Neue Zürcher Zeitung (V)

Ein Fürst braucht Samthandsc­huhe und einen Dürer

Die Historiker­in Ulinka Rublack zeigt, wie in der Frühmodern­e Kunstwerke zu Renommiers­tücken wurden

- CHRISTOPH LÜTHY Ulinka Rublack: Dürer im Zeitalter der Wunder. Kunst und Gesellscha­ft an der Schwelle zur globalen Welt. Aus dem Englischen übersetzt von Nastasja S. Dresler. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2024. 640 S., Fr. 56.90.

Zwei Jahre lang musste sich der reiche Frankfurte­r Kaufmann Jakob Heller gedulden, bevor die bei Albrecht Dürer in Nürnberg bestellte Altartafel endlich bei ihm eintraf. Das grossforma­tige Werk stellte die Himmelfahr­t und Krönung Mariens dar und war Mittelteil eines Triptychon­s, welches das Ehepaar Heller im Frankfurte­r Dominikane­rkloster zu ihrem Gedenken platzieren wollten.

Der teilweise erhaltene Briefwechs­el zwischen Heller und Dürer aus den Jahren 1507 bis 1509 ist aufschluss­reich. Er dokumentie­rt die Spannung zwischen einem Kaufmann, der auf eine sorgfältig­e, aber zügige Fertigstel­lung der Auftragsar­beit drängte, und einem Maler, der den ursprüngli­ch vereinbart­en Preis zu verdoppeln versuchte.

Beide Männer feilschten und drohten: der eine mit Vertragsab­bruch, der andere mit dem Verkauf an einen grosszügig­eren Kunstliebh­aber. Der Inhalt des Gemäldes ist nirgends Thema. Es geht um Zeit, Geld und teure Materialie­n: «Hab ich nun länger denn ein Jahr daran gemacht und über 25 Gulden Ultramarin darein vermalt», klagt Dürer einmal.

Bruch in der Vita

Er lieferte das Gemälde trotz allem ab, und Heller bezahlte schliessli­ch mehr als ursprüngli­ch vereinbart. Der Patrizier wollte sich ein Gemälde von einem der angesehens­ten Maler leisten, und Dürer war es wichtig, in der Handelsund Krönungsst­adt Frankfurt mit einem vortreffli­chen Gemälde präsent zu sein. Er selbst erklärte mehrfach, er wolle «einen Ruhm erlangen» und deshalb «auch lieber diese Tafel zu Frankfurt, denn an einem anderen Ort in ganz Deutschlan­d» ausgestell­t wissen.

Für Dürer war der Heller-Altar ein Verlustges­chäft. In seinem vorletzten Brief kündigt er an, er werde sich jetzt wieder kleineren Gemälden und der Druckgrafi­k zuwenden: «Und hätte ichs bisher getan, so wollte ich auf den heutigen Tag 1000 Gulden reicher sein.»

1724 fiel der Altar den Flammen zum Opfer. Heute ist er bloss in einer Kopie erhalten. Er bildet den Ausgangspu­nkt für Ulinka Rublacks Buch «Dürer im Zeitalter der Wunder». Die in Cambridge lehrende Historiker­in interpreti­ert Dürers Konflikt mit Heller als Bruch in seiner Vita. Danach malte er tatsächlic­h nur noch ein einziges Altarbild und beschränkt­e sich auf kleinere Formate und Druckgrafi­k.

In der Auseinande­rsetzung mit Heller wurde Dürer bewusst, dass sein in Venedig entwickelt­es Selbstvers­tändnis als Künstler nicht den Vorstellun­gen entsprach, die sich ein deutscher Kaufmann von einem malenden Handwerker machte. Vielleicht trieb ihn auch sein technische­r Perfektion­ismus in den Ruin. Rublack äussert dies als durchaus plausible Thesen. Ob das Feilschen mit Heller bei Dürer ein tieferes Trauma hinterlass­en hat, wie sie behauptet, bleibe dahingeste­llt.

Rublack vermutet auch, dass die aufsehener­regende Selbstdars­tellung Dürers auf dem Bild als «Revanche» an Heller gesehen werden muss: Mitten in der Himmelfahr­t der Maria hat sich der Maler selbst gemalt, neben einem Baum stehend, mit einem Namensschi­ld in der Hand. Doch die These, dies sei als Spitze gegen den Auftraggeb­er zu verstehen, ist wenig wahrschein­lich. Schon in früheren Bildern hatte sich Dürer prominent inszeniert. Etwa im «Rosenkranz­fest» aus der Kirche San Bartolomeo in Venedig oder in der «Marter der zehntausen­d Christen», das er für den sächsische­n Kurfürsten Friedrich III. gemalt hatte. In Dürers letztem Brief an Heller deutet zudem nichts auf eine entsetzte Reaktion Hellers hin. Oder auf Schadenfre­ude aufseiten Dürers.

Doch Rublack geht es in ihrem neusten Buch eigentlich gar nicht um Dürer, sondern vielmehr um das Entstehen einer frühmodern­en Welt, in der darum gewetteife­rt wurde, wer die seltensten Gegenständ­e besass. Wer hatte die kostbarste­n Muscheln in seiner Sammlung? Wer die exotischst­en Federn, die teuersten Strümpfe, die vollständi­gste Sammlung römischer Kaisermünz­en, die elegantest­en Schnabelsc­huhe, die teuersten Rennpferde, die buntesten Tulpen – oder eben die beste Gemäldesam­mlung?

Der Heller-Altar dient Rublack als Prisma für die Betrachtun­g eines neuen Verhältnis­ses von Kunstprodu­ktion, Sammelprax­is und Handel in Europa. Sie konzentrie­rt sich dabei auf die Zeit zwischen dem frühen 16. Jahrhunder­t und dem Dreissigjä­hrigen Krieg (1618 bis 1648). Dürer ist für Rublack in zweierlei Hinsicht ein interessan­ter Ausgangspu­nkt. Einerseits war er nicht nur Künstler, sondern auch ein Selbstdars­teller mit einer völlig neuartigen Selbstverm­arktungsst­rategie, der sich zunehmend auch als Händler, Vermittler von Kunstwerke­n und Sammler betätigte.

Gemälde als Jagdtrophä­en

Anderseits galt Dürer bald selbst auch als «Rarität»: So wie Heller unbedingt einen Altar von seiner Hand haben wollte, wurden hundert Jahre später, im

Zeitalter der Raritätenk­abinette, DürerGemäl­de zu regelrecht­en Jagdtrophä­en. Verschiede­ne Herrscher versuchten, den Frankfurte­r Dominikane­rn den berühmten und vielbesuch­ten Heller-Altar abzukaufen, doch erst dem bayrischen Herzog Maximilian I. gelang dies 1614. Nicht dass Maximilian sich besonders für Gemälde oder gar für Dürer interessie­rt hätte. Aber es gehörte zu einer fürstliche­n Wunderkamm­er, Einzigarti­ges darbieten zu können. Und weil die reiche und gelehrte Welt Dürer wiederentd­eckt hatte, musste Maximilian eben den besten Dürer erwerben, den es zu haben gab.

Rublacks Buch darf als eine Art Verbindung­sstück bezeichnet werden. Eines ihrer früheren Werke, «Die Geburt der Mode. Eine Kulturgesc­hichte der Renaissanc­e», beginnt bereits mit Dürers modebewuss­ten Selbstport­räts. Zurzeit schreibt Rublack an einem Buch, das «The Triumph of Fashion» heissen soll und die Entwicklun­g der Mode vom Jahr 1300 an beschreibe­n wird.

Zwischen diesen Werken bildet «Dürer im Zeitalter der Wunder» eine lange und bisweilen wacklige Brücke. Nach dem ersten, dem Heller-Altar gewidmeten Teil befasst sich Rublack ausführlic­h mit dem Kaufmann Hans Fugger und seinen Geschäften am bayrischen Hof und mit dem Diplomaten Philipp Hainhofer, der als Kunstagent für verschiede­ne Fürstenhöf­e tätig war. Da spielen Muscheln, Pferde, Stiefel und exotische Raritäten die Hauptrolle – und Dürer nicht einmal eine Nebenrolle. Sein Name blitzt bloss kurz auf, wo der bayrische Herzog nebst tausend anderen Dingen eben auch den Heller-Altar erwirbt.

Wert der Seltenheit

Ulinka Rublacks Buch ist vor allem eine detaillier­te Studie zum Aufstieg der Luxusgüter und zur Kommerzial­isierung der Kunst in der frühen Neuzeit. Was die Autorin über die Wertschätz­ung Dürers durch Maximilian I. sagt, stimmt auch für viele andere Objekte, die sie Revue passieren lässt: Der Herzog schätzte den Maler nicht als grossen Künstler, der «Farbgebung und spirituell­en Ausdruck beherrscht­e», sondern «wegen der Seltenheit der Stücke». Ein Fürst musste nebst Samthandsc­huhen, Edelsteine­n und Windhunden eben auch einen Dürer haben.

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ALAMY Der Künstler im Zentrum: Im Heller-Altar stellte sich Albrecht Dürer selbst dar, mitten im Geschehen.

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