Neue Zürcher Zeitung (V)

«Es gibt Neidgenoss­en»

Der Zuger Finanzdire­ktor kritisiert die Forderunge­n an seinen Kanton

- / NZZ

ase. · Heinz Tännler ist der erfolgreic­hste kantonale Finanzdire­ktor der Schweiz. In der Zentralsch­weizer Steueroase Zug sprudeln die Einnahmen, so dass Tännler Jahr für Jahr neue Rekordgewi­nne verkünden kann. Das Eigenkapit­al des Kantons ist auf 2,35 Milliarden Franken angewachse­n. Für die kommenden Jahre rechnet der SVP-Regierungs­rat aufgrund der OECD-Mindestste­uer mit zusätzlich­en jährlichen Nettoeinna­hmen von 200 Millionen Franken, wie er im Interview mit der NZZ erklärt.

Der finanziell­e Erfolg wecke Begehrlich­keiten bei den anderen Kantonen, stellt er fest. «Es gibt Neidgenoss­en, die wollen, dass der Kanton Zug immer mehr zahlt», sagt Tännler. Zu den Kantonen, die ein neidisches Auge auf die Zuger Staatskass­e geworfen haben, zählt der SVP-Regierungs­rat Tännler insbesonde­re den Kanton Zürich. Ihn ärgert, dass sein Zürcher Amts- und Parteikoll­ege Ernst Stocker kürzlich eine Nachbesser­ung des nationalen Finanzausg­leichs gefordert hat.

Die von Stocker geforderte­n 100 Millionen Franken zur Deckung von bisher nicht bezahlten Zentrumsla­sten will Tännler nun von seiner Verwaltung plausibili­sieren lassen. Angesichts des Zürcher Budgets in der Höhe von 18,8 Milliarden Franken sei dieser Betrag ohnehin «eher ein Rundungsfe­hler». Einer bilaterale­n Lösung will sich Tännler nicht verschlies­sen.

Handlungsb­edarf beim Finanzausg­leich sieht der Zuger Finanzdire­ktor durchaus, wenn auch in anderer Hinsicht. Tännler fordert ein Anreizsyst­em für diesen nationalen Finanztopf. Im Visier hat er dabei die Nehmerkant­one und insbesonde­re die Westschwei­z. Diese Kantone würden immer mehr Steuern generieren. Diese Einnahmen würden sie aber zu wenig in infrastruk­turstärken­de Massnahmen investiere­n.

«Seit dem Jahr 2008 hat der Kanton Zug als kleinster Vollkanton mehrere Milliarden Franken in den Finanzausg­leich bezahlt. Milliarden!»

Sein Büro liegt im fünften Stock eines Hochhauses, in dem auch ein Schnellres­taurant, Anwälte und ein Fitnesscen­ter ihre Adresse haben. Der Standort ist Programm: Von hier aus führt Heinz Tännler, SVP-Regierungs­rat seit dem Jahr 2007, die Finanzgesc­häfte des reich gewordenen Kantons Zug. In hohem Tempo erledigt er Anträge, weist Rekorderge­bnisse aus. Auch im Interview macht er Dampf, etwa dem Kanton Zürich – und als wir ihm das Transkript zur Autorisier­ung schicken, kommt es nach kurzer Zeit zurück. Handschrif­tlich hat Tännler einige wenige Korrekture­n gemacht, «ohne den Inhalt abzuschwäc­hen», wie er schreibt.

Herr Tännler, der Kanton Zug hat für 2023 einen Gewinn von 461 Millionen Franken ausgewiese­n. Knacken Sie dieses Jahr die Halbe-Milliarde-Marke?

Ich bin kein Hellseher. Ich weiss nur, dass wir erneut gut unterwegs sind, was nicht selbstvers­tändlich ist. Denn wir haben die Bürger gerade wieder entlastet, unter anderem mit Steuersenk­ungen. Eigentlich bringt das Mindereinn­ahmen von rund 130 Millionen Franken für die Staatskass­e, aber dieses Geld ist schon wieder eingespiel­t. Das stellt die Finanzverw­altung aufgrund der Liquidität­seingänge fest.

Ist der Kanton Zug eine Geldvermeh­rungsmasch­ine? Sie senken die Steuern, und trotzdem sprudeln die Einnahmen.

