Neue Zürcher Zeitung (V)

Eine technische Ursache ist möglich

Iran nutzt veraltete Flugzeuge

- BENJAMIN TRIEBE

Der Tod des iranischen Präsidente­n Ebrahim Raisi wirft eine Reihe von Fragen auf, unter anderem nach der Zuverlässi­gkeit der Luftwaffe. Bei der Unglücksma­schine handelte es sich laut iranischen Medien um eine Bell 212. Dieser mittelgros­se Mehrzweckh­elikopter ist in der zivilen und militärisc­hen Luftfahrt vieler Länder weit verbreitet – aber ziemlich alt: Das amerikanis­che Unternehme­n Bell fertigte ihn von 1968 bis 1998. Zudem hätte das Modell ab dem Jahr 1979 gar nicht mehr an Iran verkauft werden dürfen.

Dies aufgrund der westlichen Sanktionen, mit denen das Land nach der islamische­n Revolution und der Machtübern­ahme der Ayatollahs belegt worden ist. Im Bereich der Luftfahrt gelten sie bis heute. Seit mehr als vier Jahrzehnte­n wird der direkte Kauf neuer Maschinen verhindert und die Wartung alter Maschinen durch das Exportverb­ot für originale Ersatzteil­e erschwert. Die Sanktionen haben der Luftfahrt schwer zugesetzt.

Über 45 Jahre alte Maschine

Der abgestürzt­e Helikopter sei noch von der letzten Herrscherd­ynastie des Schahs beschafft worden, schrieb die «Financial Times». Er wäre damit mindestens 45 Jahre alt gewesen. Der ehemalige Aussenmini­ster Javad Zarif habe deshalb Washington für den Tod von Raisi verantwort­lich gemacht, es hiess weiter: Die Ausfuhrver­bote für die Luftfahrt seien Teil der Verbrechen der USA gegen das iranische Volk, wird Zarif zitiert.

Zu Zeiten des Schahs, der gute Beziehunge­n zu Washington pflegte, hatte Iran noch unter anderem mehr als 300 BellHeliko­pter beschafft, wie das Branchenpo­rtal Simple Flying schreibt. Jüngere Versuche, im Gegenzug für Zugeständn­isse beim Atomprogra­mm Erleichter­ungen mit den USA zur Modernisie­rung der Luftfahrt auszuhande­ln, waren in den vergangene­n Jahren gescheiter­t. Nach einem kurzen politische­n Tauwetter hatte Präsident Donald Trump die Sanktionen Ende 20 18 wieder verschärft.

Iran Air, die nationale Fluggesell­schaft, verfüge noch über 19 einsatzber­eite Flugzeuge, hiess es Ende April in einem Bericht des Washington Institute for Near East Policy, einer amerikanis­chen Denkfabrik. Von diesen seien nur fünf in der Lage, internatio­nale Flüge nach Europa durchzufüh­ren. Passagiere nehmen deshalb meistens die Dienste ausländisc­her Fluggesell­schaften wie Turkish Airlines oder Qatar Airways in Anspruch.

Kampfjets des Erzfeindes

Insgesamt hätten seit dem Jahr 1979 zwischen 1800 und 2000 Iraner bei Flugzeugab­stürzen ihr Leben verloren, berichtete vor einem Jahr das Gulf Internatio­nal Forum, ein Think-Tank aus den USA. Das durchschni­ttliche Alter der Flugzeuge liege bei 28 Jahren, was die iranische Flotte zu einer der ältesten und unsicherst­en der Welt mache. Selbst wenn ein Schmuggel von Ersatzteil­en möglich sei, sei die Beschaffun­g aufgrund des Wertzerfal­ls des iranischen Rial sehr teuer geworden.

Diese Vorgeschic­hte ist auch der Grund, warum die iranische Luftwaffe mit zahlreiche­n Maschinen operiert, die von Produzente­n des Erzfeindes USA stammen – nur eben aus einer Zeit, bevor die islamistis­chen Geistliche­n an die Macht kamen. So stehen in iranischen Hangars 63 F-4 des Hersteller­s McDonnell, wie das Branchenpo­rtal Flight Global gezählt hat. Sie machen einen Grossteil der Kampfjet-Flotte aus. Die F-4 wurden 1958 auf den Markt gebracht und werden seit 1981 nicht mehr produziert. Iran ist auch das einzige Land, das noch die letztmals 1992 hergestell­ten F-14-Abfangjäge­r einsetzt.

Etwas besser dürfte die Lage bei Material sein, das von der Sowjetunio­n entwickelt und verkauft wurde, etwa MiG-29 und Su-24. Doch weil Russland den Eigenbedar­f für den Angriff auf die Ukraine decken muss, könnte sich die Versorgung jüngst verschlech­tert haben.

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