In der EU ist Grün keine Modefarbe mehr
Das ehrgeizige Vorhaben des Green Deal ist dem Staatenbund entglitten – weitere Konflikte sind absehbar
Das Leben wird teurer, als es bisher war. Als die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen Ende 2019 den sogenannten Green Deal lancierte, verdrängten wohl die meisten den Umstand, dass die ökologische Wende viel Geld kosten wird. Mittlerweile ist das den Konsumenten und Firmen jedoch bewusst geworden: Der Green Deal ist das kostspieligste und einschneidendste Vorhaben, das die EU in der zu Ende gehenden Legislatur des Parlaments initiiert hat. Landwirte und Industrievertreter haben aus diesem Grund jüngst heftig gegen den Green Deal aufbegehrt. Viele Umweltauflagen sind darauf von der Kommission und den Mitgliedsländern abgeschwächt worden.
Die Grünen waren die Gewinner der EU-Wahlen von 2019. Nie zuvor hatten sie so viele Vertreter nach Brüssel schicken können. Ökologische Themen, vor allem der Klimaschutz, würden nun wichtiger, schrieben die Medien damals. Als von der Leyen im Dezember 2019 das Europäische Klimagesetz präsentierte, verglich sie es mit der ersten bemannten Mondlandung von 1969. «Ich bin überzeugt, dass der Green Deal eine grossartige Chance für Europa ist – auch wirtschaftlich und gesellschaftlich», sagte die Kommissionspräsidentin. In Aussicht stellte sie einen gewaltigen Innovationsschub.
Das Europäische Klimagesetz verlangt bis 2050 die Klimaneutralität. Industrie und Haushalte dürfen ab dann nur noch so viel Kohlendioxid und andere Treibhausgase ausstossen, wie mit technischen und natürlichen Mitteln aus der Atmosphäre absorbiert werden können. 50 Einzelmassnahmen und zahlreiche Gesetze sollen dem Vorhaben zum Durchbruch verhelfen. Das Paket «Fit for 55» definiert zudem ein Zwischenziel. Bis 2030 sollen die Emissionen im Vergleich mit dem Stand von 1990 um 55 Prozent sinken.
Doch mittlerweile stockt das Projekt. Für einen hochindustrialisierten Kontinent wie Europa, dessen Bewohner sich an einen verschwenderischen Lebensstil gewöhnt haben, hat sich der Green Deal als ein sehr ehrgeiziges Vorhaben herausgestellt. Die Massnahmen der Mitgliedsländer reichten nicht aus, um die Treibhausgasemissionen bis 2030 wie vorgesehen zu reduzieren, sagte die Kommission im vergangenen Dezember. Einige Länder sind also säumig, aber auch die Kommission war nicht besonders standhaft, als der Green Deal zunehmend auf Widerstand stiess.
Bauern werden geschont
Besonders heftig waren die Proteste der Bauern. Im vergangenen Winter demonstrierten sie fast überall in Europa. Das hat vor allem die Europäische Volkspartei (EVP) aufgeschreckt. Sie sieht die Landwirte als wichtige Wählergruppe an und befürchtet, dass sie in grosser Zahl zu rechten Parteien überlaufen, wenn ihnen beim Umweltschutz zu viel aufgebürdet wird. Zu Beginn des Jahres übten daher EVP-Vertreter Druck auf von der Leyen aus, die ebenfalls der Partei angehört. Man dürfe die Bauern nicht zu hart anfassen, forderten sie.
Das Lobbying hat gewirkt. Anders als vorgesehen muss die Landwirtschaft beispielsweise den Einsatz von Pestiziden nicht halbieren. Damit hatte die EU die Qualität der Böden und des Grundwassers verbessern wollen. Auch wird der Branche kein konkretes Reduktionsziel bei den Treibhausgasen aufgezwungen. «Unsere Bauern verdienen es, gehört zu werden», sagte von der Leyen. Immer unzufriedener wurde auch die Industrie. Sie leidet seit Beginn des Ukraine-Krieges darunter, dass sie für Energie mehr bezahlen muss als die Konkurrenz in den USA und in China. Teure Umweltmassnahmen, die mit viel Bürokratie verbunden sind, liegen aus ihrer Sicht da nicht drin.
