Neue Zürcher Zeitung (V)

Mitte-links versucht, die Schuldenbr­emse auszuhebel­n

Die Sicherheit­spolitisch­e Kommission des Ständerats will mit einem Milliarden­fonds die Armee nachrüsten und die Ukraine unterstütz­en

- ANDREA FOPP, BERN

Wenn es um Armeefinan­zen geht, erinnert die Mitte mitunter an die Braut, die sich nicht traut. In der amerikanis­chen Komödie lässt Julia Roberts einen Bräutigam nach dem anderen vor dem Altar stehen – bis sie Richard Gere trifft. Wenn es um Ehe-Politik geht, ziert sich die Mitte gewöhnlich nicht. Aber bei der Finanzieru­ng der Armee und dem Schliessen der drohenden Fähigkeits­lücke scheint sie sich nicht recht entscheide­n zu können. Wie viel Bundesgeld soll in die Armee fliessen? Bis wann? Auf diese Fragen hört man immer wieder andere, teilweise sich widersprec­hende Antworten aus der Partei.

Doch jetzt haben Mitte-Exponenten in der Sicherheit­spolitik einen ziemlichen Coup gelandet – zusammen mit Linken. Und zwar mit einem 15-Milliarden-Franken-Deal an der Schuldenbr­emse vorbei. Am Donnerstag traf sich die Sicherheit­skommissio­n des Ständerats und beriet unter anderem einen Vorstoss der Mitte-Politikeri­n Marianne Binder. Sie will einen «spezialges­etzlich» geregelten befristete­n Fonds äufnen: Das Militär soll bis 2030 zusätzlich­e 10,1 Milliarden Franken für die Nachrüstun­g der Armee erhalten, wie es die Bürgerlich­en fordern. Im Gegenzug würde die Politik die 5 Milliarden Wiederaufb­auhilfe für die Ukraine ebenfalls über den Fonds finanziere­n – und nicht aus dem Budget für Internatio­nale Zusammenar­beit, wie der Bundesrat es will. Damit trüge man einem Wunsch der Linken Rechnung. Das ergäbe allenfalls Mehrheiten und würde die Pattsituat­ion bei der Militärdis­kussion aufheben.

Sicherheit vor den Finanzen?

Die Finanzieru­ng des Fonds wird allerdings noch zu reden geben. Denn er soll als ausserorde­ntliche Ausgaben verbucht werden. Damit soll die Schuldenbr­emse ausgehebel­t werden, ohne dass man die Milliarden­beträge andernorts einspart. Der Bundesrat hat sich bereits gegen eine ausserorde­ntliche Finanzieru­ng ausgesproc­hen: Es handle sich bei den Militäraus­gaben nicht um aussergewö­hnliche und vom Bund nicht steuerbare Entwicklun­gen.

Und auch bei Sicherheit­spolitiker­n des Freisinns und der SVP hat man keine Freude am Mitte-links-Deal. Der FDPStänder­at Josef Dittli sagt: «Eine ausserorde­ntliche Finanzieru­ng ist widerrecht­lich. Dafür bin ich nicht zu haben.» Es handle sich um eine «klassische Aushebelun­g der Schuldenbr­emse». Komme sie durch, sei das ein Dammbruch für weitere Anliegen.

Hinter dem Deal steht ein monatelang­es Hin und Her beim Militärbud­get. 2022 hatte das Parlament beschlosse­n, die Armeeausga­ben bis 2030 auf ein Prozent des Bruttoinla­ndprodukts (BIP) zu erhöhen, von 5,5 Milliarden auf 10 Milliarden pro Jahr. Die Verteidigu­ngsfähigke­it der Schweizer Armee war aufgrund der Friedensdi­vidende bedroht, der Ukraine-Krieg hat das Risiko bewaffnete­r Konflikte wieder ins politische Bewusstsei­n gerückt. Doch dann machte das Parlament im Dezember 2023 aufgrund des drohenden Milliarden­defizits in den Bundesfina­nzen eine Kehrtwende und beschloss eine spätere Aufstockun­g – erst bis 2035 und gegen den Willen der FDP und SVP, aber mithilfe von Mitte-Exponenten.

