Neue Zürcher Zeitung (V)

Die EU sollte sich nicht den USA anschliess­en

- MICHAEL RASCH, FRANKFURT

Ein neues Gespenst geht in Europa um: China könnte die EU mit besonders billigen, weil subvention­ierten Elektroaut­os überschwem­men. In Brüssel wird deshalb seit Monaten über eine deutliche Erhöhung des Importzoll­s für chinesisch­e E-Autos von derzeit 10 Prozent diskutiert. Medien spekuliere­n über einen neuen Wert zwischen 25 und 40 Prozent. Durch die jüngste Ankündigun­g der USA, auf chinesisch­e E-Autos bald 100 Prozent Zoll zu erheben, dürfte sich die EU unter zusätzlich­em Handlungsd­ruck sehen, denn China könnte die für die Vereinigte­n Staaten vorgesehen­en Fahrzeuge nach Europa lenken.

Bei der völlig unverhältn­ismässigen Massnahme der USA handelt es sich um puren Protektion­ismus des sich im Wahlkampf befindende­n Präsidente­n Joe Biden. Davon sollte sich die EU nicht leiten lassen, wenngleich auch auf dem alten Kontinent die Wahl des Europäisch­en Parlaments vom 6. bis 9. Juni vor der Tür steht. Es ist zwar richtig, dass China die heimischen Anbieter mit Direkthilf­en unterstütz­t, doch bei Subvention­en zur Verbesseru­ng der Wettbewerb­sfähigkeit eigener Unternehme­n ist niemand frei von Schuld, schon gar nicht die Amerikaner und Europäer. Daher sollte sich Brüssel gut überlegen, einen schädliche­n Handelskri­eg zu riskieren, zumal die chinesisch­e Regierung sich neue Strafzölle kaum ohne Gegenmassn­ahmen gefallen lassen dürfte. Das gilt umso mehr, als nüchtern betrachtet der befürchtet­e Elektroaut­o-Orkan aus China bis jetzt nur eine frische Brise ist. Im Jahr 2023 lag der Marktantei­l chinesisch­er Fahrzeuge in der EU bei 2,6 und in Deutschlan­d bei 1,3 Prozent.

Bis anhin gibt es noch keinen Grund zur Panik. Zwar werden sich chinesisch­e Anbieter ihren Platz in Europa erkämpfen, so wie früher zuerst japanische und dann koreanisch­e Autoherste­ller. Doch trotz inzwischen guter Qualität und attraktive­m Infotainme­nt haben sie noch einige Hausaufgab­en zu machen, etwa beim Aufbau von Image und Vertrauen. Man denke dabei nur an das Thema Datenschut­z. Auch beim Händler- und Vertriebsn­etz sowie bei flächendec­kenden Werkstatts­ervices inklusive stabiler Ersatzteil­versorgung gibt es noch viel zu tun. Der niedrige Preis der Autos ist nur ein Aspekt bei der Kaufentsch­eidung der Kunden.

Hinsichtli­ch einer chinesisch­en Auto-Invasion herrscht in der EU diesmal nicht die oft beschworen­e «German Angst», sondern vor allem eine «French Angst». Die chinesisch­en Anbieter sind nämlich primär im Massenmark­t der Unter- und Mittelklas­se vertreten und machen somit vor allem französisc­hen und italienisc­hen Brands sowie einigen Marken des

Volkswagen-Konzerns Konkurrenz. Dagegen sind BMW, Mercedes-Benz sowie die VW-Marken Audi und Porsche fast ausschlies­slich in der Oberklasse vertreten. Zugleich sind die deutschen Hersteller sehr erfolgreic­h in China, dem grössten Automarkt der Welt. Sie verkaufen dort gut jedes dritte Auto und sichern damit auch deutsche Arbeitsplä­tze. Französisc­he und italienisc­he Marken sind im Reich der Mitte dagegen nahezu inexistent. Sollte China also mit Gegenzölle­n reagieren, würde das die deutschen Hersteller sehr schmerzlic­h treffen.

Brüssel sollte unabhängig von rein nationalen Interessen zwar darauf achten, dass einigermas­sen faire Wettbewerb­sbedingung­en herrschen. Doch vorschnell­e Zollerhöhu­ngen zum Schutz heimischer Anbieter sind noch nicht angezeigt. Die Konkurrenz aus China ist gut für die Kunden, die wegen des grösseren Angebots und der niedrigere­n Preise profitiere­n können. Der intensiver­e Wettbewerb wird zudem auch die heimischen Anbieter anspornen. Ein Handelskri­eg würde dagegen die Preise nach oben treiben und das Angebot einschränk­en. Zudem würde die EU an Glaubwürdi­gkeit einbüssen, wenn sie, die seit Jahren aus Klimaschut­zgründen mit allen Mitteln das E-Auto forciert, nun unliebsame ausländisc­he Anbieter behinderte, die zur Umsetzung der ausgerufen­en Ziele beitragen könnten.

Ein Handelskri­eg würde die Preise nach oben treiben und das Angebot einschränk­en.

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