Heftige Konflikte entstanden etwa bei den Fragen, für welche Unternehmen das Lieferkettengesetz gelten soll und ob in der EU ab 2035 nur noch EAutos zugelassen werden dürfen. Das administrativ aufwendige Lieferkettengesetz wurde in der Folge etwas entschlackt. Das Stichjahr 2035 für das «Verbrenner-Aus» gilt dagegen weiterhin – zumindest vorläufig und mit Ausnahmen. Im Jahr 2026 will die Kommission eine Bestandesaufnahme des Gesetzes vornehmen. Zudem sollen auch nach 2035 Autos in Betrieb genommen werden dürfen, die mit E-Fuels, also synthetischen Kraftstoffen, fahren.
Konflikte sind auch wegen der Bepreisung des Treibhausgasausstosses programmiert. Ökonomen halten der EU zugute, dass sie die Dekarbonisierung mithilfe eines marktwirtschaftlichen Instruments bewerkstelligen will: des Emissionsrechtehandels. Unternehmer, welche CO2 und andere Treibhausgase ausstossen, müssen dafür Zertifikate kaufen. Das soll sie dazu bewegen, möglichst umweltschonend zu produzieren.
Bis jetzt sind zwar erst gewisse Industriezweige verpflichtet, am Emissionsrechtehandel teilzunehmen. Die EU plant jedoch, das System stufenweise auszuweiten. Brisant ist der Entscheid, dass ab 2027 auch die Händler von Heizöl, Benzin und Diesel für die ausgestossenen Treibhausgase bezahlen müssen. Wohnen und Autofahren dürften dann in der EU teurer werden, denn die Verkäufer von Kraft- und Brennstoffen werden versuchen, die höheren Kosten an die Konsumenten weiterzugeben.
Die Klagen, dass der Green Deal das Alltagsleben der «normalen Bürger» verteure, dürften dann noch lauter werden. Allerdings ist der EU bewusst, wie brisant die Ausweitung des Emissionsrechtehandels auf die politisch heiklen Themen Wohnen und Verkehr ist. Sie will daher einen Klima- und Sozialfonds in Höhe von 65 Milliarden Euro schaffen, um im Zeitraum von 2026 bis 2032 Haushalte mit einer geringen Kaufkraft finanziell zu unterstützen.
Klimagesetz bleibt ein Thema
Das grosse Pech der EU besteht darin, dass sie der einzige Wirtschaftsblock ist, der die Dekarbonisierung mithilfe eines marktwirtschaftlichen Instruments verwirklichen will. China und die USA dagegen setzen auf Subventionen, etwa zugunsten der Produzenten von Windrädern, Halbleitern, E-Autos und Solarmodulen. In den USA gibt es unter dem irreführenden Titel «Inflation Reduction Act» ein Gesetz, das im Namen der Klimapolitik hohe Subventionen für die Industrie vorsieht.
Europas Unternehmen erleiden dadurch einen Konkurrenznachteil. Damit sie ihre Fabriken nicht in andere Regionen verlagern müssen, führt die EU gerade den CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM, Carbon Border Adjustment Mechanism) ein. Wohl ab 2026 müssen Firmen ausserhalb der EU eine Einfuhrabgabe entrichten, welche die Kosten der Klimaabgaben ausgleicht, die für die Konkurrenten innerhalb des Staatenbundes anfallen. Jubelstimmung herrscht bei Europas Firmen deswegen nicht. Importeure haben etwa zu belegen, welche Emissionen bei der Herstellung eingekaufter Ware entstanden sind. Auch das nährt das weitverbreitete Urteil, dass der Green Deal zu bürokratisch und zu kostspielig sei.
In der neuen Legislaturperiode wird das Klimagesetz deshalb weiterhin zu reden geben. Und jene Partei, die dem Klimagesetz ideologisch am nächsten steht, dürfte im Juni ein schlechtes Wahlergebnis erzielen. Die Grünen werden laut Prognosen anders als 2019 die grossen Verlierer des Urnengangs sein.