Mitte-links versucht, die Schuldenbremse auszuhebeln
Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats will mit einem Milliardenfonds die Armee nachrüsten und die Ukraine unterstützen
Wenn es um Armeefinanzen geht, erinnert die Mitte mitunter an die Braut, die sich nicht traut. In der amerikanischen Komödie lässt Julia Roberts einen Bräutigam nach dem anderen vor dem Altar stehen – bis sie Richard Gere trifft. Wenn es um Ehe-Politik geht, ziert sich die Mitte gewöhnlich nicht. Aber bei der Finanzierung der Armee und dem Schliessen der drohenden Fähigkeitslücke scheint sie sich nicht recht entscheiden zu können. Wie viel Bundesgeld soll in die Armee fliessen? Bis wann? Auf diese Fragen hört man immer wieder andere, teilweise sich widersprechende Antworten aus der Partei.
Doch jetzt haben Mitte-Exponenten in der Sicherheitspolitik einen ziemlichen Coup gelandet – zusammen mit Linken. Und zwar mit einem 15-Milliarden-Franken-Deal an der Schuldenbremse vorbei. Am Donnerstag traf sich die Sicherheitskommission des Ständerats und beriet unter anderem einen Vorstoss der Mitte-Politikerin Marianne Binder. Sie will einen «spezialgesetzlich» geregelten befristeten Fonds äufnen: Das Militär soll bis 2030 zusätzliche 10,1 Milliarden Franken für die Nachrüstung der Armee erhalten, wie es die Bürgerlichen fordern. Im Gegenzug würde die Politik die 5 Milliarden Wiederaufbauhilfe für die Ukraine ebenfalls über den Fonds finanzieren – und nicht aus dem Budget für Internationale Zusammenarbeit, wie der Bundesrat es will. Damit trüge man einem Wunsch der Linken Rechnung. Das ergäbe allenfalls Mehrheiten und würde die Pattsituation bei der Militärdiskussion aufheben.
Sicherheit vor den Finanzen?
Die Finanzierung des Fonds wird allerdings noch zu reden geben. Denn er soll als ausserordentliche Ausgaben verbucht werden. Damit soll die Schuldenbremse ausgehebelt werden, ohne dass man die Milliardenbeträge andernorts einspart. Der Bundesrat hat sich bereits gegen eine ausserordentliche Finanzierung ausgesprochen: Es handle sich bei den Militärausgaben nicht um aussergewöhnliche und vom Bund nicht steuerbare Entwicklungen.
Und auch bei Sicherheitspolitikern des Freisinns und der SVP hat man keine Freude am Mitte-links-Deal. Der FDPStänderat Josef Dittli sagt: «Eine ausserordentliche Finanzierung ist widerrechtlich. Dafür bin ich nicht zu haben.» Es handle sich um eine «klassische Aushebelung der Schuldenbremse». Komme sie durch, sei das ein Dammbruch für weitere Anliegen.
Hinter dem Deal steht ein monatelanges Hin und Her beim Militärbudget. 2022 hatte das Parlament beschlossen, die Armeeausgaben bis 2030 auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) zu erhöhen, von 5,5 Milliarden auf 10 Milliarden pro Jahr. Die Verteidigungsfähigkeit der Schweizer Armee war aufgrund der Friedensdividende bedroht, der Ukraine-Krieg hat das Risiko bewaffneter Konflikte wieder ins politische Bewusstsein gerückt. Doch dann machte das Parlament im Dezember 2023 aufgrund des drohenden Milliardendefizits in den Bundesfinanzen eine Kehrtwende und beschloss eine spätere Aufstockung – erst bis 2035 und gegen den Willen der FDP und SVP, aber mithilfe von Mitte-Exponenten.
Es ist daher bemerkenswert, dass nun Mitte-Politiker federführend waren bei einem Vorstoss für eine Stärkung der Verteidigungsfähigkeit – und dafür bereit sind, Schulden in Kauf zu nehmen. Die geopolitische Lage habe sich seit Dezember noch einmal zugespitzt, sagte Andrea Gmür-Schönenberger am Donnerstag und nahm Bezug auf die verheerende Lage in der Ukraine und im Gazastreifen sowie auf den Angriff Irans auf Israel. Für die Sicherheitskommission habe die Sicherheit des Landes und seiner Menschen oberste Priorität. «Wenn die Sicherheit nicht gewährt ist, können wir auch die Finanzen vergessen.»
Allerdings ist auch eine schnellere Erhöhung des Militärbudgets auf regulärem Weg und bei Wahrung der Schuldenbremse wieder auf dem Tisch. Die Sicherheitspolitische Kommission nahm am Donnerstag nämlich auch einen Antrag von SVP-Ständerat Werner Salzmann an, der fordert, das Armeebudget nun doch bereits bis 2030 auf ein Prozent des BIP zu erhöhen. Wenn es nach Salzmann geht, soll die Erhöhung via Sparmassnahmen an anderer Stelle finanziert werden, etwa in der Entwicklungshilfe.
Zusammengefasst präsentiert die Sicherheitspolitische Kommission dem Parlament also zwei Varianten: Erhöhung des Armeebudgets bei Wahrung der Schuldenbremse. Dafür müsste die Politik andernorts massiv sparen oder die Steuern erhöhen. Oder eine Finanzierung via den speziellen Fonds.
Mitte einmal mehr uneinig
Wer sich durchsetzt, ist schwer abzuschätzen. Nicht zuletzt, weil die Mitte sich einmal mehr nicht einig ist. Der Finanzpolitiker Peter Hegglin etwa ist gegen den Fonds-Vorschlag aus den eigenen Reihen, wie er gegenüber CH Media sagte. Er hat seinerseits eine befristete Mehrwertsteuererhöhung ins Spiel gebracht. Auch der Sicherheitspolitiker Martin Candinas ist skeptisch. «Das Verteidigungsbudget und die Hilfe für die Ukraine sind zwei sehr unterschiedliche Politikbereiche», sagt er der NZZ. «Ihre Verknüpfung wird innerhalb der Mitte-Fraktion sicher zu reden geben.»
Die sachfremde Verknüpfung ergibt sich wohl aus strategischen Überlegungen: Kein Bereich wird von bürgerlicher Seite häufiger genannt, wenn es um das Sparen geht, als die Entwicklungszusammenarbeit. Und nirgends sind die Bürgerlichen gewillt, trotz drohendem Defizit so viel Geld auszugeben wie bei der Armee. Daher mag Mitte-links hier einen Hebel erkennen. Und die SP ein Einfallstor für eine Schwächung der Schuldenbremse. Diese ist ihr schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Via Militärbudget sieht sie nun offenbar eine Chance, die Budgetkontrolle zu schwächen.
Die sachfremde Verknüpfung von Verteidigungsbudget und Ukraine-Hilfe ergibt sich wohl aus strategischen Überlegungen.
Doch auch in der SP gibt es kritische Stimmen. Und bei den Grünen stehen noch Diskussionen an, um die «Konsequenzen abzuschätzen», wie die Fraktionschefin Aline Trede sagt. Es brauche eine ausgeglichene Lösung und vor allem eine direkte finanzielle Hilfe für die Ukraine. Der Vorstoss der Grünen für die Milliardenhilfe an die Ukraine wurde von der Mehrheit des Parlaments abgelehnt, ebenso der Beitritt zur RepoTask-Force. «Die Oligarchen-Gelder werden nicht richtig eingefroren, und der Rohstoffhandel wird weiterhin nicht kontrolliert. Da muss sich das Parlament bewegen», so Trede.
Aber auch wenn Mitte-links im Parlament tatsächlich durchkommt mit dem Vorschlag: Am Ende wird vielleicht die Bevölkerung das letzte Wort haben. Diese hat in der Regel kein Ohr für machtstrategische Überlegungen. Es ist daher offen, ob sie die Verknüpfung einer starken Armee mit der Wiederaufbauhilfe in der Ukraine goutieren würde.