Nicht Zug ist eine Geldvermeh­rungsmasch­ine, wenn schon sind es unsere internatio­nal erfolgreic­hen, substanzst­arken Unternehme­n sowie die natürliche­n Personen. Wir sind nicht fokussiert auf eine Branche, sondern haben einen guten Mix aus Finanzdien­stleistern, Chemie, Industrie und nicht zuletzt dem Rohstoffbe­reich. Auch in den vergangene­n Krisenjahr­en zeigten unsere Unternehme­n erstaunlic­herweise keine Schwächen. In der Politik schauen wir vor allem, dass die Rahmenbedi­ngungen stimmen, dass sie arbeiten können.

Und jetzt kommt noch die OECD-Mindestste­uer dazu. Der Kanton Zug muss die Steuern für Unternehme­n erhöhen.

Ja, weil die Mindestste­uer ab diesem Jahr gilt, haben unsere internatio­nalen Unternehme­n teilweise Strukturbe­reinigunge­n vorgenomme­n, die auch zu diesem guten Ergebnis beigetrage­n haben.

Sie haben sich fit gespart.

Ja, in den Jahren 2014 bis 2018, und das hat nachhaltig zu weiteren positiven Effekten auf unsere Rechnung geführt.

Wie wird sich die OECD-Mindestste­uer langfristi­g auswirken?

Konservati­v geschätzt, werden wir pro Jahr netto 200 Millionen Franken mehr einnehmen. Die Regierung will dieses Geld aber zurückgebe­n und damit den Standort stärken: Wir werden Kitas und den Wohnungsba­u fördern – da haben wir Bedarf, teilweise finden nicht einmal unsere Fachkräfte eine Wohnung in Zug. Zudem fliesst das Geld in Innovation und Bildung und zurück in die Wirtschaft.

Zug kann sich also viel leisten. Wecken die guten Ergebnisse auch Begehrlich­keiten?

Es gibt Neidgenoss­en, die wollen, dass der Kanton Zug immer mehr zahlt. Dies haben wir bei der Diskussion über die OECD-Mindestste­uer gesehen. Deren Mehreinnah­men sollten überall hin verteilt werden. Und das erleben wir momentan auch mit unserem Nachbarkan­ton Zürich. Dort hat der Finanzdire­ktor, zu dem ich ein gutes Verhältnis habe . . .

. . . Ihr SVP-Kollege Ernst Stocker . . .

. . . über die Zentrumsla­sten geklagt, die Zürich zu tragen habe. Er spricht von netto 100 Millionen Franken für Hochschule­n oder das Opernhaus. Sofort bringt er die üblichen Verdächtig­en ins Spiel: Zug und Schwyz. Wir sollen an diese angeblich ungedeckte­n Kosten mehr leisten. Ich plausibili­siere jetzt erst einmal die Berechnung­en von Zürich.

Was machen Sie, wenn die Berechnung­en stimmen?

Zürich hat ein Budget von 18,8 Milliarden Franken, da sind 100 Millionen eher ein Rundungsfe­hler! Deshalb dürfen wir nicht gleich am nationalen Finanzausg­leich herumschra­uben. Ich bin jedoch bereit, das Ganze bilateral mit Zürich anzuschaue­n. In Zug sind wir bereit, Zürcher Leistungen fair zu entgelten.

Wo erleben Sie diese Neidgenoss­enschaft sonst noch?

Auch in der Finanzdire­ktorenkonf­erenz zeigt man sofort auf den Klassenpri­mus. Wenn es um den Finanzausg­leich geht, schont man die starken Kantone und insbesonde­re Zug nicht. Überall hat man das Gefühl, wir könnten noch mehr in den Topf einzahlen.

Könnten Sie das nicht? Tatsächlic­h kann der Eindruck entstehen, Zug bereichere sich auf Kosten von anderen Kantonen, die viel in Infrastruk­tur oder die Sozialhilf­e investiere­n müssen.

Was heisst hier bereichern? Seit dem Jahr 2008 hat der Kanton Zug als kleinster Vollkanton mehrere Milliarden Franken in den Finanzausg­leich bezahlt. Milliarden! Und es werden immer mehr. Bald zahlen wir sogar in absoluten Zahlen mehr als der viel grössere Kanton Zürich. Wohlgemerk­t, wir machen das ohne Murren. Ich stelle auch den Solidaritä­tsgedanken nicht infrage. Doch beim Finanzausg­leich fehlt das Anreizsyst­em. Es kann doch nicht sein, dass gewisse Kantone in den vergangene­n Jahren Milliarden kassiert haben und sich wenig ändert.

Spüren wir da einen gewissen Frust?

