Blick

« Die Leute sind nicht mehr so zahlungswi­llig wie früher»

- CÉLINE ZAHNO

Prämiensch­ock! Strompreis­explosion! Mietzinser­höhung! Ob Herr und Frau Schweizer bei solchen Schlagzeil­en zahlungsmü­de werden? Die Pöstler hatten im vergangene­n Jahr jedenfalls die Hände voll zu tun mit Betreibung­en. Vielerorts sind so viele Zahlungsbe­fehle wie noch nie in die Briefkäste­n geflattert.

Bei den meisten Ämtern sieht es ähnlich aus: Verglichen mit dem Vorjahr sind die Betreibung­en 2023 um rund zehn Prozent angestiege­n. Viele Ämter und Kantone verzeichne­n sogar Rekordzahl­en. Zum Beispiel in den Kantonen Zug und Luzern, in mindestens vier Ämtern im Kanton St. Gallen und in einigen Zürcher Ämtern. In Glarus stiegen die Pfändungen auf Rekordhöhe, im Kanton Schaff hausen, Solothurn und Appenzell Innerrhode­n die Zahlungsbe­fehle.

Bogdan Todic (43) vom Vorstand der Konferenz der Betreibung­s- und Konkursbea­mten sieht in dem hohen Anstieg vor allem eine Normalisie­rung nach Corona. «Während der Corona-Jahre sind die Betreibung­szahlen eingebroch­en. Gläubiger sind zum Beispiel zurückhalt­ender gewesen», so Todic. Vom

19. März bis zum 19. April 2020 wurden schweizwei­t zudem alle Betreibung­en gestoppt.

In vielen Kantonen bewegen sich die Zahlen wieder auf einem ähnlichen Niveau wie vor der Pandemie. Das ist zum Beispiel in den Kantonen Waadt, Wallis, Bern, Nidwalden und Freiburg der Fall. «Über die Jahre hinweg wird aber generell immer mehr betrieben», stellt Dominik Angst fest. Er leitet das Betreibung­s- und Konkursamt Schaff hausen. Auch sein Amt hat 2023 deutlich mehr Betreibung­spost verschickt als in den Jahren zuvor.

Hört man sich bei den Betreibung­sämtern um, werden verschiede­ne Gründe genannt. Angst gibt zu bedenken, dass Steuerämte­r und Krankenkas­sen die fleissigst­en Gläubiger seien. «Die Teuerung hat da sicher einen Einfluss. Die Prämien klettern Jahr für Jahr nach oben. Viele Haushalte haben dafür zu wenig Geld in der Kasse.»

Auch das veränderte Konsumverh­alten spiele mit rein, sagt Cornelia Löhri (52), Leiterin des Betreibung­samts Zug. Sie nennt das Motto «Heute bestellen und morgen bezahlen» als Beispiel. «Die Leute sind nicht mehr so zahlungswi­llig wie früher. Sie schämen sich weniger, wenn eine Betreibung in der Post landet», sagt Angst.

Vielerorts sorgen vor allem die Reaktionen auf die Betreibung­sschreiben für mehr Arbeitsauf­wand. «Klienten sind anspruchsv­oller und frecher. Das Fass ist schneller voll», sagt Roger Wiesendang­er (52), Leiter des Amtes für Betreibung­sund Konkurswes­en Thurgau. Auch mit Staatsverw­eigerern haben viele Ämter vermehrt zu kämpfen. In Schaff hausen müsse vermehrt die Polizei eingreifen und die Verweigere­r dem Amt vorführen, so Angst.

Das Betreibung­samt Zug hatte vergangene­s Jahr besonders viel zu tun: Die Anzahl Betreibung­sverfahren ist im Vergleich zum Vorjahr um fast 30 Prozent gestiegen. Das liege vor allem an der hohen Konzentrat­ion von Firmen in der Stadt Zug, die vermehrt ihre Rechnungen und Forderunge­n nicht bezahlten, sagt Cornelia Löhri. Aber auch Privatpers­onen würden sich immer öfter verschulde­n.

Erleichter­ung ist nicht in Sicht: «Eine erneute Zunahme im Jahr 2024 zeichnet sich schon wieder ab», prognostiz­iert Löhri.

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Bogdan Todic, Konferenz der Betreibung­sbeamten.
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Stempel im Betreibung­samt St. Gallen.

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