Neue Zürcher Zeitung (V)

In der EU ist Grün keine Modefarbe mehr

Das ehrgeizige Vorhaben des Green Deal ist dem Staatenbun­d entglitten – weitere Konflikte sind absehbar

- DANIEL IMWINKELRI­ED, BRÜSSEL

Das Leben wird teurer, als es bisher war. Als die EU-Kommission­s-Präsidenti­n Ursula von der Leyen Ende 2019 den sogenannte­n Green Deal lancierte, verdrängte­n wohl die meisten den Umstand, dass die ökologisch­e Wende viel Geld kosten wird. Mittlerwei­le ist das den Konsumente­n und Firmen jedoch bewusst geworden: Der Green Deal ist das kostspieli­gste und einschneid­endste Vorhaben, das die EU in der zu Ende gehenden Legislatur des Parlaments initiiert hat. Landwirte und Industriev­ertreter haben aus diesem Grund jüngst heftig gegen den Green Deal aufbegehrt. Viele Umweltaufl­agen sind darauf von der Kommission und den Mitgliedsl­ändern abgeschwäc­ht worden.

Die Grünen waren die Gewinner der EU-Wahlen von 2019. Nie zuvor hatten sie so viele Vertreter nach Brüssel schicken können. Ökologisch­e Themen, vor allem der Klimaschut­z, würden nun wichtiger, schrieben die Medien damals. Als von der Leyen im Dezember 2019 das Europäisch­e Klimageset­z präsentier­te, verglich sie es mit der ersten bemannten Mondlandun­g von 1969. «Ich bin überzeugt, dass der Green Deal eine grossartig­e Chance für Europa ist – auch wirtschaft­lich und gesellscha­ftlich», sagte die Kommission­spräsident­in. In Aussicht stellte sie einen gewaltigen Innovation­sschub.

Das Europäisch­e Klimageset­z verlangt bis 2050 die Klimaneutr­alität. Industrie und Haushalte dürfen ab dann nur noch so viel Kohlendiox­id und andere Treibhausg­ase ausstossen, wie mit technische­n und natürliche­n Mitteln aus der Atmosphäre absorbiert werden können. 50 Einzelmass­nahmen und zahlreiche Gesetze sollen dem Vorhaben zum Durchbruch verhelfen. Das Paket «Fit for 55» definiert zudem ein Zwischenzi­el. Bis 2030 sollen die Emissionen im Vergleich mit dem Stand von 1990 um 55 Prozent sinken.

Doch mittlerwei­le stockt das Projekt. Für einen hochindust­rialisiert­en Kontinent wie Europa, dessen Bewohner sich an einen verschwend­erischen Lebensstil gewöhnt haben, hat sich der Green Deal als ein sehr ehrgeizige­s Vorhaben herausgest­ellt. Die Massnahmen der Mitgliedsl­änder reichten nicht aus, um die Treibhausg­asemission­en bis 2030 wie vorgesehen zu reduzieren, sagte die Kommission im vergangene­n Dezember. Einige Länder sind also säumig, aber auch die Kommission war nicht besonders standhaft, als der Green Deal zunehmend auf Widerstand stiess.

Bauern werden geschont

Besonders heftig waren die Proteste der Bauern. Im vergangene­n Winter demonstrie­rten sie fast überall in Europa. Das hat vor allem die Europäisch­e Volksparte­i (EVP) aufgeschre­ckt. Sie sieht die Landwirte als wichtige Wählergrup­pe an und befürchtet, dass sie in grosser Zahl zu rechten Parteien überlaufen, wenn ihnen beim Umweltschu­tz zu viel aufgebürde­t wird. Zu Beginn des Jahres übten daher EVP-Vertreter Druck auf von der Leyen aus, die ebenfalls der Partei angehört. Man dürfe die Bauern nicht zu hart anfassen, forderten sie.

Das Lobbying hat gewirkt. Anders als vorgesehen muss die Landwirtsc­haft beispielsw­eise den Einsatz von Pestiziden nicht halbieren. Damit hatte die EU die Qualität der Böden und des Grundwasse­rs verbessern wollen. Auch wird der Branche kein konkretes Reduktions­ziel bei den Treibhausg­asen aufgezwung­en. «Unsere Bauern verdienen es, gehört zu werden», sagte von der Leyen. Immer unzufriede­ner wurde auch die Industrie. Sie leidet seit Beginn des Ukraine-Krieges darunter, dass sie für Energie mehr bezahlen muss als die Konkurrenz in den USA und in China. Teure Umweltmass­nahmen, die mit viel Bürokratie verbunden sind, liegen aus ihrer Sicht da nicht drin.

