Die Nachfrage nach Spitex-Diensten wächst und wächst
Private Firmen haben in der Pflege zu Hause einen lukrativen Markt entdeckt – die öffentliche Spitex arbeitet deutlich teurer
Noch nie lebten in der Schweiz so viele alte Menschen, fast 500 000 Personen sind 80 Jahre oder älter. Und keine frühere Generation legte so viel Wert auf Autonomie wie die heutigen Senioren. Für viele von ihnen ist es eine schreckliche Vorstellung, von der eigenen Wohnung oder aus dem eigenen Haus in ein Pflegeheim umziehen zu müssen. Die logische Konsequenz dieser beiden Entwicklungen: Die Spitex boomt.
Neue Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BfS) belegen den Trend. Im Jahr 2022 liessen sich 5 Prozent der Bevölkerung daheim pflegen. Zehn Jahre früher waren es nur 3 Prozent gewesen. Die absolute Zahl der Spitex-Klienten hat sich in diesem Zeitraum fast verdoppelt, auf 405 000 Personen. Gleichzeitig wurden die Leistungen vielfältiger und spezialisierter. Die Spitex betreut immer mehr Demenzkranke oder Menschen, die zu Hause sterben möchten. Und auch viel mehr Patienten unter 30 Jahren, die laut der Spitex Schweiz, dem Verband der öffentlichrechtlichen Spitex-Organisationen, bereits 30 Prozent der Fälle ausmachen. Das können Kinder mit Leukämie sein. Oder Leute, die sich nach der Operation daheim erholen.
Neue Konkurrenz
Die letzten zehn Jahre waren in der Spitex-Branche vom Aufkommen zahlreicher privater Anbieter geprägt. Sie erhalten erst seit der grossen Reform der Pflegefinanzierung 20 11 Beiträge von der öffentlichen Hand und erkannten in der ambulanten Pflege rasch einen lukrativen Markt. Dort konkurrenzieren sie nun die traditionellen gemeinnützigen SpitexOrganisationen. Das sorgt immer wieder für Kontroversen – etwa im Aargauer Städtchen Aarburg, wo die SVP-Sozialvorsteherin Martina Bircher die Kosten stark reduzierte, indem sie eine private Anbieterin engagierte. Was ihr prompt den Vorwurf einbrachte, sie spare auf dem Buckel der Senioren, die schlechtere Leistungen erhalten würden. Das bestreitet Bircher jedoch: Die «alte» Spitex habe einfach ineffizient gearbeitet.
Gemäss den neuen BfS-Zahlen haben die profitorientierten Spitex-Organisationen ihren Marktanteil nahezu verdoppelt, von 16 auf 29 Prozent. Laut Marianne Pfister, Co-Geschäftsführerin von Spitex Schweiz, hätten die öffentlichrechtlichen Organisationen die stärkere Nachfrage aufgrund der Alterung der Gesellschaft und des medizinischen Fortschritts unmöglich selbst abdecken können. Dadurch habe sich das Feld für private Firmen geöffnet. Und auch für selbständige Pflegefachpersonen, die 6 Prozent der Pflegeleistungen erbringen.
Gewinnorientierte Unternehmen wie Home Instead haben sich vor allem auf die Rundumbetreuung von Senioren spezialisiert, die nicht schwer krank sind, aber Unterstützung brauchen, um weiterhin daheim wohnen zu können. Die Pflegenden der öffentlichen Spitex, die meist einen Leistungsauftrag von der Gemeinde hat, kümmern sich hingegen in erster Linie um die komplexeren Fälle. Das schlägt sich auch in der Statistik nieder: Die öffentlichrechtliche Spitex stellt im Durchschnitt 114 Franken pro Stunde in Rechnung, die privaten Organisationen nur 83 Franken. Marianne Pfister erklärt diese Differenz mit dem grösseren Aufwand der öffentlichen Spitex. Sie muss für spezialisierte Leistungen wie Wund-, Onkologie- oder Kinderpflege speziell ausgebildetes Personal mit entsprechenden Lohnkosten anstellen.
Und sie kann, wegen der Versorgungspflicht, keine Rosinenpickerei betreiben. «Wir nehmen alle Klienten auf, auch wenn sie abgelegen wohnen und eine Pflegefachfrau zwanzig Minuten hin- und zwanzig Minuten zurückfahren muss, um eine Spritze zu setzen, wofür sie fünf Minuten braucht.» Das erkläre auch die zweite Zahl, die besonders ins Auge sticht. Pro Klient und Jahr rechnet die öffentliche Spitex durchschnittlich 47 Pflegestunden ab, die privaten Firmen hingegen 104 Stunden. «Die öffentliche Spitex übernimmt viele Kurzeinsätze, und der Tag ist oft so durchgetaktet, dass sich die Pflegenden nicht erlauben können, allzu lange zu verweilen und mehr Minuten aufzuschreiben», sagt Pfister.
Mehr Personal nötig
Es zeichnet sich ab, dass die Spitex künftig noch mehr gefragt ist. Bald kommen die umfangreichen Babyboomer-Jahrgänge in ein Alter, in dem sie vermehrt Pflege brauchen. Und auch bei der Verlagerung von stationären Leistungen in Pflegeheimen, Spitälern und Rehabilitationskliniken in den ambulanten Bereich gibt es in der Schweiz viel Potenzial. Das bedeutet, dass die Spitex-Organisationen – öffentliche wie private – deutlich mehr Personal werden rekrutieren müssen.
Der Personalmangel sei in der Spitex weniger gravierend als in den Heimen oder Spitälern, sagt Pfister. «Es hilft uns, dass die Pflegenden bei ihren Hausbesuchen sehr selbständig agieren und dadurch einen grossen Gestaltungsraum haben, die Hierarchien sind ebenfalls flach.»