Neue Zürcher Zeitung (V)

Die Jugend ist links? Von wegen!

Die AfD ist heute unter jungen Menschen die beliebtest­e Partei in Deutschlan­d

- MORTEN FREIDEL, BERLIN

Seit einigen Jahren verbreitet sich in der deutschen Öffentlich­keit ein scharf konturiert­es Bild der Jugend. Darin erstrahlt sie in leuchtend grünen Farben. Spätestens seit Hunderttau­sende Jugendlich­e jeden Freitag die Schule schwänzten, um für Klimaschut­z zu demonstrie­ren, gilt die Jugend als verlängert­er Arm der Grünen. Sie ist klimabeweg­t, sie ist progressiv, und der Einsatz für den Planeten kommt bei ihr noch vor dem Einsatz für die eigenen Interessen. Die Rede war gar von einer «Generation Greta».

Dem stellten Politiker und Journalist­en eine ältere Generation gegenüber, die angeblich das genaue Gegenteil will. Diversität und progressiv­e Anliegen seien ihr egal, der Kampf gegen den Klimawande­l erst recht. Die Jugendlich­en sollten die Alten deshalb kräftig aufrütteln, das war die Hoffnung.

Sie sollten ihnen sagen, wie Klimaschut­z geht, dann würde sich alles Weitere schon von selbst ergeben. Womöglich sogar die Rettung der Welt.

Sorgen wegen Migrations­krise

All das waren Trugbilder. Das zeigte sich erstmals nach der Bundestags­wahl in Deutschlan­d 2021. Unter jungen Wählern waren damals zwei Parteien am beliebtest­en: die Grünen und, knapp dahinter, die Liberalen. Das passte nicht ins Bild einer Jugendbewe­gung, die gewisserma­ssen ganz von allein in die grüne Vorherrsch­aft münden würde.

In dieser Woche hat sich dieses Trugbild endgültig verflüchti­gt. Da erschien die diesjährig­e Studie «Jugend in Deutschlan­d», eine repräsenta­tive Befragung von Jugendlich­en und jungen Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren. Die beliebtest­e Partei war die AfD. 22 Prozent der jungen Leute gaben an, sie künftig zu wählen. Knapp dahinter folgt die Union, mit 20 Prozent, erst dann die Grünen, mit 18 Prozent.

Wenn man sich die Ergebnisse der vergangene­n Jahre ansieht, ist der Befund noch eindeutige­r. Keine Partei ist unter jungen Leuten so sehr in der Beliebthei­t nach oben geschnellt wie die AfD. Im Jahr 2022 lag sie noch bei 9 Prozent. Und mit Ausnahme der Liberalen ist keine Partei so stark abgestürzt wie die Grünen. Die Mehrheit der jungen Leute in Deutschlan­d denkt heute konservati­v oder rechts. Nur eine Minderheit denkt grün.

Dafür finden sich handfeste Gründe, über die die Studie ebenfalls Aufschluss gibt. Den jungen Leuten bereitet die Inflation nach eigenen Angaben die grösste Sorge, darauf folgen die Kriege in Europa und Nahost. Es kommt aber noch etwas hinzu. Kein anderes

Thema hat für Jugendlich­e dermassen an Relevanz gewonnen wie die Migrations­krise. Vor zwei Jahren waren noch 22 Prozent der Befragten darüber besorgt, in diesem Jahr sind es 41 Prozent. Zudem sind 54 Prozent besorgt wegen der Wohnungskn­appheit.

Enttäuscht von der Regierung

All das ist wenig verwunderl­ich. Junge Leute bekommen die Folgen fehlgeleit­eter Politik häufig als Erste zu spüren. Sie können sich keine Wohnung mehr leisten, wenn die Preise wegen Knappheit steigen. Sie werden auf dem Nachhausew­eg von der Party belästigt. Und sie gehören zu den Opfern, wenn die Gewalt an Schulen zunimmt. In den Zahlen spiegelt sich deshalb eindrückli­ch die Enttäuschu­ng über die Politik der deutschen Regierungs­koalition. In den Analysen über den Rechtsruck unter jungen Leuten wird aber noch etwas Entscheide­ndes vergessen.

Jugendlich­e empfinden es offenkundi­g als Provokatio­n, AfD-Positionen zu vertreten. Man muss ihnen nur zuhören. Die «Welt» hat das kürzlich getan. Sie hat drei junge Männer zu ihrer politische­n Haltung befragt. Alle drei bekannten sich dazu, konservati­v zu sein. Sie kritisiert­en ein Klima an ihrer Schule, in dem Progressiv­e den Ton angeben und in dem Gendern mindestens erwünscht ist. Mehr noch: Sie befürchten Nachteile, wenn sie dagegen aufbegehre­n.

Eines haben junge Leute schon immer gehasst: Bevormundu­ng, egal welcher Art. Sie begehren auf gegen einen Zeitgeist, den sie als links empfinden. Hauptsache, provoziere­n. Und am provokante­sten ist es eben, wenn man dem ein Bekenntnis zur AfD entgegense­tzt.

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland