Neue Zürcher Zeitung (V)

Die SP verteidigt in St. Gallen ihren zweiten Sitz

Bei den Regierungs­ratswahlen scheitert der Angriff der SVP auf die Sozialdemo­kraten

- ANDRI ROSTETTER

Es war eine Aufholjagd, wie sie der Kanton selten gesehen hat: Im Kampf um die beiden freien Sitze in der St. Galler Regierung lag die SP-Kandidatin Bettina Surber nach dem ersten Wahlgang 10 000 Stimmen hinter den beiden SVP-Kandidaten Danuta Zemp und Christof Hartmann. In den vergangene­n Tagen warf Surber noch einmal alle Kräfte in den Wahlkampf. Sie inszeniert­e sich in den sozialen Netzwerken, weibelte durch den Kanton, war dauerpräse­nt in der Öffentlich­keit. Die Mobilisier­ung funktionie­rte. Die 42-Jährige sicherte der SP am Sonntag den zweiten Sitz und tritt damit die Nachfolge von Fredy Fässler an.

Die SVP hatte sich deutlich mehr erhofft. Zum ersten Mal seit Jahren lag ein zweiter Sitz in Griffweite. Nun zieht sie einzig mit dem 48-jährigen Hartmann in die Regierung ein. Dass sich Zemp geschlagen geben muss, hat eine gewisse Logik. Ihr politische­r Leistungsa­usweis tendiert gegen null, ihre Bekannthei­t verdankt sie allein ihrer Zeit als Kantonsärz­tin während der Pandemie. In die SVP trat Zemp erst vor wenigen Monaten ein, im Wahlkampf zeigte sie eine gewisse politische Unberechen­barkeit. Ihre hohe Stimmenzah­l im ersten Wahlgang verdankte sie der starken Mobilisier­ung von SVP-Wählern, die am 3. März wegen der 13. AHV-Rente an die Urne gingen.

Der Bankkunden­berater Hartmann politisier­t dagegen seit Jahren im Kantonsrat. Neben der schwierig einschätzb­aren Zemp wirkte er damit wie ein sicherer Wert. Stimmen gekostet haben Zemp auch die Parteilose­n Alfred Tobler und Sarah Bösch. Insbesonde­re Bösch konnte sich als Dauerkandi­datin in den vergangene­n Jahren rechts der Mitte eine Wählerscha­ft aufbauen.

Surbers Erfolg im zweiten Wahlgang ist nicht nur ein Ad-hoc-Effort, sondern das Resultat ausdauernd­en politische­n Wirkens. Die Juristin ist ein politische­s Schwergewi­cht im Kanton. Als langjährig­e Fraktionsc­hefin gehört sie zum innersten Machtzirke­l der Partei, sie zählt zu den bekanntest­en Figuren der St. Galler Politik.

Den Tabubruch gewagt

Das einst freisinnig­e «St. Galler Tagblatt» wagte Anfang April den Tabubruch und gab eine Wahlempfeh­lung für Hartmann und Surber ab. Der Kanton St. Gallen sei ohnehin durch und durch bürgerlich. «Es wäre unklug, das linksgrün-liberale Lager, das auf knapp 30 Prozent Wählerante­il kommt, noch stärker in die Opposition zu drängen.» Um die Rechnung auszugleic­hen, müsse der Freisinn bei der nächsten Gelegenhei­t einen Sitz an die SVP abgeben.

Damit bleibt die seit 2008 bestehende Parteienko­nstellatio­n in der Regierung unveränder­t. Die fünf Bisherigen, Marc Mächler und Beat Tinner (beide FDP), Bruno Damann und Susanne Hartmann (beide Mitte) und Laura Bucher (SP), schafften die Wiederwahl wie erwartet im ersten Wahlgang. Für die SVP ist es ein bitteres Déjà-vu. Seit über zwei Jahrzehnte­n gehört sie zu den tonangeben­den Kräften im Kanton, doch sie konnte diese Position bisher nur bedingt in exekutive Kraft ummünzen. Im Jahr 2000 stieg sie zur zweitstärk­sten Kraft hinter der CVP auf, 2008 überflügel­te sie die Christlich­demokraten endgültig. Im gleichen Jahr zog sie mit Stefan Kölliker in die Regierung ein. Obwohl die Partei seither jedes Mal versuchte, einen zweiten Sitz zu erobern, blieb der zurückgetr­etene Kölliker der einzige SVP-Vertreter in der St. Galler Exekutive.

Für die St. Galler SP ist die Genugtuung umso grösser. Ende April 2023 verloren die Sozialdemo­kraten ihren Sitz im Ständerat an die SVP. Nach dem Rücktritt von Paul Rechsteine­r trat die Partei mit Nationalrä­tin Barbara Gysi an, die SVP schickte Esther Friedli in den Ring. Der zweite Wahlgang wurde zu einer Demütigung für die SP, Gysi büsste mehr als 25 000 Stimmen auf Friedli ein.

Dass ausgerechn­et Surber die Revanche gelingt, dürfte in der SVP unangenehm­e Erinnerung­en wecken. Surber arbeitet in derselben Anwaltskan­zlei wie Rechsteine­r, der bei den Ständerats­wahlen 2011 Toni Brunner besiegte. Wie Surber lag Rechsteine­r nach dem ersten Wahlgang mehr als 10 000 Stimmen hinter Brunner und fing ihn im zweiten Wahlgang vor der Ziellinie ab.

Die Konstellat­ion war damals allerdings eine andere. Die Bürgerlich­en waren heillos zerstritte­n, die SVP war der Störenfrie­d, der die jahrzehnte­lange Dominanz von CVP und FDP gebrochen hatte. Etliche Bürgerlich­e legten ihre Stimme nicht aus Überzeugun­g für Rechsteine­r ein, sondern einzig, um Brunner zu verhindern.

Auf Rechsteine­rs Spuren

Mittlerwei­le hat die SVP die Rolle des Pausenplat­z-Rabauken im Kanton abgelegt. Doch häufig fehlen ihr die profiliert­en Köpfe, um Exekutivwa­hlen zu gewinnen. Dass sie es aber kann, wenn sie mit den richtigen Kandidaten antritt, bewies sie zuletzt bei den Ständerats­wahlen. Das muss vor allem die FDP beunruhige­n. Der Freisinn hat bei den Kantonsrat­swahlen im März am meisten Stimmen eingebüsst und kommt noch auf 15,7 Prozent Wählerante­ile. Das ist nur wenig mehr als die Hälfte der SVP, die ihren Anteil auf 31,5 Prozent ausbauen konnte.

Die Mitte kommt immer noch auf 21 Prozent, ebenso das linke Lager, wenn man SP und Grüne zusammenzä­hlt. Spätestens bei den nächsten Gesamterne­uerungswah­len in vier Jahren dürfte die Zusammense­tzung der Regierung damit erneut zur Dispositio­n gestellt werden.

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Christof Hartmann Regierungs­rat der SVP
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Bettina Surber Regierungs­rätin der SP

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