Neue Zürcher Zeitung (V)

Wohnungsmi­eten steigen im Rekordtemp­o

Erhöhung in den vergangene­n zwölf Monaten um 6,3 Prozent trotz sinkenden Zinsen – Entspannun­g ist nicht in Sicht

- ANDREA MARTEL

Wenn im vergangene­n Jahr über steigende Mieten geklagt wurde, hiess der Bösewicht in der Regel «Referenzzi­ns». Tatsächlic­h waren viele Mieter mit spürbaren Mietzinser­höhungen konfrontie­rt. Etwa die Hälfte der Mietverträ­ge von institutio­nellen Immobilien­besitzern (nur von diesen gibt es Daten) wurde bis Ende 2023 einmal oder zweimal angepasst, mit Mietzinser­höhungen von 3 und mehr Prozent pro Anpassung.

Zu den teilweise befürchtet­en extremen Erhöhungen ist es jedoch nicht gekommen – und wird es auch nicht mehr kommen, denn die Schweizeri­sche Nationalba­nk (SNB) hat ihren Zinserhöhu­ngszyklus bereits wieder beendet. Sie musste die Zinsen weniger stark erhöhen als gedacht, um die Inflation zu kontrollie­ren, und erlaubte sich vor kurzem sogar bereits eine erste Senkung.

Knappheit treibt die Mieten an

Daher wird die Erhöhung des Referenzzi­nssatzes im Dezember 2023 vorerst die letzte gewesen sein, und Mieter in bestehende­n Mietverhäl­tnissen müssen nach der Mieterhöhu­ng im April keine weiteren Wohnkosten­steigerung­en befürchten. Den kontinuier­lichen Anstieg der Mieten wird dies allerdings nicht stoppen, wie Raiffeisen in ihrem neusten Immobilien­bericht betont. Denn nicht der Referenzzi­ns bestimmt die langfristi­ge Entwicklun­g der Mietpreise, sondern die Neumieten. Sie tangieren jedes Jahr etwa 10 Prozent der Mieter, die ihre Wohnung wechseln.

Und diese Neumieten sind derzeit so stark am Steigen wie selten. Laut Raiffeisen betrug der Anstieg zwischen dem ersten Quartal 2023 und dem ersten Quartal 2024 schweizwei­t 6,3 Prozent. Dies entspreche der höchsten gemessenen Jahreswach­stumsrate dieses Indexes, welcher bis ins Jahr 1996 zurückreic­ht.

Das Problem ist das knappe Angebot. Mit Ausnahme weniger, meist struktursc­hwacher Regionen nimmt die Zahl der auf dem Markt angebotene­n Mietwohnun­gen seit dem Ende der Corona-Krise in rekordverd­ächtigem Tempo ab. Zwischen 2016 und 2020 waren jeweils rund 1,5 Prozent des gesamten Wohnungspa­rks zur Vermietung ausgeschri­eben. Heute sind es noch rund 0,7 Prozent, also weniger als halb so viele.

Der Grund für das magere Angebot ist bekannt: Es werden im Vergleich zum Bevölkerun­gswachstum zu wenig neue Wohnungen gebaut. Dafür sind laut Raiffeisen nicht nur die höheren Zinsen und Baukosten verantwort­lich, sondern «eine Kombinatio­n aus überreguli­erten Baugesetze­n, eine grundsätzl­ich richtige, aber fahrlässig umgesetzte Verdichtun­gsstrategi­e in der Raumplanun­g, eine überhandne­hmende Einsprache­neigung und die wachsende Komplexitä­t von Bauprojekt­en».

Diese Komplexitä­t hat auch dazu geführt, dass immer weniger Private sich überhaupt im Wohnungsba­u engagieren. Sie überlassen das Feld vermehrt den Profis, wie Raiffeisen anhand von Daten von Baugesuche­n zeigt.

Hemmnisse beseitigen

Dass dies in der Summe zu weniger Projekten führt, ist plausibel. Raiffeisen findet die Entwicklun­g jedenfalls problemati­sch: «Der Rückzug der Privaten aus dem Wohnungsba­u hätte ein Warnzeiche­n sein können, doch wurde dies erst mit Verspätung sichtbar, als die institutio­nellen Investoren im Zuge der Zinswende weniger in Immobilien investiert­en und sich auch als Bauherren weniger engagierte­n», heisst es in der Studie.

Um den Wohnungsba­u wieder in Gang zu bringen, gibt es zwei Möglichkei­ten. Entweder muss der Bau von Mietwohnun­gen über die Beseitigun­g der vielfältig­en Hemmnisse attraktive­r gemacht werden, so dass private und institutio­nelle Investoren wieder vermehrt Wohnbaupro­jekte in Angriff nehmen. Oder aber die Mietpreise steigen so lange weiter, bis die Investoren für ihre gestiegene­n Mühen und Risiken ausreichen­d entschädig­t werden. Raiffeisen schreibt dazu nur lapidar: «Für Mieter wäre die erste Option eindeutig die günstigere.»

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland