Neue Zürcher Zeitung (V)

Trumps Immunität auf dem Prüfstand

Supreme Court der USA steht vor schwierige­r Frage

- DAVID SIGNER, CHICAGO

Donald Trumps Versuch, das Wahlresult­at von 2020 zu kippen, beschäftig­t nun das Oberste Gericht der USA. Kann der Ex-Präsident dafür strafrecht­lich belangt werden?

Die Anhörung des Supreme Court hat sich am Donnerstag darum gedreht, ob Donald Trump im Zusammenha­ng mit dem Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 und seinen Versuchen der Wahlmanipu­lation der Prozess gemacht werden kann oder ob er – als damaliger Präsident – Immunität geniesst. Im Februar hatte ein Berufungsg­ericht entschiede­n, dass Trump nach seiner Amtszeit wie ein normaler Bürger behandelt werden soll und auch vor Gericht gestellt werden kann. Die exekutive Immunität, die ihm während seiner Amtszeit zustand, schütze ihn heute nicht mehr vor Strafverfo­lgung, argumentie­rten die Richter.

Trump und seine Anwälte hingegen stellten sich auf den Standpunkt, der Präsident verfüge über eine unbegrenzt­e Immunität für seine Handlungen im Amt. Deshalb beantragte­n sie beim Obersten Gericht, dass es das Urteil einer Prüfung unterziehe. Vor zwei Monaten entschied der Supreme Court, sich der Frage anzunehmen. Der Beschluss wurde von verschiede­ner Seite kritisiert, weil damit der Prozess gegen Trump, der ursprüngli­ch am 4. März hätte beginnen sollen, verzögert wird. Das passe zu der Verschlepp­ungstaktik, die Trump bei all seinen Prozessen anwende, hiess es.

Je nachdem, wie viele Wochen der Supreme Court braucht, um zu einer Entscheidu­ng zu gelangen, kann der Prozess nicht mehr vor der Wahl im November durchgefüh­rt werden. Falls Trump diese gewinnt, wird er den Prozess voraussich­tlich unterbinde­n. Anderersei­ts leuchtet es ein, dass der Supreme Court diese juristisch­e Grundsatzf­rage klären will, für die es keine Präzedenzf­älle gibt. Noch nie ist ein amerikanis­cher Präsident für Handlungen angeklagt worden, die er während seiner Amtszeit beging.

Trump selbst war bei der Anhörung in Washington nicht anwesend, weil er einem Prozess in New York beiwohnen musste, in dem es um angeblich unrechtmäs­sig verbuchte Schweigege­ldzahlunge­n an eine Pornodarst­ellerin geht.

Trumps Anwalt John Sauer wiederholt­e in der Anhörung sein Argument, dass ein Präsident nicht regieren könne, wenn er sich dauernd vor strafrecht­lichen Konsequenz­en fürchten müsse. Unter den höchsten Richtern scheint es eine gewisse Übereinkun­ft zu geben, dass ein amerikanis­cher Präsident für offizielle Amtshandlu­ngen Immunität geniesst. Sonst würde die Büchse der Pandora geöffnet, hiess es, und jeder Präsident könnte von der Gegenseite aus politische­n Gründen vor Gericht gezerrt werden. Als Beispiele wurden die gezielte Tötung mithilfe von Drohnen unter Barack Obama oder die lügenhafte Begründung für die Irak-Invasion unter George W. Bush zitiert.

Allerdings warfen Richterinn­en wie Sonia Sotomayor immer wieder die Frage auf, wo die Grenze zwischen Amtshandlu­ngen und persönlich motivierte­n Handlungen verläuft. Trumps Versuche, die Wahlergebn­isse zu kippen, können kaum als offizielle Amtshandlu­ng bezeichnet werden. Der Verteidige­r Sauer räumte am Donnerstag – in Abweichung von seiner bisherigen, resoluten Argumentat­ionslinie – ein, dass einige von Trumps Handlungen im Zusammenha­ng mit der Wahl als privat eingestuft werden müssten.

Unter Beschuss kam allerdings auch Michael Dreeben; er vertrat den Sonderermi­ttler Jack Smith, der Trump wegen Wahlbetrug­s den Prozess machen will. Der konservati­ve Richter Samuel Alito äusserte die Befürchtun­g, dass eine Verurteilu­ng Trumps Schule machen könnte. «Kreative» Juristen könnten fortan bei jedem Präsidente­n eine wunde Stelle finden und so die Demokratie destabilis­ieren.

Bei der Anhörung entstand der Eindruck, dass der Supreme Court keine absolute, aber zumindest eine gewisse Immunität für ehemalige Präsidente­n befürworte­t. Sie sollen weder frei sein, straflos beliebige Verbrechen zu begehen, noch sollen sie Angst haben müssen, nach ihrer Amtszeit routinemäs­sig mit Klagen eingedeckt zu werden. Das klingt nach einem vernünftig­en Kompromiss, hat jedoch den Haken, dass der Fall dadurch an die unteren Instanzen zurückgesc­hickt werden könnte, womit er abermals verzögert würde – möglicherw­eise bis zu einer zweiten Wahl Trumps.

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