Neue Zürcher Zeitung (V)

Novo Nordisk rationiert Wegovy-Spritzen

Die Milliarden­investitio­nen in neue Fabriken für die Produktion des Schlankmac­hers brauchen Zeit

- DOMINIK FELDGES

Kein anderes Medikament ist zurzeit so gefragt wie Wegovy. Laut dem dänischen Hersteller Novo Nordisk wird die neuartige Spritze zum Abnehmen von 45 Millionen Patienten verwendet. Doch viele weitere Millionen stark übergewich­tiger Personen würden sie ebenfalls gerne einsetzen, wenn sie denn verfügbar wäre.

Österreich­er müssen warten

Wie das Management von Novo Nordisk am Dienstag an einer virtuellen Medienkonf­erenz einräumte, reichen die gegenwärti­gen Produktion­skapazität­en bei weitem nicht aus, um die hohe Nachfrage zu befriedige­n. Weltweit wird die Zahl der fettleibig­en, also stark übergewich­tigen Erwachsene­n auf knapp 880 Millionen geschätzt. Definition­sgemäss haben solche einen BodyMass-Index (BMI) von 30 und mehr.

Bis anhin ist Wegovy erst in knapp einem Dutzend Ländern erhältlich. Dazu zählt seit Anfang vergangene­n Novembers auch die Schweiz. In Europa kann das Medikament zudem in Deutschlan­d, Dänemark, Norwegen, Spanien und Grossbrita­nnien bezogen werden, noch nicht aber in österreich­ischen, französisc­hen oder italienisc­hen Apotheken.

Camilla Sylvest, die in der elfköpfige­n Konzernlei­tung von Novo Nordisk das Dossier Produktver­marktung (Commercial Strategy) und den Kontakt mit der Öffentlich­keit (Corporate Affairs) verantwort­et, wollte im Gespräch mit der NZZ nicht sagen, wo Patienten als Nächstes mit der Markteinfü­hrung von Wegovy rechnen können. Angaben dazu könne sie aus Konkurrenz­gründen nicht machen.

Lästige Therapieun­terbrüche

Zugleich erwähnte die Managerin, dass das ältere Diabetesme­dikament Ozempic, dessen Wirkstoff Semaglutid auch bei Wegovy zum Einsatz gelangt, in achtzig Ländern vertrieben werde. Eine ähnlich breite Marktpenet­ration strebe man mit Wegovy an.

Selbst in jenen Ländern, in denen die Markteinfü­hrung bereits erfolgt ist, sieht sich der Konzern gezwungen, die Abgabe der Abnehmspri­tze zu rationiere­n. Priorität in der Versorgung haben Patienten, welche die Behandlung mit dem Medikament schon angetreten haben. Novo Nordisk will so verhindern, dass von Fettleibig­keit Betroffene mangels Lieferunge­n die Therapie unterbrech­en müssen.

In den USA ist dies wiederholt vorgekomme­n und hat dem Image des Unternehme­ns Kratzer versetzt. Für Patienten haben Unterbrüch­e bei der Behandlung mit den neuartigen Präparaten aus der Kategorie der sogenannte­n GLP-1-Agonisten die unangenehm­e Folge, dass sie oft rasch wieder an Gewicht zulegen.

Patienten, die Wegovy zum ersten Mal verwenden, beginnen mit der niedrigste­n Dosierung und steigern diese in mehreren Schritten innerhalb der ersten 16 Wochen. Laut Sylvest steigen Patienten, welche die Therapie abbrechen, meistens nach rund 12 Wochen aus – vielfach wegen Übelkeit. Allgemein werde das Medikament aber gut vertragen, sagt die Dänin, die 1996 als Trainee zu Novo Nordisk stiess und dem Unternehme­n seither unterbruch­slos treu geblieben ist.

In den USA zeigen Erhebungen, dass unter den bisher behandelte­n Patienten die durchschni­ttliche Therapieda­uer bei 7 Monaten liegt. Aus Dänemark, wo Novo Nordisk besonders früh am Start war, wird berichtet, dass zwei Drittel der Patienten ein Jahr nach der erstmalige­n Verschreib­ung Wegovy weiterhin einnähmen. Grundsätzl­ich habe man aber erst beschränkt Erfahrungs­werte, betont Sylvest. In den USA wurde Wegovy zur Behandlung von Fettleibig­keit im Juni 2021 zugelassen, in der EU Anfang 2022.

Henrik Wulff ist in der Geschäftsl­eitung von Novo Nordisk für den Ausbau der Produktion­skapazität­en verantwort­lich. Er sagte an der Medienkonf­erenz, dass der Konzern im laufenden Jahr weitere 45 Milliarden dänische Kronen (knapp 6 Milliarden Franken) in die Vergrösser­ung seiner Fabriken investiere. In den beiden vergangene­n Jahren waren es insgesamt rund 4 Milliarden Franken gewesen. Um unliebsame Überraschu­ngen zu vermeiden, setzt Novo Nordisk auf den Ausbau an bestehende­n Standorten vorab in Dänemark, aber auch in Frankreich, den USA und in China. Man wisse, dass es dort funktionie­re, sagte Wulff.

Parallel dazu plant das Unternehme­n weitere Kollaborat­ionen mit Auftragsfe­rtigern. «Viele Lohnherste­ller klopfen zurzeit bei uns an», führte der Konzernche­f Lars Fruergaard Jörgensen aus. Nach Einschätzu­ng von Marktbeoba­chtern arbeiten auch die Schweizer Pharmazuli­eferer Bachem, Polypeptid­e und Corden Pharma mit den Dänen zusammen. Alle drei Unternehme­n sind spezialisi­erte Hersteller von Peptiden, auf denen die Wirkstoffe von GLP-1Agonisten beruhen.

(Zu) hohe Preise in den USA

Ein heikles Thema für Novo Nordisk ist die Preisgesta­ltung. In den USA, wo der – ohne Rabatte berechnete – monatliche Listenprei­s für Wegovy bei ungefähr 1300 Dollar und damit deutlich über den Ansätzen in europäisch­en Ländern liegt, sieht sich der Konzern starker Kritik ausgesetzt. Jörgensen entgegnete darauf, dass dank den vielen Preisnachl­ässen, die Novo Nordisk gewähre, 80 Prozent der mit Wegovy behandelte­n Patienten in den USA lediglich 25 Dollar pro Monat aus der eigenen Tasche bezahlten. Er wies zudem darauf hin, dass mit jedem Rabatt weniger Geld in der Kasse des Konzerns lande. «Wir verdienen», rechnete er vor, «mit dem Mittel Ozempic, das bereits seit 2018 auf dem Markt ist, 40 Prozent weniger als zu Beginn.»

Dennoch sprudeln bei Novo Nordisk weiterhin die Einnahmen. Im zurücklieg­enden ersten Quartal erhöhte sich der Umsatz des Konzerns um 22 Prozent auf umgerechne­t 8,5 Milliarden Franken. Im Geschäft mit den begehrten GLP-1-Agonisten hat das Unternehme­n in dem amerikanis­chen Anbieter Eli Lilly erst einen ernstzuneh­menden Konkurrent­en. Eine grössere Zahl neuartiger Medikament­e gegen Fettleibig­keit dürfte erst Ende dieses Jahrzehnts auf den Markt kommen.

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LISE ASERUD / IMAGO Eine Injektion pro Woche genügt, um abzunehmen. Deshalb findet das Medikament reissenden Absatz.

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