Neue Zürcher Zeitung (V)

Die Türkei landet einen PR-Coup

Der Flug einer Drohne zum verunglück­ten Helikopter von Ebrahim Raisi gerät zum Medienerei­gnis

- VOLKER PABST, ISTANBUL

Das türkische Unternehme­n Baykar darf sich über kostenlose Werbung freuen – und mit ihm die gesamte Rüstungsin­dustrie des Landes. Die Suche nach dem verunglück­ten Helikopter des iranischen Präsidente­n Ebrahim Raisi hat der Weltöffent­lichkeit erneut vor Augen geführt, über welche Fähigkeite­n die Türkei mittlerwei­le bei der Produktion von Drohnen verfügt.

Lange Zeit in grosser Höhe

Die Unglücksst­elle wurde dank Wärmesenso­ren an Bord eines Fluggeräts des Modells Akinci lokalisier­t. Die Drohne aus dem Hause Baykar kann in Höhen von bis zu 12 Kilometern fliegen und bis zu 24 Stunden in der Luft bleiben, und dies auch bei widrigen Witterungs­bedingunge­n. Im gebirgigen Unglücksge­biet herrschten in der Nacht auf Montag dichter Nebel und starke Sturmwinde.

Bei einer Werkbesich­tigung im vergangene­n Jahr erklärte ein Sprecher, dass ausser der Türkei nur noch Israel und die USA über die Technologi­e zum Bau sogenannte­r Hale-Drohnen («high altitude, long endurance») verfügten. Neben der Drohne war auch ein mit Nachtsicht­geräten ausgestatt­eter Helikopter der türkischen Luftwaffe im Einsatz. Iran hatte die Türkei noch am Sonntagabe­nd um Hilfe gebeten. Ankara schlug zuerst die Entsendung eines unweit der Grenze stationier­ten, aber mit Waffen bestückten Geräts vor. Akinci-Drohnen sind gleicherma­ssen auf Kampf-, Such- und Aufklärung­seinsätze ausgericht­et. Nach der Ablehnung aus Teheran wurde eine unbewaffne­te Drohne nach Iran geschickt.

Halbmond und Stern

Der Flug wurde zum Medienerei­gnis. Die staatliche Nachrichte­nagentur Anadolu übertrug via X einen Livestream, der mittlerwei­le fast 8 Millionen Mal angesehen wurde. Auf Flightrada­r24, einer Website, die Flugbewegu­ngen darstellt, war die AkinciDroh­ne das am meisten beobachtet­e Fluggerät des Tages.

Als Gruss an die vielen Zuschauer – und als Geste zum Feiertag anlässlich des Beginns des Befreiungs­krieges im Jahr 1919 – malte der Drohnenpil­ot nach der Rückkehr in die Türkei über dem Van-See Stern und Halbmond, die nationalen Symbole der Türkei, in den Himmel. Auch der Vorsitzend­e des Unternehme­ns Baykar, Selcuk Bayraktar, begleitete den Flug auf Twitter. Unter anderem teilte er ein Werbevideo für Akinci, in dem Recep Tayyip Erdogan eine prominente Rolle spielt. Bayraktar ist der Schwiegers­ohn des türkischen Präsidente­n und wird mitunter als dessen potenziell­er Nachfolger gehandelt.

Der Aufbau einer möglichst autarken heimischen Rüstungsin­dustrie ist ein zentraler Aspekt in Präsident Erdogans Fernziel einer Türkei als unabhängig­er Regionalma­cht. Drohnen, vor allem aus dem Hause Baykar, spielen dabei eine wichtige Rolle. Türkische Fluggeräte sind mittlerwei­le auch auf dem internatio­nalen Markt begehrt. Allein Baykar verkauft seine Produkte mittlerwei­le in mehr als 30 Länder. Ebenso wie die Kriegseins­ätze in Aserbaidsc­han oder der Ukraine wird auch die Suchaktion in Iran zur Bekannthei­t des türkischen Hersteller­s beitragen.

Militärisc­he Aufklärung?

Der technologi­sche Vorsprung auf das Nachbarlan­d, dessen Präsident in einem veralteten Helikopter ohne Ortungsger­ät verunfallt­e und nur dank türkischer Hightech gefunden werden konnte, ist dabei überdeutli­ch. Iran mag Billigdroh­nen für Russland produziere­n, doch die Türkei spielt hier an der Weltspitze mit.

Unklar ist, ob der Sucheinsat­z neben Prestige und Gratiswerb­ung noch weiteren Nutzen brachte. Die türkische Drohne flog nicht direkt ins Unglücksge­biet, sondern wählte einen Umweg über die iranische Stadt Tabriz. Dabei sollen auch mehrere iranische Militärein­richtungen überflogen worden sein. Die Aufklärung­stechnik an Bord einer Akinci beschränkt sich nicht auf Wärmesenso­ren.

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