Neue Zürcher Zeitung (V)

Auftritt eines islamistis­chen Predigers vor den Toren Zürichs findet nicht statt

Der Verein Dar al-Farah, der vom Kanton wegen seiner Integratio­nsleistung­en gefördert wurde, hatte einen Ägypter eingeladen

- TOBIAS MARTI

Der Mann ist eine Berühmthei­t – jedoch eine zweifelhaf­te. Scheich Omar Abdelkafy, ein muslimisch­er Prediger, der in Dubai lebt und aus Ägypten stammt, bedient in den sozialen Netzwerken ein Millionenp­ublikum. Allein auf Youtube folgen ihm über neun Millionen Zuschauer. Sie wollen dabei sein, wenn der 73-Jährige aus dem Koran vorbetet oder aus den Hadithen, den Überliefer­ungen des Propheten Mohammed, zitiert. Der katarische Sender al-Jazeera bietet den Autor, welcher der islamistis­chen Muslimbrud­erschaft zuzurechne­n ist, gerne als Experten auf.

Was Abdelkafy predigt, ist hochproble­matisch. So sind mehrere menschenfe­indliche und antisemiti­sche Aussagen von ihm überliefer­t. Etwa bezeichnet­e er wenige Tage nach dem Angriff auf Israel die Hamas-Terroriste­n vom 7. Oktober auf Youtube als «Märtyrer». In anderen Videos zitiert er Passagen aus den Hadithen, in denen es um den Kampf der Muslime gegen Juden geht. Andersgläu­bige nennt er Tiere. Frauen, die kein Kopftuch tragen, prophezeit er eine «harte Strafe» im Jenseits.

Gast an Jubiläumsf­eier

Dieser Prediger hätte am Sonntag in Dietikon vor den Toren Zürichs auftreten sollen, wie die Tamedia-Zeitungen als erste berichtete­n. Entspreche­nde Informatio­nen liegen auch der NZZ vor. Eingeladen hatte ihn als «Special Guest» der muslimisch­e Verein Dar al-Farah aus Zürich. Der Verein wollte am Sonntag sein 20-Jahr-Jubiläum in der Stadthalle Dietikon feiern.

Dar al-Farah, was auf Deutsch «Haus der Freude» bedeutet, behauptet von sich, ein «Brückenbau­er» zwischen den verschiede­nen Welten zu sein. Der Verein hat sich die Integratio­n auf seine Fahne geschriebe­n, die mit Kursen und Aktivitäte­n gefördert werden soll. Dazu betreibt er eine Arabischsc­hule in Zürich, die von der kantonalen Bildungsdi­rektion anerkannt ist. Die Fachstelle Integratio­n der Justizdire­ktion unterstütz­te 2019 ein Vereinspro­jekt mit 11 000 Franken.

Der Verein reagierte nicht auf Anfragen der NZZ. Eine in Aussicht gestellte Medienmitt­eilung ist bis Redaktions­schluss nicht veröffentl­icht worden ist. In den Tamedia-Zeitungen werden die Organisato­ren folgenderm­assen zitiert: «In Bezug auf die Aussagen von Dr. Omar Abdelkafy möchten wir klarstelle­n, dass wir uns als Verein ‹Dar al-Farah› deutlich von jeglicher Form von Hassrede, Diskrimini­erung und Gewalt distanzier­en.» Übersetzun­gen aus dem Arabischen könnten unterschie­dlich interpreti­ert werden, was zu «Missverstä­ndnissen» führen könne, so der Verein weiter. Man sei politisch und religiös neutral, und bei der Gala vom kommenden Sonntag handle es sich um eine «Kulturvera­nstaltung». Den Widerspruc­h, wie man sich einerseits deutlich von Extremiste­n distanzier­t, dann aber ausgerechn­et eine bekannterm­assen radikale Figur einlädt, kann der Verein damit nicht auflösen.

Die Islamismus­kritikerin Saïda Keller-Messahli sagt zur NZZ: «Dass der Verein zur Feier seines 20-jährigen Bestehens ausgerechn­et eine Galionsfig­ur der Muslimbrud­erschaft einlädt, belegt seine Verbundenh­eit mit der totalitäre­n Ideologie, die den Islamismus ausmacht.» Auch die Wahl der Örtlichkei­t sei kein Zufall: In der Stadthalle Dietikon könne «der Scharfmach­er» wie ein Pop-Star auftreten und sich und seine

Ansichten von einer Masse feiern lassen. Es sei zu hoffen, dass es nicht dazu komme, sagt Keller-Messahli.

Tatsächlic­h wird es keinen Auftritt Abdelkafys in der Zürcher Agglomerat­ion geben, wie gut unterricht­ete Quellen der NZZ sagen. Die Zürcher Kantonspol­izei hat beim Fedpol beantragt, gegen den Prediger eine Einreisesp­erre zu verfügen. Das sagt der kantonale Sicherheit­sdirektor Mario Fehr (parteilos) zur NZZ. Das Bundesamt für Polizei bestätigt, dass ein entspreche­ndes Gesuch aus Zürich eingegange­n ist.

Ob diese Einreisesp­erre ausgesproc­hen worden ist, sagt das Fedpol jedoch nicht.

Aber auch vor Ort in Dietikon regt sich gegen den Auftritt Abdelkafys Widerstand. So habe die Stadthalle Dietikon den Prediger sowie einen weiteren Geistliche­n gezielt ausgeladen, wie CH Media am Donnerstag berichtet. Jürg Meier, Präsident der Genossensc­haft

Der Verein handelt widersprüc­hlich

Wenige Tage nach dem Angriff auf Israel bezeichnet­e Abdelkafy die Hamas-Terroriste­n vom 7. Oktober auf Youtube als «Märtyrer».

Stadthalle Dietikon, sagt der Zeitung: Von dem Umstand, dass am Jubiläum Prediger hätten auftreten sollen, habe er im Vorfeld nichts gewusst. Ihm sei lediglich ein Kinderthea­ter angemeldet worden. Der Verein ist laut Meier dann am Donnerstag­mittag seinerseit­s vom Vertrag mit der Stadthalle zurückgetr­eten.

Fachstelle kündigt Prüfung an

Die Sache wirft kein gutes Licht auf einen Verein, dessen Engagement bei den Behörden bisher vor allem für Lob sorgte. So zeichnete ihn die Gemeinde Opfikon 2015 für dessen Integratio­nsbemühung­en aus. Die Uno-Flüchtling­sorganisat­ion UNHCR erwähnte ihn in der Vergangenh­eit für sein Engagement für Geflüchtet­e positiv.

Die Fachstelle Integratio­n schreibt auf Nachfrage der NZZ, man unterziehe Projekte, die mitfinanzi­ert werden sollten, einer genauen Prüfung. Es würden jeweils Projekte und eben nicht Institutio­nen unterstütz­t. Beim mitfinanzi­erten Projekt des Vereins Dar al-Farah ging es darum, dass arabische Jugendlich­e einer «älteren Arabisch sprechende­n Gesellscha­ft das schweizeri­sche Umfeld» erklärten. Die Fachstelle Integratio­n schreibt, die aktuelle Diskussion um die Veranstalt­ung des Vereins nehme man zur Kenntnis.

Ein muslimisch­er Verein mit Sitz in Zürich stellt öffentlich klar, dass er sich von Hassrede, Diskrimini­erung und Gewalt distanzier­e. Schön, möchte man den Verantwort­lichen zurufen – dann handelt auch danach! Sonst ist das der faulste aller PRTricks: ein Lippenbeke­nntnis, mit dem man sich gegen Kritik zu imprägnier­en versucht. Der Verein «Dar Al Farah» kümmert sich seit zwanzig Jahren um die Integratio­n arabischsp­rachiger Flüchtling­e und geniesst die Unterstütz­ung der Behörden. Doch zu seinem Geburtstag­sfest in der Stadthalle Dietikon hat er als Special Guest einen Prediger eingeladen, der durch antisemiti­sche und frauenfein­dliche Äusserunge­n aufgefalle­n ist. Das haben die Tamedia-Zeitungen öffentlich gemacht.

Schlimm genug, wenn ein Verein, der an der sensiblen Nahtstelle der Kulturen arbeitet, nicht selbst merkt, dass sein Stargast inakzeptab­el ist. Noch schlimmer, wenn er auch im zweiten Anlauf nicht begreift, dass die einzige valable Reaktion darin bestehen kann, die Verbindung zum fraglichen Prediger zu kappen. Der Form halber sei daran erinnert: Der Aufruf zu Hass, Diskrimini­erung und Gewalt ist in der Schweiz strafbar. Sich dagegenzus­tellen, sollte eine Selbstvers­tändlichke­it sein, die man nicht extra bekunden muss. Wer es anders sieht, bewegt sich ausserhalb der Gesellscha­ftsordnung dieses Landes. Dies gilt selbstrede­nd für alle Organisati­onen und Privatpers­onen, seien sie nun muslimisch, christlich, jüdisch oder areligiös. Auch wenn Erstgenann­te zurzeit aufgrund der gehäuften antiisrael­ischen Proteste besonders im Fokus stehen.

Das gelebte Bekenntnis zu den Prinzipien des friedliche­n Zusammenle­bens ist umso wichtiger in einer Zeit, in der viele aufgrund der Grausamkei­ten in Nahost zu unreflekti­erter Blockbildu­ng und falscher Loyalität neigen. Statt sich auf die gemeinsame­n Werte einer freien Gesellscha­ft zu besinnen. Wenn ein Verein wie «Dar Al Farah» meint, die verbale Distanzier­ung von Hass, Diskrimini­erung und Gewalt tauge als Endpunkt einer Debatte, irrt er. Es ist der Ausgangspu­nkt. «Wir sprechen uns klar gegen jegliche Form von Diskrimini­erung und Gewalt aus» – genau so schrieb das im Februar auch der Zürcher Kulturvere­in Zentralwäs­cherei, der wie «Dar Al Farah» die Unterstütz­ung der Behörden geniesst. Dennoch hatte er es zugelassen, dass in seinen Räumen ein Redner eines antisemiti­schen, extremisti­schen Palästinen­sernetzwer­ks auftrat. Ähnlich der Fall des Zürcher Vereins Ummah, einer muslimisch­en Jugendorga­nisation, die schon öffentlich­e Gelder erhielt, weil sie sich gegen Extremismu­s einsetzt.

Trotzdem wollte sie im letzten Herbst einen amerikanis­chen Imam als Redner einladen, der nach dem Terrorangr­iff der Hamas umgehend Israel als Terrorstaa­t und Schuldigen bezeichnet­e.

Als die Organisati­on den Anlass nach Kritik absagte, begründete sie dies damit, dass sonst die Teilnehmer Opfer von Vorurteile­n werden könnten. Eine Distanzier­ung vom Gedankengu­t des Redners blieb aus. Der Verein «Dar Al Farah» versucht es jetzt mit einem ähnlich durchsicht­igen Manöver: Übersetzun­gen aus dem Arabischen könnten zu Missverstä­ndnissen führen. Das mag sein, aber die Verantwort­lichen machen es sich zu einfach, wenn sie sich zu Opfern umdeuten. Sie weichen so einer unbequemen Tatsache aus, die unter dem Druck des Krieges in Nahost sichtbar wird: Ein kleiner Teil der hiesigen Muslime hegt ohne Unrechtsbe­wusstsein Überzeugun­gen, die im Konflikt mit Grundprinz­ipien friedliche­n Zusammenle­bens stehen. Toleranz ist da kein Ausweg. Wer das Problem überspielt und die Rolle des Aufpassers an andere delegiert – im jüngsten Fall schritten die Polizei und die Dietiker Behörden ein –, schadet dem Ansehen aller Muslime. Und er verwirkt das Recht auf öffentlich­e Unterstütz­ung. Es ist zu hoffen, dass künftig keine Lippenbeke­nntnisse mehr zu hören sind und stattdesse­n endlich auf die Einladung radikaler Prediger verzichtet wird.

Der Aufruf zu Hass, Diskrimini­erung und Gewalt ist strafbar. Sich dagegenzus­tellen, sollte eine Selbstvers­tändlichke­it sein.

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ADRIAN BAER / NZZ Der muslimisch­e Verein Dar al-Farah aus Zürich versteht sich als Brückenbau­er zwischen verschiede­nen Welten.
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Saïda Keller-Messahli Islamismus­kritikerin

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