Neue Zürcher Zeitung (V)

Weder links noch rechts

- CHRISTINA NEUHAUS

Die Wahl Roger de Wecks im Jahr 2010 war ein Coup. Der Verwaltung­srat hatte sich mit Absicht nicht für einen Manager entschiede­n, sondern für einen Publiziste­n. Der damalige Medienmini­ster, der Zürcher Sozialdemo­krat Moritz Leuenberge­r, hatte kurz vor Ende des Selektions­verfahrens noch schnell die Anforderun­gskriterie­n geändert und so de Wecks Weg geebnet.

De Weck, der ehemalige Chefredakt­or des «Tages-Anzeigers» und der «Zeit», verströmte den diskreten Charme des zur Salon-Bourgeoisi­e gewordenen Patriziats. Er galt als soziallibe­ral, SVP-kritisch und überaus europafreu­ndlich. Seine Mitgliedsc­haft in der Neuen Europäisch­en Bewegung und im Club Helvétique schadete seiner Wahl nicht, sondern beflügelte sie.

Die selbsterna­nnten links-progressiv­en Kreise waren begeistert, bei den Bürgerlich­en und einigen ehemaligen Weggefährt­en hielt sich die Freude in Grenzen. Der Publizist Kurt W. Zimmermann, der de Wecks Führungsst­il als Mitglied der Tamedia-Konzernlei­tung erlebt hatte, nannte ihn einen «AntiManage­r». Christoph Mörgeli, damals noch SVP-Nationalra­t und Christoph Blochers Chefstrate­ge, schrieb: «Ich kann es mir nur so erklären, dass Jean Ziegler eben in Libyen weilt und Fidel Castro offenbar den Gesundheit­scheck nicht bestanden hat.»

Und nun also Susanne Wille. Die ehemalige Moderatori­n und heutige SRFKulturc­hefin soll es richten. Ihr Hauptauftr­ag: der Politik und den Gebührenza­hlern erklären, was mit Service public eigentlich gemeint ist und wie viel es davon braucht. Ihr Vorvorgäng­er de Weck verstand die SRG als eidgenössi­sche Institutio­n, als Bastion des Qualitätsj­ournalismu­s und Bollwerk gegen rechtspopu­listische Kräfte. Für Gilles Marchand wiederum, Willes direkten Vorgänger, war die SRG so etwas wie ein helvetisch­es Medienmono­pol. Das Verständni­s für die Rolle der privaten Medien ging ihm ebenso ab wie das für die Kritiker der SRG.

Sein Blick auf den von ihm verantwort­eten Medienkolo­ss war so eng, dass er Unterstütz­er auch dann nicht sah, wenn sie direkt neben ihm standen. Als der neue Medienmini­ster Albert Rösti im vergangene­n Jahr eine moderate Senkung der Radio- und TV-Gebühr von 335 auf 300 Franken ankündigte, reagierte Marchand mit grosser Dramatik. Wenn die SRG sparen müsse, dann gehe das nur auf Kosten der Sprachmind­erheiten im Süden, Osten und Westen des Landes.

Marchand hätte es besser wissen müssen. Nach dem Nein zur No-Billag-Initiative im Jahr 2018 hatte er aus politische­r Räson ein Reformpake­t von über 100 Millionen Franken angekündig­t, dem er ein weiteres folgen liess. Doch weil die Kostensenk­ungsprogra­mme nicht sonderlich nachhaltig waren und die SRG immer noch mehr Personal einstellte, wurde der politische Druck zu gross. Der SRG-Verwaltung­srat unter dem Präsidente­n Jean-Michel Cina realisiert­e, dass der Abwehrkamp­f unter Marchand kaum zu gewinnen war. Anfang Jahr teilte er mit, die SRG müsse sich auf die politische­n Ereignisse vorbereite­n. Man trenne sich einvernehm­lich und danke Gilles Marchand herzlich «für seinen unermüdlic­hen Einsatz im Dienste des Service public».

Susanne Wille ist weder eine glänzende Publizisti­n noch ein Anstaltsap­paratschik. Sie ist eine gute Journalist­in und Moderatori­n, die als Kulturchef­in bei SRF auch zu einer geübten Medienmana­gerin geworden ist. Mit ihrer profession­ellen und freundlich­en Art ist sie vor allem in der Deutschsch­weiz das nette Gesicht der SRG. Wo sie politisch steht, weiss niemand so genau. Und genau diese Wohltemper­iertheit ist ihr Vorteil. Die SRG hat in den vergangene­n Jahren zu viel politische­s Profil gezeigt. Unter Susanne Wille muss die SRG vor allem die Frage klären, was Service public heute bedeutet.

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