Neue Zürcher Zeitung (V)

Geert Wilders kommt an die Macht

Rechtsauss­enpolitike­r will in Niederland­en «strengstes Asylregime aller Zeiten» einführen

- DANIEL STEINVORTH, BRÜSSEL

«Die Niederland­e sind ein wunderschö­nes Land. Ein Land, auf das man stolz sein kann. Wir müssen hart arbeiten, um das Vertrauen der Niederländ­er zu gewinnen.» Wer die ersten Sätze des Rahmenabko­mmens liest, das die vier Koalitions­partner in Den Haag geschlosse­n haben, mag noch nicht erkennen, dass den Niederland­en ein politische­s Experiment der Sonderklas­se bevorsteht.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes wird mit der Partij voor de Vrijheid (PVV) des Islam-Gegners Geert Wilders eine Partei vom rechten Rand an der Macht beteiligt sein. Auch wird erstmals kein Parteichef die nächste Regierung anführen, die zur Hälfte aus Politikern und zur Hälfte aus Technokrat­en bestehen soll.

Verschärft­e Grenzkontr­ollen

Nach sechs Monaten zäher Verhandlun­gen gaben Wilders, der klare Wahlsieger vom November, und die anderen Protagonis­ten – die Liberalkon­servative Dilan Yesilgöz, der Zentrist Pieter Omtzigt und die Chefin der Bauernbewe­gung Caroline van der Plas – am Mittwoch bekannt, sich geeinigt zu haben. Nur wer den Posten des Ministerpr­äsidenten erhalten soll, war am Donnerstag noch offen. In Den Haag zirkuliert der Name des Sozialdemo­kraten Ronald Plasterk.

Dafür steht das Regierungs­programm fest, und dieses hat es in sich. Geplant sind unter anderem eine radikale Wende in der Asyl- und Migrations­politik, Steuererle­ichterunge­n für die Mittelschi­cht, eine Lockerung der harten

Regeln für die Landwirtsc­haft, der Bau von vier neuen Atomkraftw­erken sowie Kürzungen im öffentlich­en Dienst und bei der Entwicklun­gshilfe.

Gerade einmal 26 Seiten lang ist die Vereinbaru­ng, die den Titel «Hoffnung, Mut und Stolz» trägt und grob die Ziele der Koalition skizziert. Dabei sticht das Thema Migration besonders hervor. Die vier Parteien rufen eine «Asylkrise» aus und wollen ein «vorübergeh­endes Asylkrisen­gesetz» einführen. Dieses sieht vor, dass die Bearbeitun­g von Asylanträg­en ausgesetzt werden kann, Menschen ohne

Aufenthalt­srecht in den allermeist­en Fällen ausgeschaf­ft werden können und Einschränk­ungen beim Asylstatus, beim Familienna­chzug sowie bei der Vergabe von Sozialwohn­ungen möglich werden.

Die Einwanderu­ngsbestimm­ungen der EU will man mit einer Ausstiegsk­lausel umgehen. Grenzkontr­ollen sollen verschärft werden. Zudem soll die Arbeitsmig­ration über eine Einschränk­ung der Personenfr­eizügigkei­t eingedämmt und auch die Zahl ausländisc­her Studenten reduziert werden. Die Massnahmen tragen die Handschrif­t Wilders’, der nicht im Kabinett sitzen wird. Zwar musste der PVV-Chef während der Koalitions­verhandlun­gen auch Federn lassen, etwa bei den radikalen Anti-Islam-Positionen oder dem Verspreche­n, das Land über den EU-Austritt abstimmen zu lassen. In einer gesonderte­n Stellungna­hme hatte er den anderen Parteien die Achtung der Grundrecht­e verspreche­n müssen. Über das «strengste Asylregime aller Zeiten» aber freute sich Wilders am Mittwochab­end gegenüber der Presse.

Ein weiterer Schwerpunk­t der Regierung wird die «Existenzsi­cherung» sein, die vor allem dem früheren Christlich­demokraten Omtzigt am Herzen liegt. So sollen sich die Bürger ab dem nächsten Jahr über eine Senkung der Einkommens­steuer, mehr Kindergeld und eine Halbierung des Selbstbeha­lts im Gesundheit­swesen freuen dürfen.

Ausbau der Stromprodu­ktion

Eine Kehrtwende soll es auch in der Klima- und Stickstoff-Politik geben, die zu wütenden Bauernprot­esten geführt hatte. Zwar bekennt sich die Koalition zu den internatio­nalen Klimaziele­n. Auf die geplante Zwangsente­ignung von Landwirten und eine Reduzierun­g des Viehbestan­des soll aber verzichtet werden. Auf den Autobahnen soll statt Tempo 100 wieder 130 gelten. Mit der Steigerung der Offshore-Erdgasförd­erung und dem Ausbau der Stromprodu­ktion von Atomkraftw­erken will man die Energiesic­herheit gewährleis­ten.

Finanziert werden sollen die Steuersenk­ungen und die höheren Sozialausg­aben über Einschnitt­e im öffentlich­en Dienst (1 Milliarde Euro) und bei der Entwicklun­gszusammen­arbeit (2,4 Milliarden Euro). Die Unterstütz­ung für den öffentlich­rechtliche­n Rundfunk soll um 100 Millionen Euro jährlich gekürzt werden. Auch will man mit Brüssel über niedrigere Beiträge zum Haushalt sprechen.

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