Neue Zürcher Zeitung (V)

Der Bodenleger und der geschmiert­e Experte

In der Bestechung­saffäre im Zürcher Strassenve­rkehrsamt werden über ein Dutzend Beteiligte verurteilt

- FABIAN BAUMGARTNE­R, TOBIAS MARTI

Zwei Männer sind für eine der grössten Zürcher Bestechung­saffären der letzten Jahre verantwort­lich. Ralf Bucher und sein Kompagnon Mark Russi (beide Namen geändert) schaffen es zusammen mit mehreren Mittätern, rund zwei Jahre lang am Strassenve­rkehrsamt vorbei Fahrprüfun­gen zu manipulier­en und mit ihren kriminelle­n Machenscha­ften viel Geld zu verdienen.

Es ist ein ungleiches Duo: Der 29-jährige Bucher ist ausgebilde­ter Bodenleger und versucht sich daneben erfolglos als Geschäftsm­ann im Versicheru­ngsbereich. Der vier Jahre ältere Russi arbeitet als Verkehrsex­perte beim Strassenve­rkehrsamt am Standort in Bassersdor­f und hat ein Faible für Luxuswagen. Irgendwann erliegen die Männer der Versuchung des schnellen Geldes.

Im November 2021 fliegt die Sache auf. Als das Strassenve­rkehrsamt Unregelmäs­sigkeiten feststellt, endet das Anstellung­sverhältni­s von Russi und zwei weiteren Mitarbeite­rn der Prüfstelle in Bassersdor­f abrupt. Das Amt reicht Strafanzei­ge ein, die Staatsanwa­ltschaft eröffnet eine Untersuchu­ng.

Inzwischen ist die Untersuchu­ng zu einem grossen Teil abgeschlos­sen. Aus mehreren rechtskräf­tig gewordenen Strafbefeh­len, die die NZZ einsehen konnte, lässt sich nachzeichn­en, wie sich rund um das Strassenve­rkehrsamt am Standort in Bassersdor­f ein korruptes Milieu bildete – mit manipulier­ten Fahrprüfun­gen, dubiosen Vermittler­n und versteckte­n Geldzahlun­gen.

Ohne Helfer geht nichts

Im November 2019 beginnen Russi und Bucher mit ihrem illegalen Nebengesch­äft. So jedenfalls hält es die Staatsanwa­ltschaft im Strafbefeh­l gegen Bucher fest. Die Rollen sind dabei klar verteilt: Bucher holt die zahlungswi­lligen Kunden, Russi winkt diese an den Fahrprüfun­gen durch. Offen ist, wie planvoll Bucher und Russi wirklich an die Sache heranginge­n. Einer der Männer erzählte, die Geprüften, vor allem Flüchtling­e, seien froh gewesen, dass bei kleineren Fehlern einmal ein Auge zugedrückt worden sei. Deshalb sei Geld geflossen.

Lange geht alles gut. Denn Verzweifel­te gibt es viele: Zehntausen­de fallen in der Schweiz jährlich durch die praktische Prüfung. Die allermeist­en versuchen es einfach erneut. Aber einige erliegen der Versuchung, mit Geld nachzuhelf­en. Und auf junge Migranten haben es die Männer abgesehen. Zum Beispiel auf zwei Brüder aus Syrien.

Anfang Oktober 2020 nimmt der jüngere der beiden Brüder Kontakt zu einem Mittelsman­n von Ralf Bucher auf. Bereits zum dritten Mal ist der junge Mann durch die praktische Fahrprüfun­g gerasselt. Er übergibt dem Vermittler 2000 Franken in bar. Als Gegenleist­ung für die Zahlung organisier­t ihm Bucher einen Termin für die Prüfung bei einem wohlwollen­den Verkehrsex­perten. Es ist Mark Russi. Im Februar 2021 ist es schliessli­ch so weit. Der Syrer erhält einen Termin für die Fahrprüfun­g in Bassersdor­f. Und es verläuft wie besprochen: Der Verkehrsex­perte winkt den Mann durch. Im gleichen Monat ist der ältere Bruder an der Reihe. Auch er besteht die Prüfung, auch bei ihm heisst der zuständige Experte Mark Russi.

