muss K. liegen bleiben, auch auf die Toilette darf er nicht. Und als er später wieder erste Gehversuche machen kann, wird er wegen Sturzgefahr ständig von einer Pflegefachperson
begleitet. K. fragt sich: Wie ist es möglich, dass ihn die Sanitäter vorher noch selbständig zum Rettungsfahrzeug gehen liessen?
Er meldet sich via Kontaktformular bei SRZ. Dann passiert erst einmal: nichts. K. ärgert sich – und gelangt an die Stadtzürcher Ombudsstelle. Eine Mitarbeiterin erkundigt sich daraufhin bei Schutz und Rettung Zürich. Dort wird ihr bestätigt, dass der Einsatz für Herrn K. zwar im System zu finden sei, aber nicht seine Reklamation. Das sei unangenehm, und man werde sich baldmöglichst bei K. melden.
Ein längeres Hin und Her
Die Ombudsstelle ist da, wenn Zürcherinnen und Zürcher Probleme mit der Stadtverwaltung melden wollen – so wie Herr K. Insgesamt 1542 neue Fälle hat die Ombudsstelle im Berichtsjahr 2023 behandelt. 946 Anfragen und 596 Geschäfte; mit Letzteren sind Fälle gemeint, die vertiefte Abklärungen und Beratungen erfordern. Während die Zahl der Anfragen gemäss Jahresbericht leicht abgenommen hat, registrierte die Stelle 5 Prozent mehr Geschäfte. Damit wurde ein Höchststand erreicht wie letztmals im Jahr 2011.
Der Fall von Herrn K. zeigt, dass sich manche Fälle über längere Zeit hinziehen. Denn K. erhält zwar, wenige Tage nachdem sich die Ombudsstelle eingeschaltet hat, einen Brief vom Kundendienst von Schutz und Rettung Zürich. Doch er ist nicht zufrieden damit.
Im Brief heisst es, K. sei den Sanitätern in jener Nacht von seiner Wohnung aus entgegengekommen. Und weil bei einem mutmasslichen Schlaganfall Zeit ein kritischer Faktor sei, habe man K. umgehend zu Fuss zum Rettungsfahrzeug begleitet. Dieses habe wegen der örtlichen Gegebenheiten nicht direkt zum Haus fahren können.
K. hingegen hält daran fest, dass er bis zum Eintreffen der Ambulanz in der Wohnung geblieben sei. Er wünscht sich ein Gespräch mit dem Rettungssanitäter, um die Angelegenheit klären zu können. Doch das wird ihm verwehrt. Man wolle K. schriftlich antworten – was die Ombudsstelle verwundert zur Kenntnis nimmt.
Schliesslich meldet sich der Chefarzt von Schutz und Rettung persönlich bei K. Er entschuldigt sich bei K. und bestätigt ihm, dass sein Fall «glasklar» medizinisch und kommunikativ falsch gelaufen sei. Die beiden beteiligten Sanitäter seien nicht mehr bei SRZ beschäftigt. Für Herrn K. ist die Sache erledigt.
Nicht aber für die Ombudsstelle: Sie will wissen, warum es rund fünf Monate dauert, bis K. eine befriedigende Antwort erhält. Es kommt zu einem Gespräch mit dem Chefarzt und dem zuständigen Abteilungsleiter. Dort sind sich alle einig, dass im Fall einiges schiefgelaufen ist. Die Beschwerde hätte schneller bearbeitet und der zuständige Fachdienst früher mit einbezogen werden müssen.
Das unglückliche Fehlermanagement dürfte auch mit dem Web-Auftritt der Stadt zusammenhängen, wie die Ombudsstelle festhält. Denn der Kontaktlink auf fast allen Unterseiten der städtischen Dienstleistungen führt nicht zur jeweiligen Abteilung, sondern zur allgemeinen Stadtverwaltung. Offenbar haben deshalb Personen, die in der Vergangenheit bei der Ombudsstelle Rat suchten, vertrauliche Meldungen versehentlich an die Verwaltung geschickt.
Zum Fall K. hält Ombudsmann Pierre Heusser in seinem Bericht fest: «Der Fall zeigt, dass gerade in Angelegenheiten, bei denen es um Leben und Tod geht und in denen sich jemand nicht korrekt behandelt fühlt, besondere Sorgfalt auf ein gutes und funktionierendes Beschwerdemanagement zu legen ist.»
Streit um Nachhilfeunterricht
Nicht alle Fälle sind von so existenzieller Natur wie derjenige von Herrn K. Oft geht es auch um Geldfragen, wie das Beispiel von Frau T. zeigt, das im Jahresbericht ebenfalls aufgeführt ist. T. hat für ihre Tochter privaten Nachhilfeunterricht in Französisch organisiert. Dies, weil in der Sekundarschule ihrer Tochter kurz vor der Gymi-Aufnahmeprüfung Projektwochen angeordnet wurden. Alle Französischstunden sowie der ursprünglich angekündigte Prüfungsvorbereitungskurs fielen aus.
Weil schon in den Monaten zuvor etliche Male der Französischunterricht wegen Personalausfällen nicht stattgefunden hat, ist T. davon überzeugt, dass das Grundrecht ihrer Tochter auf Schulunterricht verletzt wird und die Schule das Volksschulgesetz nicht richtig umsetzt. Sie verlangt, dass die Schule die 1100 Franken für den Privatunterricht ihrer Tochter übernimmt.
Es folgt ein monatelanges Hin und Her. Erst wird das Gesuch abgelehnt, dann stellen die Schulbehörden in Aussicht, einen Teil der Kosten zu übernehmen – und lehnen das Gesuch dann doch wieder ab. Nach mehreren Gesprächen stellt sich heraus: Frau T. hat aus juristischer Sicht keinen Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung.
Weil ihr aber ursprünglich eine Zahlung in Aussicht gestellt worden ist, erhält sie 500 Franken.
Ombudsmann Pierre Heusser erachtet das Recht auf Grundschulunterricht nicht als verletzt. Für die kurzfristig angesetzten Projektwochen habe es gute Gründe gegeben. Und er schreibt: «Das Bestehen der Aufnahmeprüfung für das Gymnasium wird überdies kaum davon abhängig sein, ob in den beiden Wochen davor regulärer oder besonderer Unterricht stattgefunden hat.» Er kritisiert aber die Art und Weise, wie die Behörden mit der Mutter kommunizierten.
Sex in Bibliotheksmedien
Eher kurios mutet die Beschwerde eines Mannes an, der unzufrieden ist mit der Pestalozzi-Bibliothek. Er kritisiert, dass religiöse und spirituelle Literatur zunehmend verschwinde. Stattdessen landeten immer mehr Medien
Der Chefarzt von Schutz und Rettung entschuldigt sich bei K. und bestätigt ihm, dass sein Fall «glasklar» medizinisch und kommunikativ falsch gelaufen sei.
zu Themen wie Magie, LGBTI, Rassismus und Sexualität im Angebot. In den Filmen der Online-Ausleihe gingen die Protagonisten «nach wenigen Minuten» miteinander ins Bett.
Gegenüber der Ombudsstelle erklärt die Bibliotheksleitung, dass sie mit den Neuanschaffungen keinen politischen Plan verfolge, sondern Neuerscheinungen bestelle, von denen man glaube, dass sie ein Publikum fänden. Bücher, die selten ausgeliehen würden, landeten in der Fundkiste.
Es kommt zu einem Gespräch zwischen dem Mann und der Geschäftsleitung, bei dem er sein Anliegen deponieren kann. In einem Jahr will man noch einmal zusammensitzen, damit der Mann zurückmelden kann, ob er «Verbesserungen» wahrgenommen habe. Der Fall mag kein gewichtiger gewesen sein bei der Ombudsstelle. Aber er zeigt: Die Diskussion, welche Angebote Bibliotheken bieten sollen, hat auch die Schweiz erreicht.