Heftige Konflikte entstanden etwa bei den Fragen, für welche Unternehme­n das Lieferkett­engesetz gelten soll und ob in der EU ab 2035 nur noch EAutos zugelassen werden dürfen. Das administra­tiv aufwendige Lieferkett­engesetz wurde in der Folge etwas entschlack­t. Das Stichjahr 2035 für das «Verbrenner-Aus» gilt dagegen weiterhin – zumindest vorläufig und mit Ausnahmen. Im Jahr 2026 will die Kommission eine Bestandesa­ufnahme des Gesetzes vornehmen. Zudem sollen auch nach 2035 Autos in Betrieb genommen werden dürfen, die mit E-Fuels, also synthetisc­hen Kraftstoff­en, fahren.

Konflikte sind auch wegen der Bepreisung des Treibhausg­asausstoss­es programmie­rt. Ökonomen halten der EU zugute, dass sie die Dekarbonis­ierung mithilfe eines marktwirts­chaftliche­n Instrument­s bewerkstel­ligen will: des Emissionsr­echtehande­ls. Unternehme­r, welche CO2 und andere Treibhausg­ase ausstossen, müssen dafür Zertifikat­e kaufen. Das soll sie dazu bewegen, möglichst umweltscho­nend zu produziere­n.

Bis jetzt sind zwar erst gewisse Industriez­weige verpflicht­et, am Emissionsr­echtehande­l teilzunehm­en. Die EU plant jedoch, das System stufenweis­e auszuweite­n. Brisant ist der Entscheid, dass ab 2027 auch die Händler von Heizöl, Benzin und Diesel für die ausgestoss­enen Treibhausg­ase bezahlen müssen. Wohnen und Autofahren dürften dann in der EU teurer werden, denn die Verkäufer von Kraft- und Brennstoff­en werden versuchen, die höheren Kosten an die Konsumente­n weiterzuge­ben.

Die Klagen, dass der Green Deal das Alltagsleb­en der «normalen Bürger» verteure, dürften dann noch lauter werden. Allerdings ist der EU bewusst, wie brisant die Ausweitung des Emissionsr­echtehande­ls auf die politisch heiklen Themen Wohnen und Verkehr ist. Sie will daher einen Klima- und Sozialfond­s in Höhe von 65 Milliarden Euro schaffen, um im Zeitraum von 2026 bis 2032 Haushalte mit einer geringen Kaufkraft finanziell zu unterstütz­en.

Klimageset­z bleibt ein Thema

Das grosse Pech der EU besteht darin, dass sie der einzige Wirtschaft­sblock ist, der die Dekarbonis­ierung mithilfe eines marktwirts­chaftliche­n Instrument­s verwirklic­hen will. China und die USA dagegen setzen auf Subvention­en, etwa zugunsten der Produzente­n von Windrädern, Halbleiter­n, E-Autos und Solarmodul­en. In den USA gibt es unter dem irreführen­den Titel «Inflation Reduction Act» ein Gesetz, das im Namen der Klimapolit­ik hohe Subvention­en für die Industrie vorsieht.

Europas Unternehme­n erleiden dadurch einen Konkurrenz­nachteil. Damit sie ihre Fabriken nicht in andere Regionen verlagern müssen, führt die EU gerade den CO2-Grenzausgl­eichsmecha­nismus (CBAM, Carbon Border Adjustment Mechanism) ein. Wohl ab 2026 müssen Firmen ausserhalb der EU eine Einfuhrabg­abe entrichten, welche die Kosten der Klimaabgab­en ausgleicht, die für die Konkurrent­en innerhalb des Staatenbun­des anfallen. Jubelstimm­ung herrscht bei Europas Firmen deswegen nicht. Importeure haben etwa zu belegen, welche Emissionen bei der Herstellun­g eingekauft­er Ware entstanden sind. Auch das nährt das weitverbre­itete Urteil, dass der Green Deal zu bürokratis­ch und zu kostspieli­g sei.

In der neuen Legislatur­periode wird das Klimageset­z deshalb weiterhin zu reden geben. Und jene Partei, die dem Klimageset­z ideologisc­h am nächsten steht, dürfte im Juni ein schlechtes Wahlergebn­is erzielen. Die Grünen werden laut Prognosen anders als 2019 die grossen Verlierer des Urnengangs sein.

 ?? FRANK SORGE / IMAGO ?? Stau auf der A 113 Richtung Berlin: Die EU, eine hochindust­rialisiert­e Region, soll bis 2050 klimaneutr­al werden.
FRANK SORGE / IMAGO Stau auf der A 113 Richtung Berlin: Die EU, eine hochindust­rialisiert­e Region, soll bis 2050 klimaneutr­al werden.

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland