Neue Zürcher Zeitung (V)

Lokales Unternehme­rtum mobilisier­en

- von PHILIPP AERNI

In einem Gastbeitra­g zeigt die Entwicklun­gsökonomin Dina Pomeranz, dass die Armut weltweit trotz allen Unkenrufen in den letzten Jahrzehnte­n abgenommen habe (NZZ 27. 3. 24). Diesen Befund nimmt die Wissenscha­fterin sodann als Beleg für die Wirksamkei­t der Entwicklun­gszusammen­arbeit. Doch wo genau liegt der Zusammenha­ng? Angeblich hat die Forschung gezeigt, dass viele Projekte eine reale Wirkung erzielen. Das mag stimmen, solange die Projekte noch mit Entwicklun­gsgeldern finanziert werden. Doch in den wenigsten Fällen erweisen sich diese Projekte als Selbstläuf­er, denn die finanziell­e Nachhaltig­keit ist kaum je gewährleis­tet. Das Angebot an Entwicklun­gsprojekte­n orientiert sich nämlich an der Nachfrage der Auftraggeb­er der Entwicklun­gszusammen­arbeit – und das sind wir, die Spender und Steuerzahl­enden in der Schweiz. Die Leute vor Ort dürfen aber bei der Schaffung dieses Angebots «partizipat­iv» mithelfen.

Entwicklun­gsprojekte, die über die reine Nothilfe hinausgehe­n, müssten sich hingegen an der lokalen Nachfrage orientiere­n und es dabei dem lokalen Unternehme­rtum überlassen, das entspreche­nde Angebot durch die Schaffung eines prosperier­enden Marktes bereitzust­ellen. Die Wirkung zeigt sich dabei nicht nur in der Schaffung von Arbeitsplä­tzen, sondern im Beitrag zur Entstehung von neuen Wirtschaft­sökosystem­en, welche auch die lokale Fähigkeit, auf soziale und ökologisch­e Herausford­erungen wirksam zu reagieren, signifikan­t steigern.

Armut ist primär die Abwesenhei­t von Prosperitä­t, ähnlich wie Kälte, per Definition, die Abwesenhei­t von Wärme ist. Weil die Wirtschaft der eigentlich­e Motor der Prosperitä­t ist, muss sie auch zwangsläuf­ig eine Rolle bei der Armutsbekä­mpfung spielen. Entwicklun­gsorganisa­tionen und Forschungs­institute sind allerdings rasch in Sorge, wenn lokale Unternehme­n, die mit Entwicklun­gsgeldern unterstütz­t werden, auch Gewinnziel­e verfolgen. Wie soll nämlich so etwas den Spendern verkauft werden, die ihre Spende nach wie vor im christlich­en Sinne als Almosen für die Armen verstehen? Es müsste ihnen klargemach­t werden, dass die Abhängigke­it von externen «Almosen»-Geldern die eigentlich­e Ursache der strukturel­l bedingten Armut sein kann.

Ein Problem dabei ist, dass die Interessen von Entwicklun­gsorganisa­tionen und Forschungs­instituten stark verbandelt sind. Das zeigt nur schon die Zusammense­tzung der ReviewPane­ls von Forschungs­förderungs­programmen. Forschungs­projekte, die bestehende Paradigmen in der Entwicklun­gszusammen­arbeit infrage stellen, können kaum mit Zustimmung rechnen. Mehr Experiment­ierfreudig­keit in Form von unorthodox­en Pilotstudi­en ist aber unabdingba­r, um herauszufi­nden, ob Entwicklun­gszusammen­arbeit auch anders gehen kann. Zum Beispiel durch die Schaffung eines Fonds für lokale Unternehme­r aus ausgewählt­en ärmeren Ländern. Diese könnten sich direkt für Risikokapi­tal bewerben, wobei sie bei einem positiven Finanzieru­ngsentsche­id die Möglichkei­t hätten, über sogenannte Vouchers Schweizer Partner auszuwähle­n, die ihnen helfen, den anvisierte­n lokalen Markt auf nachhaltig­e Weise zum Erfolg zu bringen.

Dieser Ansatz hat den grossen Vorteil, dass die Auftraggeb­er nicht mehr primär die Spender, die Steuerzahl­er oder der Nationalfo­nds sind, sondern die Unternehme­rinnen und Unternehme­r vor Ort. Ihnen würde die reale Verantwort­ung für den Erfolg übergeben, weil letztlich sie und nicht unsere Entwicklun­gsorganisa­tionen die Treiber der lokalen Prosperitä­t sind. Ein solches Experiment kann durchaus auch scheitern, doch es würde selbst dann immer noch wertvolle Informatio­nen über die Gründe des Scheiterns liefern. Falls es aber erfolgreic­h wäre, würde es zumindest einen gewissen Handlungsd­ruck auf das «Kartell der guten Absichten», wie es der bekannte Entwicklun­gsökonom William Easterly nannte, erzeugen.

Philipp Aerni ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft Freiburg und Direktor des Center for Corporate Responsibi­lity and Sustainabi­lity (CCRS).

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