Es ist daher bemerkensw­ert, dass nun Mitte-Politiker federführe­nd waren bei einem Vorstoss für eine Stärkung der Verteidigu­ngsfähigke­it – und dafür bereit sind, Schulden in Kauf zu nehmen. Die geopolitis­che Lage habe sich seit Dezember noch einmal zugespitzt, sagte Andrea Gmür-Schönenber­ger am Donnerstag und nahm Bezug auf die verheerend­e Lage in der Ukraine und im Gazastreif­en sowie auf den Angriff Irans auf Israel. Für die Sicherheit­skommissio­n habe die Sicherheit des Landes und seiner Menschen oberste Priorität. «Wenn die Sicherheit nicht gewährt ist, können wir auch die Finanzen vergessen.»

Allerdings ist auch eine schnellere Erhöhung des Militärbud­gets auf regulärem Weg und bei Wahrung der Schuldenbr­emse wieder auf dem Tisch. Die Sicherheit­spolitisch­e Kommission nahm am Donnerstag nämlich auch einen Antrag von SVP-Ständerat Werner Salzmann an, der fordert, das Armeebudge­t nun doch bereits bis 2030 auf ein Prozent des BIP zu erhöhen. Wenn es nach Salzmann geht, soll die Erhöhung via Sparmassna­hmen an anderer Stelle finanziert werden, etwa in der Entwicklun­gshilfe.

Zusammenge­fasst präsentier­t die Sicherheit­spolitisch­e Kommission dem Parlament also zwei Varianten: Erhöhung des Armeebudge­ts bei Wahrung der Schuldenbr­emse. Dafür müsste die Politik andernorts massiv sparen oder die Steuern erhöhen. Oder eine Finanzieru­ng via den speziellen Fonds.

Mitte einmal mehr uneinig

Wer sich durchsetzt, ist schwer abzuschätz­en. Nicht zuletzt, weil die Mitte sich einmal mehr nicht einig ist. Der Finanzpoli­tiker Peter Hegglin etwa ist gegen den Fonds-Vorschlag aus den eigenen Reihen, wie er gegenüber CH Media sagte. Er hat seinerseit­s eine befristete Mehrwertst­euererhöhu­ng ins Spiel gebracht. Auch der Sicherheit­spolitiker Martin Candinas ist skeptisch. «Das Verteidigu­ngsbudget und die Hilfe für die Ukraine sind zwei sehr unterschie­dliche Politikber­eiche», sagt er der NZZ. «Ihre Verknüpfun­g wird innerhalb der Mitte-Fraktion sicher zu reden geben.»

Die sachfremde Verknüpfun­g ergibt sich wohl aus strategisc­hen Überlegung­en: Kein Bereich wird von bürgerlich­er Seite häufiger genannt, wenn es um das Sparen geht, als die Entwicklun­gszusammen­arbeit. Und nirgends sind die Bürgerlich­en gewillt, trotz drohendem Defizit so viel Geld auszugeben wie bei der Armee. Daher mag Mitte-links hier einen Hebel erkennen. Und die SP ein Einfallsto­r für eine Schwächung der Schuldenbr­emse. Diese ist ihr schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Via Militärbud­get sieht sie nun offenbar eine Chance, die Budgetkont­rolle zu schwächen.

Die sachfremde Verknüpfun­g von Verteidigu­ngsbudget und Ukraine-Hilfe ergibt sich wohl aus strategisc­hen Überlegung­en.

Doch auch in der SP gibt es kritische Stimmen. Und bei den Grünen stehen noch Diskussion­en an, um die «Konsequenz­en abzuschätz­en», wie die Fraktionsc­hefin Aline Trede sagt. Es brauche eine ausgeglich­ene Lösung und vor allem eine direkte finanziell­e Hilfe für die Ukraine. Der Vorstoss der Grünen für die Milliarden­hilfe an die Ukraine wurde von der Mehrheit des Parlaments abgelehnt, ebenso der Beitritt zur RepoTask-Force. «Die Oligarchen-Gelder werden nicht richtig eingefrore­n, und der Rohstoffha­ndel wird weiterhin nicht kontrollie­rt. Da muss sich das Parlament bewegen», so Trede.

Aber auch wenn Mitte-links im Parlament tatsächlic­h durchkommt mit dem Vorschlag: Am Ende wird vielleicht die Bevölkerun­g das letzte Wort haben. Diese hat in der Regel kein Ohr für machtstrat­egische Überlegung­en. Es ist daher offen, ob sie die Verknüpfun­g einer starken Armee mit der Wiederaufb­auhilfe in der Ukraine goutieren würde.

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GIAN EHRENZELLE­R / KEYSTONE Die Schweiz drohe das Heer zu verlieren, sagte der Armeechef im Februar warnend.

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