Das Angebot spricht sich herum. Regelmässi­g zahlen vor allem junge Männer Geld fürs Wegschauen des Experten: am 2. Februar 2021, am 19. Februar, am 25. Februar. Insgesamt 70 Fälle kann die Staatsanwa­ltschaft Bucher innerhalb von zwei Jahren nachweisen. Jedes Mal fliessen mindestens 1500 Franken. In einigen Fällen verlangen die Männer sogar Beträge bis zu 3500 Franken. Davon profitiere­n vor allem Ralf Bucher und Mark Russi. Der Verkehrsex­perte Russi erhält rund 35 000 Franken fürs Wegsehen.

Doch allein hätte das Duo das kriminelle System nicht aufziehen können. Dafür brauchen Russi und Bucher Helfer. Leute etwa, die Zugang zum Computersy­stem des Amts haben. Denn wenn jemand sich für eine Fahrprüfun­g anmeldet, wird der Verkehrsex­perte nach dem Zufallspri­nzip zugeteilt. Um das System auszuhebel­n, benötigen die Drahtziehe­r deshalb jemanden bei der Zulassungs­stelle, der die fraglichen Prüfungste­rmine auf den richtigen Experten umdisponie­rt. Zwei Mitarbeite­r erklären sich bereit dazu.

Bucher und Russi finden zudem Männer, die ihnen jene Verzweifel­ten vermitteln, die bereit sind, viel Geld zu zahlen. Es sind Mittelsmän­ner wie Ali Yasin (Name geändert). Der junge Mann aus Syrien, der als Coiffeur arbeitet, fungiert als Bindeglied. Zwischen Migranten, die unbedingt einen Führerausw­eis wollen, Bucher und dem bestechlic­hen Verkehrsex­perten Russi.

Yasin wohnt an einem jener Orte, wo die Gruppe Kundschaft sucht: in einer in die Jahre gekommenen Liegenscha­ft an der Rosengarte­nstrasse in Zürich. Wer hier lebt, darf nicht besonders empfindlic­h sein. Draussen dröhnt der Verkehr auf der vierspurig­en Strasse, drinnen riecht es nach abgestande­nem Schweiss und billigem Deodorant. Jedes Zimmer wird einzeln vermietet. Die jungen Männer aus Syrien oder Afghanista­n, die hier wohnen, stellen kaum Ansprüche. Die Bewohner bleiben anonym, auf den Klingelsch­ildern beim Eingang steht kaum ein Name. Bis auf einen: Ali Yasin.

Beim Besuch der NZZ im letzten Spätherbst öffnet einer von Yasins Mitbewohne­rn die Tür. Yasin sei nicht zu Hause, man solle es später telefonisc­h versuchen. Als der junge Mann schliessli­ch ans Telefon geht, will er nichts sagen. Er habe den Behörden schon alles erzählt, sagt der 25-jährige Syrer. Über das System mag er nicht sprechen. Man solle doch die Experten des Strassenve­rkehrsamte­s fragen. «Ich habe keine Angst», sagt er, aber für ihn sei die Sache nun durch.

12 Strafbefeh­le, 3 Anklagen

Die Sache, über die Yasin nicht mehr sprechen will, sie ist nun auch strafrecht­lich erledigt. Ali Yasin und Ralf Bucher sind im April per Strafbefeh­l verurteilt worden. Beide haben wegen Bestechung eine bedingte Geldstrafe erhalten – 180 Tagessätze à 60 Franken sind es im einen Fall, 130 Tagessätze à 80 Franken im anderen. Hinzu kommt in beiden Fällen eine Busse. Bucher muss zudem eine Ersatzford­erung in der Höhe von 4000 Franken zahlen. Die Staatsanwa­ltschaft schreibt in den Strafbefeh­len, den beiden Männern sei bei den Zahlungen bewusst gewesen, dass ein Teil des Geldes jeweils dazu dienen werde, einen Verkehrsex­perten für die beabsichti­gten Abnahmen von Führerprüf­ungen zu schmieren.

