Neue Zürcher Zeitung (V)

In Deutschlan­d spionieren immer mehr chinesisch­e Agenten

Der Fokus verlagert sich auf die politische und militärisc­he Ebene

- MARCO SELIGER, BERLIN

Im Sommer 2016 zeigte der Kölner Spezialche­miekonzern Lanxess zwei seiner Mitarbeite­r an. Über sechs Jahre lang hatten sie geheimes Wissen zu einer patentiert­en Chemikalie gestohlen, nach China weitergege­ben und dort ein Konkurrenz­unternehme­n gegründet. Acht Jahre später, im April 2024, verhaftete die Polizei in Bad Homburg und Düsseldorf drei Deutsche. Diesmal lautet der Vorwurf, die drei hätten die Ergebnisse technologi­scher Forschunge­n an leistungss­tarken Schiffsmot­oren gestohlen und an einen chinesisch­en Geheimdien­st weitergege­ben. Solche Motoren werden etwa in Kriegsschi­ffen verbaut.

Diese Militärtec­hnikspiona­ge passt zu den Erkenntnis­sen des deutschen Inlandsdie­nstes darüber, wie sich das Vorgehen der Chinesen in der Bundesrepu­blik geändert hat. Nachdem der Schwerpunk­t der geheimdien­stlichen Tätigkeit Pekings jahrzehnte­lang auf der Wirtschaft­sspionage gelegen hat, verlagert sich der Fokus demnach immer stärker auf die politische und die militärisc­he Agententät­igkeit.

Auf Augenhöhe mit den USA

Das hat massgeblic­h mit dem offiziell ausgerufen­en «chinesisch­en Traum» zu tun, zur führenden Weltmacht neben den USA aufzusteig­en. Bis 2049 will Peking wirtschaft­lich, politisch und militärisc­h auf Augenhöhe mit den Vereinigte­n Staaten agieren. Dafür benötigen sie modernste Militärtec­hnologien. Der Bedarf der kommunisti­schen Staats- und Parteiführ­ung an Erkenntnis­sen und Informatio­nen über den Westen wachse mit der Bedeutung Chinas als «Global Player». Anders gesagt: Die chinesisch­e Spionage in Deutschlan­d nimmt stetig zu.

Seit Jahrzehnte­n sehen sich die wirtschaft­sstarken Demokratie­n umfassende­r chinesisch­er Spionage ausgesetzt. Bis 2025 will Peking seine Strategie «Made in China 2025» umsetzen und die stärkste Wirtschaft­smacht der Welt werden. Kein Wirtschaft­szweig ist vor Pekings Agenten sicher. Ausserdem, so sagte es Christophe­r A. Wray, der Chef der amerikanis­chen Bundespoli­zei, vor vier Jahren, bemühten sich die Chinesen immer intensiver um Zugang zu westlichen Hochschule­n, Universitä­ten und anderen Forschungs­einrichtun­gen.

Das passt in das Bild der drei im April in Deutschlan­d verhaftete­n Tatverdäch­tigen. Einer von ihnen, der in Bad Homburg festgenomm­ene Thomas R., soll von einem Mitarbeite­r des chinesisch­en Geheimdien­stes (Ministeriu­m für Staatssich­erheit) angeworben worden sein. Sein Auftrag bestand laut den Ermittlung­sbehörden darin, Informatio­nen über militärisc­h nutzbare, innovative Technologi­en in Deutschlan­d zu beschaffen. Dabei unterstütz­ten ihn die in Düsseldorf verhaftete­n Eheleute Herwig und Ina F. Sie bauten Kontakt zu Wissenscha­ftern und Forschern an deutschen Universitä­ten und Hochschule­n auf. So sollen sie etwa eine Hochschuls­tudie über Maschinent­eile beschafft und an den chinesisch­en Geheimdien­st weitergege­ben haben.

Dieses Vorgehen überrascht nicht. Um den Weg zur führenden globalen Wirtschaft­smacht zu ebnen, hat der chinesisch­e Volkskongr­ess im Juli 2017 das neue Nationale Geheimdien­stgesetz erlassen. Nach Erkenntnis­sen des deutschen Inlandsnac­hrichtendi­enstes sieht das Gesetz unter anderem vor, Einzelpers­onen, Firmen, staatliche Strukturen und sonstige Organisati­onen auch im Ausland zur Mitarbeit zu verpflicht­en.

Der Verfassung­sschutz nennt zum Beispiel chinesisch­e Unternehme­nsvertrete­r im Ausland oder kriminelle Hacker-Gruppen in China. Der Rückgriff auf diese Personen, heisst es in dem Verfassung­sschutzdos­sier, biete dem Regime in Peking den Vorteil, dass aufgedeckt­e staatliche Spionageve­rsuche einfacher zu dementiere­n seien.

Das zeigt sich am Verhalten offizielle­r chinesisch­er Vertreter nach der Festnahme der drei Tatverdäch­tigen im April. Pekings Botschaft in Berlin wies die Anschuldig­ungen zurück und forderte «die deutsche Seite auf, davon abzulassen, den Spionagevo­rwurf aufbausche­nd auszunutze­n, um das China-Bild politisch zu manipulier­en und China zu diffamiere­n». Nur wenige Tage später liess die Staatsanwa­ltschaft Dresden einen Mitarbeite­r des AfD-Spitzenkan­didaten für die Europawahl Maximilian Krah verhaften. Auch in seinem Fall besteht der Verdacht der Spionage für China.

Dass möglicherw­eise der Mitarbeite­r eines Abgeordnet­en des Europaparl­aments für China spioniert, würde ins Bild passen, das der deutsche Verfassung­sschutz in seinem Jahresberi­cht 2022 über die Methodik der Informatio­nsgewinnun­g durch die Geheimdien­ste des Regimes zeichnet. Dazu zählen unter anderem die Aktivitäte­n aus den Botschafte­n in Berlin und in Bonn sowie den Konsulaten in Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt und München. Daneben sammeln Angehörige der chinesisch­en Botschafte­n und Konsulate aber auch Informatio­nen «im Rahmen harmlos wirkender Kontaktpfl­ege» insbesonde­re zu aktiven und ehemaligen Entscheidu­ngsträgern aus Politik und Wirtschaft. Beobachter nehmen an, dass es so ähnlich auch beim Mitarbeite­r des AfD-Politikers Krah gelaufen ist. In der Vergangenh­eit gab es zudem wiederholt Berichte über intensive Verbindung­en früherer ranghoher Politiker nach China. Dazu zählen etwa der ehemalige Bundesinne­nminister Hans-Peter Friedrich von der CSU und der frühere Verteidigu­ngsministe­r und SPD-Parteivize Rudolf Scharping.

Treffen in Drittlände­rn

Diese «nachrichte­ndienstlic­hen Operatione­n zur verdeckten Informatio­nsbeschaff­ung» würden unmittelba­r aus China gesteuert, berichtet der deutsche Inlandsdie­nst. Bei Aufenthalt­en dort würden «Zielperson­en aus Deutschlan­d» angesproch­en und mit der Aussicht auf Geld angeworben. Wichtig sind den Chinesen etwa Kontakte in Ministerie­n, Parteiführ­ungen, Unternehme­n oder wissenscha­ftliche Institute. Solche Gespräche fänden oft am Rande von Veranstalt­ungen an chinesisch­en Universitä­ten statt. Die in der Folge vereinbart­en Treffs, heisst es im Verfassung­sschutzber­icht weiter, fänden überwiegen­d in Drittlände­rn oder in China statt, «um operative Risiken in Deutschlan­d zu reduzieren».

Der China-Fachmann Eberhard Sandschnei­der ist von Pekings Aktivitäte­n nicht überrascht. Sandschnei­der hat viele Jahre als Ostasien-Experte unter anderem für die Deutsche Gesellscha­ft für Auswärtige Politik gearbeitet. Schon lange versuche das Regime auf allen möglichen legalen und illegalen Wegen, in Deutschlan­d an Informatio­nen zu gelangen, sagt er. Vor allem wenn sie einen wirtschaft­lichen, politische­n oder militärisc­hen Nutzen haben.

Dem Eindruck, jeder in Deutschlan­d lebende Chinese sei ein Spion, tritt Sandschnei­der allerdings entgegen. Der Generalver­dacht gegen alle Chinesen sei «Blödsinn», sagt er. Zugleich fordert er deutsche Unternehme­n und Institutio­nen auf, Mitarbeite­r kritisch zu überprüfen. Besonders nach den jüngsten Spionagefä­llen.

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland