New Yorker Gericht hebt Urteil gegen Weinstein auf
Der Hollywood-Produzent war 2020 in einem vielbeachteten Urteil wegen mehrerer Sexualverbrechen verurteilt worden
Wer #MeToo denkt – die internationale Bewegung gegen sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch –, denkt seinen Namen meistens mit: Harvey Weinstein. Wegen Sexualdelikten war er 2020 in einem Prozess in Manhattan und 2023 in einem weiteren Verfahren in Los Angeles zu insgesamt 39 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Diese Urteile gehören zu den wichtigsten Erfolgen im Kampf gegen sexuelle Belästigung weltweit.
Nun hat das New Yorker Berufungsgericht Weinsteins Verurteilung wegen Sexualverbrechen aus dem Jahr 2020 aufgehoben. In einem knappen Beschluss von 4:3 entschieden die Richter des höchsten New Yorker Gerichts, Weinsteins Berufung stattzugeben. Grund dafür ist ein Verfahrensfehler: Der damalige Richter habe Zeugenaussagen zugelassen, die nicht hätten vorgebracht werden dürfen.
Die «Molineux-Zeugen»
Zum Stolperstein im Weinstein-Prozess wurden sogenannte «Molineux-Zeugen» oder «Zeugen für frühere schlechte Taten»; benannt nach Roland B. Molineux, der im Jahr 1900 wegen Giftmords verurteilt wurde. Das Berufungsgericht annullierte ein Jahr später das Urteil mit der Begründung, dass vor Gericht nur eingeklagte oder bereits verurteilte Straftaten verhandelt werden dürfen.
Dieses Urteil gilt bis heute – mit Ausnahmen: Ein Richter kann «MolineuxZeugen» zulassen, wenn er damit aufzeigen will, dass die Taten einem Schema folgen und keine Einzelfälle sind. Genau davon wollte die Staatsanwaltschaft die Geschworenen im Falle Weinstein überzeugen: dass der Hollywood-Produzent systematisch seine Bekanntheit und seinen Einfluss genutzt habe, um junge Frauen sexuell zu missbrauchen.
Dafür wurden vier Frauen in den Zeugenstand gerufen, die aussagten, von Weinstein vergewaltigt worden zu sein. Diese Taten waren allerdings nicht eingeklagt worden, sondern nur Teil der jeweiligen Zeugenaussage. Nötig schien das juristische Manöver, weil die Fälle der beiden Hauptklägerinnen vor Gericht auf wackligen Beinen standen.
Der damalige Bezirksstaatsanwalt von Manhattan, Cyrus R.Vance junior, erhob 2018 in zwei Fällen Anklage gegen Weinstein. Miriam Haley erklärte vor Gericht, Weinstein habe sie 2006 zum Oralsex gezwungen. Jessica Mann sagte, er habe sie 2013 vergewaltigt. Beide Frauen wurden von Weinstein zu sexuellen Handlungen gezwungen, gingen diese bei anderen Gelegenheiten aber auch freiwillig ein.
Haley hatte zwei Wochen nach dem Übergriff auf sie im Jahr 2006 einvernehmlichen Sex mit Weinstein und unterzeichnete später eine E-Mail an ihn mit «Lots of love». Mann gab zu, eine dreijährige Quasi-Beziehung zu Weinstein gehabt zu haben, in der einvernehmlicher und nicht einvernehmlicher Sex sich abwechselten.
Vor Gericht erklärte Staatsanwältin Meghan Hast damals der Jury, dass Opfer von sexuellen Übergriffen oft versuchen würden, «die Situation fast zu normalisieren», um sich «nicht so ekelhaft» zu fühlen. Im Falle eines derart drastischen Machtgefälles wie zwischen den beiden Klägerinnen und Weinstein war sich zu entziehen oder gar zu wehren mehr oder weniger gleichbedeutend mit dem Karriereende der Betroffenen. Das zeigten andere Geschichten von Weinstein-Opfern, die etwa in einem Enthüllungsartikel der «New York Times» zu Wort kamen.
Versuchte Wiedergutmachung
Obwohl in vielen Fällen psychologisch erklärbar ist, warum Opfer sich nach einer Tat nicht augenblicklich gegen ihre Täter wenden oder sich zumindest zurückziehen, ist das Weiterführen einer Beziehung jedweder Art mit dem Täter juristisch gesehen oft der Hauptgrund für das Scheitern einer Anklage.
Dass der damalige Bezirksstaatsanwalt dennoch mit Mann und Haley zur Anklage schritt, hat mit einem früheren
Versagen derselben Staatsanwaltschaft zu tun. Bereits 2015 hatte das Model Ambra Battilana Gutierrez Weinstein beschuldigt, sie an der Brust betatscht und seine Hand unter ihren Rock geschoben zu haben. Obwohl Battilana ein heimlich aufgenommenes Tondokument vorweisen konnte, auf dem zu hören ist, wie Weinstein sich bei ihr für seine Taten entschuldigt und ihr eine finanzielle Entschädigung dafür anbietet, entschied die Staatsanwaltschaft, den Fall nicht zu verfolgen. Drei Jahre später wollte man es besser machen.
Ein Rückschritt?
Bereits als im Februar 2020 die Beratung der Geschworenen begann, war klar, dass die zwölfköpfige Jury eine Entscheidung treffen würde, die wegweisend für die künftige Strafverfolgung von Sexualverbrechen sein dürfte. Das damalige Urteil wurde als Schritt dahingehend gewertet, dass die Kluft zwischen dem Alltag der Betroffenen und dem Strafrechtssystem, das vielen psychologischen Faktoren nicht Rechnung zu tragen vermag, sich zu schliessen beginnt.
Dass das Urteil nun aufgehoben wurde, mutet an wie ein Schritt zurück. Madeline Sigas, eine der drei Richter, die sich gegen die Aufhebung des Urteils ausgesprochen hatten, sagte, sie beobachte «einen beunruhigenden Trend zur Aufhebung von Schuldsprüchen in Fällen von sexueller Gewalt».
Ein freier Mann ist der 72-jährige Weinstein dennoch nicht. In Los Angeles war er 2023 ebenfalls wegen Sexualstraftaten zu 16 Jahren Haft verurteilt worden. Er wird seine Strafe für die dortigen Verurteilungen fortsetzen, doch am 20. Mai werde er auch gegen das dortige Urteil Berufung einlegen, sagt eine seiner Anwältinnen am Donnerstag. Denn der New Yorker Prozess habe auch jenen in Los Angeles beeinflusst. Ob der Prozess in Manhattan erneut geführt wird, entscheidet Bezirksstaatsanwalt Alvin L. Bragg. Dieser befindet sich gerade mitten im Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Donald Trump.