Die EU sollte sich nicht den USA anschliessen
Ein neues Gespenst geht in Europa um: China könnte die EU mit besonders billigen, weil subventionierten Elektroautos überschwemmen. In Brüssel wird deshalb seit Monaten über eine deutliche Erhöhung des Importzolls für chinesische E-Autos von derzeit 10 Prozent diskutiert. Medien spekulieren über einen neuen Wert zwischen 25 und 40 Prozent. Durch die jüngste Ankündigung der USA, auf chinesische E-Autos bald 100 Prozent Zoll zu erheben, dürfte sich die EU unter zusätzlichem Handlungsdruck sehen, denn China könnte die für die Vereinigten Staaten vorgesehenen Fahrzeuge nach Europa lenken.
Bei der völlig unverhältnismässigen Massnahme der USA handelt es sich um puren Protektionismus des sich im Wahlkampf befindenden Präsidenten Joe Biden. Davon sollte sich die EU nicht leiten lassen, wenngleich auch auf dem alten Kontinent die Wahl des Europäischen Parlaments vom 6. bis 9. Juni vor der Tür steht. Es ist zwar richtig, dass China die heimischen Anbieter mit Direkthilfen unterstützt, doch bei Subventionen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit eigener Unternehmen ist niemand frei von Schuld, schon gar nicht die Amerikaner und Europäer. Daher sollte sich Brüssel gut überlegen, einen schädlichen Handelskrieg zu riskieren, zumal die chinesische Regierung sich neue Strafzölle kaum ohne Gegenmassnahmen gefallen lassen dürfte. Das gilt umso mehr, als nüchtern betrachtet der befürchtete Elektroauto-Orkan aus China bis jetzt nur eine frische Brise ist. Im Jahr 2023 lag der Marktanteil chinesischer Fahrzeuge in der EU bei 2,6 und in Deutschland bei 1,3 Prozent.
Bis anhin gibt es noch keinen Grund zur Panik. Zwar werden sich chinesische Anbieter ihren Platz in Europa erkämpfen, so wie früher zuerst japanische und dann koreanische Autohersteller. Doch trotz inzwischen guter Qualität und attraktivem Infotainment haben sie noch einige Hausaufgaben zu machen, etwa beim Aufbau von Image und Vertrauen. Man denke dabei nur an das Thema Datenschutz. Auch beim Händler- und Vertriebsnetz sowie bei flächendeckenden Werkstattservices inklusive stabiler Ersatzteilversorgung gibt es noch viel zu tun. Der niedrige Preis der Autos ist nur ein Aspekt bei der Kaufentscheidung der Kunden.
Hinsichtlich einer chinesischen Auto-Invasion herrscht in der EU diesmal nicht die oft beschworene «German Angst», sondern vor allem eine «French Angst». Die chinesischen Anbieter sind nämlich primär im Massenmarkt der Unter- und Mittelklasse vertreten und machen somit vor allem französischen und italienischen Brands sowie einigen Marken des
Volkswagen-Konzerns Konkurrenz. Dagegen sind BMW, Mercedes-Benz sowie die VW-Marken Audi und Porsche fast ausschliesslich in der Oberklasse vertreten. Zugleich sind die deutschen Hersteller sehr erfolgreich in China, dem grössten Automarkt der Welt. Sie verkaufen dort gut jedes dritte Auto und sichern damit auch deutsche Arbeitsplätze. Französische und italienische Marken sind im Reich der Mitte dagegen nahezu inexistent. Sollte China also mit Gegenzöllen reagieren, würde das die deutschen Hersteller sehr schmerzlich treffen.
Brüssel sollte unabhängig von rein nationalen Interessen zwar darauf achten, dass einigermassen faire Wettbewerbsbedingungen herrschen. Doch vorschnelle Zollerhöhungen zum Schutz heimischer Anbieter sind noch nicht angezeigt. Die Konkurrenz aus China ist gut für die Kunden, die wegen des grösseren Angebots und der niedrigeren Preise profitieren können. Der intensivere Wettbewerb wird zudem auch die heimischen Anbieter anspornen. Ein Handelskrieg würde dagegen die Preise nach oben treiben und das Angebot einschränken. Zudem würde die EU an Glaubwürdigkeit einbüssen, wenn sie, die seit Jahren aus Klimaschutzgründen mit allen Mitteln das E-Auto forciert, nun unliebsame ausländische Anbieter behinderte, die zur Umsetzung der ausgerufenen Ziele beitragen könnten.
Ein Handelskrieg würde die Preise nach oben treiben und das Angebot einschränken.