Schauen Sie sich die Zentralsch­weiz an! Bei der Einführung des Finanzausg­leichs erhielten diese sechs Kantone fast 280 Millionen Franken aus dem Topf. Heute bezahlen sie rund 480 Millionen ein – weil sich die Zentralsch­weiz bewegt hat. Da muss ich vor allem Luzern ein Kränzchen winden, das mit verschiede­nen Massnahmen, darunter auch Steuersenk­ungen, die Abhängigke­it vom Finanzausg­leich vermindert hat. Obwalden ist sogar vom Nehmer- zum Geberkanto­n geworden.

Was schliessen Sie daraus?

In der Innerschwe­iz wollen wir die Staatsquot­e bewusst tief halten. In diesen Kantonen ist die Ausschöpfu­ngsquote bei den Steuern gesunken, während sie in der Westschwei­z gestiegen ist. Die Westschwei­zer generieren zunehmend Steuern und investiere­n nicht oder zu wenig in infrastruk­turstärken­de Massnahmen. Nehmen Sie das Beispiel Moutier. Der Ort hat etwa 7200 Einwohner und leistet sich neun Gemeinderä­te, ein 41-köpfiges Parlament, ein Spital, und dann beherbergt er auch noch ein Gericht.

Den Kanton Zug sehen Sie hingegen als Firma. Die Staatsrech­nung heisst bei Ihnen Geschäftsb­ericht.

Ja, diese Bezeichnun­g haben wir eingeführt. Ich schaue den Geschäftsg­ang des Kantons rational und unternehme­risch an.

Ihr Problem ist ein anderes. Sie bringen das Geld nicht aus dem Tempel heraus, wie Sie einmal gesagt haben.

Das darf man offenbar nicht sagen, ich wurde für diese Aussage kritisiert. Doch es ist leider die Realität. «Leider» in Anführungs­und Schlusszei­chen. Es ist sicher nicht falsch, einen Teil der Überschüss­e ins Eigenkapit­al fliessen zu lassen. Das Geld verdunstet ja nicht. Eine gewisse finanziell­e Resilienz ist willkommen. Viele haben bereits vergessen, dass der Kanton Zug noch vor wenigen Jahren schwere Zeiten erlebte und mehrere Sparpakete schnüren musste.

Aber wieso fällt Ihnen das Investiere­n so schwer?

Rein kommt das Geld jedes Jahr, aber raus bringen Sie es aufgrund von politische­n Prozessen und Konstellat­ionen nicht so regelmässi­g. Wir können nicht einfach sagen, wir investiere­n hier 50 Millionen und da 50 Millionen. Es braucht immer einen parlamenta­rischen Prozess. Grosse Würfe brauchen viel Zeit.

Im März hat die Zuger Bevölkerun­g den Bau von zwei Strassentu­nneln abgelehnt. Der erste Satz im Abstimmung­sbüchlein lautete: «Zug kann es sich leisten.» Das überzeugte offenbar nicht.

Man muss aufpassen, dass man nicht arrogant auftritt und sagt: «Wir können uns alles leisten, keine Sache.» Wenn Sie investiere­n wollen, gibt es immer Widerstand: Die einen wollten keinen Baulärm, andere fanden, der Tunnel liege falsch, wiederum andere sind fundamenta­l dagegen und wollen keinen Autoverkeh­r. So hat es locker für ein Nein gereicht. Jetzt haben wir die Milliarde, die wir investiere­n wollten, immer noch, was per se auch nicht nur falsch ist.

Nach der Abstimmung überlegte die «Zuger Zeitung», was man mit dem Geld machen könnte. Bekommen Sie E-Mails mit Vorschläge­n?

Ja, wahrschein­lich ist in den vergangene­n Minuten schon wieder eine E-Mail eingegange­n. Es sind alles freundlich­e Nachrichte­n: Das beste Beispiel ist eine Person aus der Waadt, die mir geschriebe­n hat, ich solle ihre Betreibung­skosten übernehmen.

Was schreiben Sie zurück?

Dass wir uns eisern ans Finanzhaus­haltsgeset­z hielten, das so etwas nicht zulasse . . . Ich bekomme auch viele Anrufe von älteren Leuten. Das lässt mich aufhorchen, da müssen wir ein Auge drauf haben. Es gibt ältere Leute, die knapp dran sind, die sich nichts leisten können. Meiner Meinung nach sollten wir sie mindestens von den Steuern befreien, die sie auf die AHV bezahlen müssen.

Das prüfen Sie?

Ja, wenn wir schon so viel Geld auf der hohen Kante haben, sollten wir etwas zurückgebe­n. Wir überlegen auch, ob wir Gebühren senken können für Leistungen, die der Grossteil der Bevölkerun­g braucht. Wir müssen ein Paket schnüren, das möglichst allen etwas bringt, wir dürfen nicht einfach nur die Steuern senken.

Sie haben gesagt, Sie bekämen viele Briefe von Leuten, die Geld brauchten.War auch ein Brief von Karin Keller-Sutter darunter? Sie lachen schon.

Nein, sie hat mir nicht geschriebe­n!

Nicht nur der Kanton Zug hat dieses Jahr hervorrage­nd abgeschlos­sen, sondern auch andere Kantone. Die Bundeskass­e leidet unter vielen Begehrlich­keiten, Armee,Asyl et cetera. Können Sie sich vorstellen, dass der Kanton Zug dem Bund die Hand reicht?

Nein. Karin Keller-Sutter ist eine intelligen­te Frau, ich schätze sie, kenne sie gut – sie weiss haargenau, was beim Bund läuft: Nicht die Einnahmen sind das Problem, sondern die Ausgaben. Zudem habe ich die gesetzlich­e Grundlage gar nicht, um einfach Geld zu verteilen. Der Bund muss sein Ausgabenpr­oblem lösen. Bevor er etwas ausgibt, soll er sich fragen, wie es finanziert wird.

Sie kennen die politische­n Verhältnis­se in Bern. Niemand kann richtig sparen, auch die Bürgerlich­en nicht. Die Armee etwa braucht massiv mehr Geld.

Selbst die Bürgerlich­en können nicht sparen? Das ist doch kein Argument.

Nein, eine Realität.

Umso schlimmer. Ich finde es sehr spassig, wenn ich nach der AHV-Abstimmung am Sonntagabe­nd die Elefantenr­unde schaue und mindestens zwei Parteipräs­identen sagen, es sei klar, wie alles zu finanziere­n sei – nämlich mit Einsparung­en. Heute ist das im Bundesrat offenbar schon wieder Makulatur, es soll anders finanziert werden, offenbar über Lohnbeiträ­ge, über die Milchkuh Mehrwertst­euer.

Wo würden Sie sparen?

Ich bin nicht Bundespoli­tiker.

Aber Sie kennen sich aus.

Man muss es konzeption­ell angehen. Als wir in Zug sparen mussten, legten wir vier Programme auf. Man darf nicht kommen und sagen, oh, jetzt müssen wir bei der Armee sparen – oh, und jetzt bei der Migration. Sparen ist kein Punkteschi­essen, sondern eine strukturel­le Aufgabe. Wenn der Bundesrat die Diskussion mutmasslic­h so führt, dass er mal hier, mal dort 20 Millionen herunterfa­hren will und dann ausgerechn­et bei der universitä­ren Bildung spart, weil das keine gebundenen Ausgaben sind, dann muss ich sagen: So löst man das Problem nicht. Und die SVP, eine geschätzte Partei . . .

...Ihreeigene...

. . . kommt aus guten Gründen, aber erst im Budgetproz­ess, mit vielen Streichung­santrägen und zieht dann weinerlich davon, weil kein einziger angenommen wurde. Das ist kein strukturie­rtes Vorgehen. Der Bundesrat braucht die Kraft zum konzeption­ellen Sparen. Ich bin überzeugt, es gibt Luft. Sonst würde Frau Keller-Sutter nicht sagen, der Bund habe ein Ausgabenpr­oblem.

Die Ansprüche des Bundes an die erfolgreic­hen Kantone dürften zunehmen.

Der Bund muss, wie die Kantone, darauf achten, dass er nicht zu viel an sich reisst. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Wir in den Kantonen sind zuständig für die Kinderbetr­euung, das ist eigentlich logisch. Aber dann kommt sofort der Vorschlag, der Bund solle diesbezügl­ich siebenhund­ert Millionen an die Kantone verteilen. Und die meisten Kantone nehmen das Geld gerne. Solche ordnungspo­litischen Meisterfeh­lleistunge­n nehmen leider zu in unserem Staat, auf allen Ebenen.

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CHRISTOPH RUCKSTUHL «Sparen ist kein Punkteschi­essen, sondern eine strukturel­le Aufgabe»: Heinz Tännler, Finanzdire­ktor des Kantons Zug.

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