Uhrenhändler unter Druck
Einst waren sie von den Uhrenmarken umworben, heute sehen sich viele Händler zum Befehlsempfänger degradiert: Sie erhalten die tollsten Modelle nicht mehr ans Lager, müssen über jedes Detail Rechenschaft ablegen – und manche Marken verzichten ganz auf sie. Allerdings zeichnet sich leise ein Umschwung an: Das Konzept Multibrand-Boutique ist noch nicht tot.
Die Zahlen sind eindrücklich. Und sie haben viele Uhrenmarken motiviert, ihre Zusammenarbeit mit Fachhändlern gründlich zu überdenken: Als FrançoisHenry Bennahmias 2012 zum CEO von Audemars Piguet berufen wurde, zählte die Marke 470 Verkaufsstellen. Heute sind es 92, darunter 18 sogenannte AP-Houses und 63 Monobrand-Boutiquen. Mit anderen Worten: Es verbleiben noch elf klassische MultibrandFachhändler.
Für Trendsetter François-Henry Bennahmias hat sich der Kahlschlag im Multimarken-Retail mehr als rentiert: Bei seinem Amtsantritt 2012 lag der Umsatz von Audemars Piguet bei etwa 500 Millionen Franken, 2023 waren es 2,4 Milliarden, wie Bennahmias der NZZ im vergangenen Herbst anvertraute. Zu verdanken hat dieses atemberaubende Umsatzwachstum ganz klar auch dem Retail-Konzept: «Wir sind vom Wholesaler zum Retailer mutiert», pflegte der letztes Jahr zurückgetretene Bennahmias zu sagen. Und: «Die Konsolidierung der Marge hat natürlich den Umsatz erhöht.»
Das bringt Nachahmer auf den Plan. Und ohnehin ist generell ein Trend in diese Richtung erkennbar, wie Experte Oliver Müller vom Uhrenberatungsunternehmen LuxeConsult bestätigt. «Wir haben in den letzten zehn Jahren einen eigentlichen Paradigmenwechsel erlebt», sagt er. «Die Retail-Landschaft hat sich radikal verändert.»
Wahr ist: Von A wie Audemars Piguet bis Z wie Zenith haben die Schweizer Uhrenmarken in Sachen Fachhandel den Rotstift angesetzt: «Wir sind von 850 auf 590 Verkaufsstellen zurückgegangen», erklärte etwa Julien Tornare, damals CEO von Zenith, vor etwa mehr als einem Jahr in einem Interview. Die Botschaft dazu sei klar: «Weniger ist besser.» Inzwischen ist die Marke bei rund 500 Verkaufspunkten angelangt.
Bei Rado hat CEO Adrian Bosshard das Verkaufsnetz um rund 20 Prozent reduziert. Man wolle selektive und qualitativ hochstehende Partner, lässt die Marke verlauten. Und ähnlich dekretierte es Georges Kern, kaum war er bei Breitling auf die Kommandobrücke getreten: «Wir werden die Distribution in den nächsten zwei Jahren von etwa 2000 Verkaufspunkten auf 1500 reduzieren, insbesondere in Europa und in den USA», erklärte er. «Wir wollen mehr Qualität und müssen das richtige Markenumfeld schaffen.» Heute hat Breitling 1600 Verkaufspunkte, darunter 260 MonobrandBoutiquen.
Die Eröffnung solcher MonobrandBoutiquen, das heisst Läden, welche nur eine einzige Marke verkaufen, war in den letzten Jahren der zweite grosse Trend. Vorreiter war die Marke Omega, die im Jahr 2000 in Zürich die erste Monobrand-Boutique ausserhalb von China eröffnete, wie sich Oliver Müller erinnert, damals bei Omega Head of International Distribution Logistics: «Man sagte uns, das werde nie funktionieren und schon gar nicht rentieren. Doch schon nach 18 Monaten war der Break-even erreicht.»
Die Marken haben das Sagen
Die Vorteile des Konzepts MonobrandBoutique lägen auf der Hand, sagt Müller: «Sie kontrollieren das Image, behalten als Marke die Übersicht über das Lager und wissen sozusagen live, in welchen Märkten sich welche Uhr am besten verkauft.» Dazu komme das Abschöpfen der Marge – nach Abzug der Investitionen und Kosten verbleibe geschätzt noch rund die Hälfte für die Marke.
Weniger Verkaufsstellen, mehr Monobrand-Boutiquen – der Trend ging am Handel nicht spurlos vorbei, ganz im Gegenteil. «Früher wurden wir von den Marken umworben», klagt ein Uhrenhändler mit mehreren Jahrzehnten Erfahrung, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. «Heute sind wir nur noch Befehlsempfänger – man hat dem Einzelhändler die Autonomie abgenommen.» Es habe Zeiten gegeben, da seien zum Beispiel die schönsten Fachhändlerschaufenster von den Uhrenmarken prämiert worden, heute habe man bei der Gestaltung keinen Handlungsspielraum mehr: «Jedes Detail wird vorgeschrieben.»
Tatsächlich haben die Marken den Fachhandel eng an die Kandare genommen – zum Teil auch wegen schmerzlicher Erfahrungen in der Vergangenheit. Etwa wenn man zu spät realisierte, dass ein Händler wegen Absatzproblemen auf einem aufgeblasenen Lager sass und seine Uhren am Schluss verramschen musste, was dem Markenimage alles andere als zuträglich war.
Inzwischen gehen Auflagen und Kontrolle recht weit: Mindestlager, Mindestumsatz, Beteiligung am E-Commerce, Aktivitäten auf Facebook etc. werden vereinbart, die Gestaltung eines Schaufensters bis ins letzte Detail geregelt. «Es kommt sogar vor, dass einem vorgeschrieben wird, in welcher Farbe man die Wände zu streichen hat», regt sich ein Retailer auf. Das Resultat, so ein anderer Juwelier, sei ein betrübliches Einerlei: «Am Ende sehen alle Geschäfte überall gleich aus.»
Die Uhrenmarken versuchen auch, an die Kundendaten zu kommen, die bisher allein der Händler hatte. Beliebte Massnahme: Regulär gibt es eine Garantie von zwei Jahren, doch wer sich online direkt bei der Marke registriert, bekommt eine markante Verlängerung. «Ich wurde schon unmissverständlich
Ein grosser Trend war in den letzten Jahren die Eröffnung von MonobrandBoutiquen.
darauf aufmerksam gemacht, dass dies zu wenige meiner Kunden täten, und gebeten, sie künftig mit Nachdruck auf die Möglichkeit aufmerksam zu machen», berichtet ein Retailer.
Keine Neuheiten für Händler
Ärgerlich sei zudem, dass man gewisse Vorzeigemodelle mitunter gar nicht ans Sortiment nehmen könne. Ausgerechnet jene Uhren, die etwa am Genfer Uhrensalon Watches and Wonders und in der Werbung hervorgehoben würden, seien manchmal nur in den Monobrand-Boutiquen der Marke erhältlich. «Es ist schon vorgekommen, dass wir von einer Marke gar keine Neuheit erhalten haben», klagt ein Händler. Bei einer anderen habe man immerhin einen Drittel problemlos bekommen, einen Drittel aber nur auf Anfrage und einen Drittel gar nicht.
Vor allem kleine Händler in kleineren Städten sind unter Druck geraten. Glamour-Boutiquen an der Zürcher Bahnhofstrasse, der Place Vendôme in Paris oder der der Fifth Avenue hingegen können die Entwicklung mit Gelassenheit zur Kenntnis nehmen, denn auf sie will keine Nobelmarke verzichten.
Und es gibt auch sonst Gewinner. Gewiss, die Geschäfte seien auch schon einfacher gewesen, bestätigt etwa Marco Galli, Inhaber der Boutique Galli am Zürcher Bellevue. Bei einigen Marken habe man mitunter das Gefühl, sie seien an einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit nicht mehr interessiert. Doch das blieben Ausnahmen, auch wenn man natürlich heute in Bezug auf Gastlichkeit, Einkaufserlebnis und Servicequalität mehr bieten müsse als seinerzeit.
«Es wird oft auf sehr hohem Niveau geklagt», sagt Galli, «für uns jedenfalls läuft es nach wie vor gut.» In den letzten Jahren habe man unglaubliche Wachstumsraten von bis zu 20 oder 30 Prozent in einem Jahr erlebt. Und nach wie vor gebe es auch Marken, wie etwa Tudor, Omega oder Breitling, die sehr gerne mit familiengeführten Uhrenboutiquen zusammenarbeiteten. Wenn diese dann einen Shop-in-Shop wünschten, habe das seine Berechtigung. «Play the game», sei dann das Motto.
Wer mit Herz dabei ist und es versteht, ein überzeugendes Angebot zusammenzustellen, hat sehr wohl eine Chance. Das beweist zum Beispiel Dominik Maegli mit seinen Geschäften in Bern, Olten und Solothurn. Im Städtchen Solothurn, wo er eine traditionelle Uhren- und Schmuckboutique führt, baut Maegli sogar aus: Zum bestehenden Parterre des Geschäftes am Klosterplatz 1 kommt neu der umgebaute erste Stock dazu. Ziel sei es nicht, mehr Marken anzubieten, es gehe vielmehr darum, zusätzlichen Platz zu schaffen, um den Kunden ein angenehmeres Ambiente bieten zu können.
Die Lage entspannt sich
Besonders spannend sind Maeglis Geschäfte in Bern, wo er unter dem Motto «Tick different» ein breites Angebot von sorgfältig kuratierten Nischenund Spezialitätenmarken anbietet – «für Uhrenliebhaber», wie er witzelt, «denen es ausreicht, wenn die Krone einer Uhr nicht auf dem Zifferblatt zu sehen ist, sondern an der Seite der Uhr.» «Uhrsachen» heisst das Geschäft, das unter anderem als erstes in Europa die Marke Grand Seiko anbot. Zum Portfolio gehören vorab unabhängig Marken wie Nomos, Habring, Czapek, ZRC, Sarpaneva, Porsche Design, Grönefeld, Armin Strom, Ressence oder Erwin Sattler.
Das eigenwillige Konzept weist einen möglichen Weg in die Zukunft des unabhängigen Fachhandels. Und wie zum Beweis dafür eröffnet Maegli neben dem Hauptgeschäft an der Berner Kramgasse 19 sowie einem Concept Store mit ausgefallenen Spezialitäten neu auch noch ein Geschäft am Berner Zytgloggeturm. Weil der Umbau in Solothurn die Kapazitäten des Unternehmens bindet, ist es vorerst ein Pop-up-Store mit Maurice Lacroix; demnächst aber wird es ein echter Uhrsachen-Laden sein. Getreu
«Es kommt sogar vor, dass die Marken den Händlern vorschreiben, in welcher Farbe die Wände gestrichen werden müssen. Am Ende sehen alle Geschäfte überall gleich aus.»
Maeglis Bekenntnis für Unruh und Uhrenöl: «Unsere Herzen schlagen mit 28 800 Halbschwingungen pro Stunde», pflegt er zu sagen, «und in unseren Adern fliesst Möbius 9010.»
So etwas kann auch etablierte Marken bezirzen. Longines zum Beispiel klopfte bei «Uhrsachen» an und platziert dort seit zwei Jahren gewisse Connaisseur-Modelle mit Vintage-Charakter.
Ohnehin scheint sich die Lage etwas zu entspannen. IWC zum Beispiel war in den letzten Jahren besonders selektiv mit Uhren für Händler. Viele Modelle kamen nur in die Monobrand-Boutiquen, darunter das im Frühling 2023 vorgestellte neue Modell «Ingenieur». Dieses Jahr hingegen, freut sich ein Händler, sei die Marke weit weniger restriktiv – man erhalte fast jedes Modell.
Auch Breitling legt Wert auf den Fachhandel. Konkret unterstützt die Marke ihre Händler intensiv – beispielsweise mit Kundenevents und Schulungen fürs Personal. «Wir verfolgen eine Omnichannel-Strategie», sagt CEO Georges Kern. «Dazu gehören neben Monomarken-Boutiquen – übrigens oft von Händlern geführt – auch eine enge Zusammenarbeit mit dem MultibrandHandel sowie unser Onlineauftritt mit E-Commerce.»
Wer mit Herz dabei ist und es versteht, ein überzeugendes Angebot zusammenzustellen, hat sehr wohl eine Chance.