In Deutschland spionieren immer mehr chinesische Agenten
Der Fokus verlagert sich auf die politische und militärische Ebene
Im Sommer 2016 zeigte der Kölner Spezialchemiekonzern Lanxess zwei seiner Mitarbeiter an. Über sechs Jahre lang hatten sie geheimes Wissen zu einer patentierten Chemikalie gestohlen, nach China weitergegeben und dort ein Konkurrenzunternehmen gegründet. Acht Jahre später, im April 2024, verhaftete die Polizei in Bad Homburg und Düsseldorf drei Deutsche. Diesmal lautet der Vorwurf, die drei hätten die Ergebnisse technologischer Forschungen an leistungsstarken Schiffsmotoren gestohlen und an einen chinesischen Geheimdienst weitergegeben. Solche Motoren werden etwa in Kriegsschiffen verbaut.
Diese Militärtechnikspionage passt zu den Erkenntnissen des deutschen Inlandsdienstes darüber, wie sich das Vorgehen der Chinesen in der Bundesrepublik geändert hat. Nachdem der Schwerpunkt der geheimdienstlichen Tätigkeit Pekings jahrzehntelang auf der Wirtschaftsspionage gelegen hat, verlagert sich der Fokus demnach immer stärker auf die politische und die militärische Agententätigkeit.
Auf Augenhöhe mit den USA
Das hat massgeblich mit dem offiziell ausgerufenen «chinesischen Traum» zu tun, zur führenden Weltmacht neben den USA aufzusteigen. Bis 2049 will Peking wirtschaftlich, politisch und militärisch auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten agieren. Dafür benötigen sie modernste Militärtechnologien. Der Bedarf der kommunistischen Staats- und Parteiführung an Erkenntnissen und Informationen über den Westen wachse mit der Bedeutung Chinas als «Global Player». Anders gesagt: Die chinesische Spionage in Deutschland nimmt stetig zu.
Seit Jahrzehnten sehen sich die wirtschaftsstarken Demokratien umfassender chinesischer Spionage ausgesetzt. Bis 2025 will Peking seine Strategie «Made in China 2025» umsetzen und die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt werden. Kein Wirtschaftszweig ist vor Pekings Agenten sicher. Ausserdem, so sagte es Christopher A. Wray, der Chef der amerikanischen Bundespolizei, vor vier Jahren, bemühten sich die Chinesen immer intensiver um Zugang zu westlichen Hochschulen, Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen.
Das passt in das Bild der drei im April in Deutschland verhafteten Tatverdächtigen. Einer von ihnen, der in Bad Homburg festgenommene Thomas R., soll von einem Mitarbeiter des chinesischen Geheimdienstes (Ministerium für Staatssicherheit) angeworben worden sein. Sein Auftrag bestand laut den Ermittlungsbehörden darin, Informationen über militärisch nutzbare, innovative Technologien in Deutschland zu beschaffen. Dabei unterstützten ihn die in Düsseldorf verhafteten Eheleute Herwig und Ina F. Sie bauten Kontakt zu Wissenschaftern und Forschern an deutschen Universitäten und Hochschulen auf. So sollen sie etwa eine Hochschulstudie über Maschinenteile beschafft und an den chinesischen Geheimdienst weitergegeben haben.
Dieses Vorgehen überrascht nicht. Um den Weg zur führenden globalen Wirtschaftsmacht zu ebnen, hat der chinesische Volkskongress im Juli 2017 das neue Nationale Geheimdienstgesetz erlassen. Nach Erkenntnissen des deutschen Inlandsnachrichtendienstes sieht das Gesetz unter anderem vor, Einzelpersonen, Firmen, staatliche Strukturen und sonstige Organisationen auch im Ausland zur Mitarbeit zu verpflichten.
Der Verfassungsschutz nennt zum Beispiel chinesische Unternehmensvertreter im Ausland oder kriminelle Hacker-Gruppen in China. Der Rückgriff auf diese Personen, heisst es in dem Verfassungsschutzdossier, biete dem Regime in Peking den Vorteil, dass aufgedeckte staatliche Spionageversuche einfacher zu dementieren seien.
Das zeigt sich am Verhalten offizieller chinesischer Vertreter nach der Festnahme der drei Tatverdächtigen im April. Pekings Botschaft in Berlin wies die Anschuldigungen zurück und forderte «die deutsche Seite auf, davon abzulassen, den Spionagevorwurf aufbauschend auszunutzen, um das China-Bild politisch zu manipulieren und China zu diffamieren». Nur wenige Tage später liess die Staatsanwaltschaft Dresden einen Mitarbeiter des AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl Maximilian Krah verhaften. Auch in seinem Fall besteht der Verdacht der Spionage für China.
Dass möglicherweise der Mitarbeiter eines Abgeordneten des Europaparlaments für China spioniert, würde ins Bild passen, das der deutsche Verfassungsschutz in seinem Jahresbericht 2022 über die Methodik der Informationsgewinnung durch die Geheimdienste des Regimes zeichnet. Dazu zählen unter anderem die Aktivitäten aus den Botschaften in Berlin und in Bonn sowie den Konsulaten in Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt und München. Daneben sammeln Angehörige der chinesischen Botschaften und Konsulate aber auch Informationen «im Rahmen harmlos wirkender Kontaktpflege» insbesondere zu aktiven und ehemaligen Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft. Beobachter nehmen an, dass es so ähnlich auch beim Mitarbeiter des AfD-Politikers Krah gelaufen ist. In der Vergangenheit gab es zudem wiederholt Berichte über intensive Verbindungen früherer ranghoher Politiker nach China. Dazu zählen etwa der ehemalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU und der frühere Verteidigungsminister und SPD-Parteivize Rudolf Scharping.
Treffen in Drittländern
Diese «nachrichtendienstlichen Operationen zur verdeckten Informationsbeschaffung» würden unmittelbar aus China gesteuert, berichtet der deutsche Inlandsdienst. Bei Aufenthalten dort würden «Zielpersonen aus Deutschland» angesprochen und mit der Aussicht auf Geld angeworben. Wichtig sind den Chinesen etwa Kontakte in Ministerien, Parteiführungen, Unternehmen oder wissenschaftliche Institute. Solche Gespräche fänden oft am Rande von Veranstaltungen an chinesischen Universitäten statt. Die in der Folge vereinbarten Treffs, heisst es im Verfassungsschutzbericht weiter, fänden überwiegend in Drittländern oder in China statt, «um operative Risiken in Deutschland zu reduzieren».
Der China-Fachmann Eberhard Sandschneider ist von Pekings Aktivitäten nicht überrascht. Sandschneider hat viele Jahre als Ostasien-Experte unter anderem für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik gearbeitet. Schon lange versuche das Regime auf allen möglichen legalen und illegalen Wegen, in Deutschland an Informationen zu gelangen, sagt er. Vor allem wenn sie einen wirtschaftlichen, politischen oder militärischen Nutzen haben.
Dem Eindruck, jeder in Deutschland lebende Chinese sei ein Spion, tritt Sandschneider allerdings entgegen. Der Generalverdacht gegen alle Chinesen sei «Blödsinn», sagt er. Zugleich fordert er deutsche Unternehmen und Institutionen auf, Mitarbeiter kritisch zu überprüfen. Besonders nach den jüngsten Spionagefällen.