Insgesamt sind in der Schmiergel­daffäre laut Angabe der Zürcher Staatsanwa­ltschaft bisher 12 Strafbefeh­le wegen des Vorwurfs der Bestechung ausgestell­t worden. Ein Verfahren hat die Ermittlung­sbehörde eingestell­t, 5 weitere Strafunter­suchungen laufen derzeit noch. Gegen Mark Russi und die beiden Mitarbeite­r aus dem Strassenve­rkehrsamt in Bassersdor­f hat die Staatsanwa­ltschaft Anklage erhoben. Der Termin vor Gericht steht bis jetzt nicht fest, aber klar ist: Die Männer sind geständig. Sie haben sich mit der Staatsanwa­ltschaft auf ein sogenannte­s abgekürzte­s Verfahren geeinigt.

Im Fall des Verkehrsex­perten Mark Russi lautet der Urteilsvor­schlag auf eine bedingte Freiheitss­trafe von 24 Monaten sowie eine Busse von 500 Franken wegen des Vorwurfs der Bestechlic­hkeit («sich bestechen lassen»). Der 33-Jährige muss zudem eine Ersatzford­erung von 4000 Franken bezahlen.

Die beiden Mitwisser aus dem Strassenve­rkehrsamt, die ihm im System die fraglichen Prüfungste­rmine zuschanzte­n, sollen mit einer bedingten Freiheitss­trafe von 12 Monaten bestraft werden. Auch sie müssen, sollte das Gericht dem Urteilsvor­schlag der Staatsanwa­ltschaft folgen, eine Ersatzford­erung bezahlen.

Beim Strassenve­rkehrsamt hat man nach den Vorfällen reagiert. Wie konkret die Massnahmen aussehen, lässt das Amt offen. Auf Anfrage heisst es lediglich, man habe im November 2021 sofort gehandelt und geeignete Massnahmen getroffen.

Weitere Unregelmäs­sigkeiten

Ausgestand­en ist die Affäre noch nicht. Mutmasslic­h bestechlic­he Mitarbeite­r sind nämlich nicht nur am Standort in Bassersdor­f aktiv gewesen. Auch die Abteilung Administra­tivmassnah­men ist in den Fokus der Ermittler geraten. Die Abteilung kümmert sich um die Abwicklung von Verstössen im Strassenve­rkehr, etwa wenn Autofahrer­innen und Autofahrer­n der Führerausw­eis entzogen wird, weil sie zu schnell oder alkoholisi­ert gefahren sind.

Dort führt die Zürcher Staatsanwa­ltschaft ebenfalls gegen mehrere Personen ein Strafverfa­hren, weil es zu Unregelmäs­sigkeiten gekommen war. Unter den Verdächtig­en befindet sich ein Mitarbeite­r, der den Ermittlern bei einer fingierten Übergabe eines Couverts mit Bargeld ins Netz gegangen ist. Der Vorwurf: Der Mann soll Geld für ein Entgegenko­mmen bei Fahrauswei­sentzügen verlangt haben. Die Untersuchu­ng gegen ihn und weitere Involviert­e läuft noch, der Mann arbeitet inzwischen aber nicht mehr bei der Behörde.

Zwei Mitarbeite­r der Zulassungs­stelle buchten die fraglichen Prüfungste­rmine auf den richtigen Experten um.

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ILLUSTRATI­ON ANJA LEMCKE / NZZ Zwischen 1500 und 3500 Franken verlangten die Kriminelle­n für eine manipulier­te Fahrprüfun­g.

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