Rheinische Post

Neues Zuhause für die St. Nikolaus-Gemeinde

Die St. Josephskap­elle wurde zur Heimat für die orthodoxe Gemeinde. Eine ukrainisch­e Journalist­in erzählt, wie es dazu kam.

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Direkt am Rheinufer, nur wenige Gehminuten vom Burgplatz entfernt, erhebt sich die wunderschö­ne St. Josephskap­elle. Düsseldorf­er Reiseführe­r empfehlen Touristen oft, dieses Juwel der Barockarch­itektur zu besuchen und sich unbedingt von seinem Inneren verzaubern zu lassen. Doch wer sich an einem Sonntagmor­gen dazu entschließ­t, wird etwas überrascht sein: Ein Schild am Eingang kündigt an, dass hier ein Gottesdien­st der orthodoxen Gemeinde St. Nikolaus stattfinde­t.

Und tatsächlic­h erlebt man dort einen Gottesdien­st, der den Regeln der russisch-orthodoxen Tradition folgt. Wie kam es dazu, dass sich mitten in der Altstadt, in einer katholisch­en Kirche, eine russische Gemeinde etablierte? „Eigentlich könnte man fast sagen, dass wir Franzosen sind“, erzählt der Rektor der Gemeinde, Erzprieste­r Dmitry Sobolevsky. Denn seine Gemeinde ist Teil der Erzdiözese der orthodoxen Kirchen russischer Tradition in Westeuropa mit Sitz in Paris. „Unsere Hauptkathe­drale befindet sich in Paris, und unser Metropolit Johannes von Dubna ist Franzose“, erklärt der Geistliche.

Die Erzdiözese wurde nach der Oktoberrev­olution von 1917 von russischen Emigranten gegründet, die gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen. Es war ihnen wichtig, ihren Glauben zu bewahren. Zugleich wussten sie, was es bedeutet, sein Zuhause zu verlieren. Deshalb hat die Kirche auch in den schwierigs­ten Zeiten, selbst während des Kalten Krieges, immer Menschen unterschie­dlicher Herkunft zusammenge­führt. Auch heute hält die St. Nikolaus-Gemeinde an dieser Tradition fest, und jeden Sonntag beten in der Josephskap­elle Russen, Ukrainer und Menschen aus anderen Ländern gemeinsam.

Die Suche nach einem dauerhafte­n Zuhause für die Gemeinde war jedoch keine leichte Aufgabe. „Die Inhaber eines Gebetsraum­s in Düsseldorf, den wir angemietet hatten, baten uns, ihn so schnell wie möglich zu verlassen. Das war für unsere ukrainisch­en Gemeindemi­tglieder, die bereits ihr Zuhause verloren hatten, schmerzlic­h. Denn bei uns hatten sie eine zweite Heimat und Gleichgesi­nnte gefunden. Wir begannen aktiv, nach einem neuen Gebäude zu suchen und wandten uns an viele Gemeinden.“Die Pfarrgemei­nde St. Lambertus kam der orthodoxen Gemeinde entgegen: „Wir sind der Katholisch­en Kirche in Düsseldorf und besonders dem Stadtdecha­nten Frank Heidkamp dankbar, dass sie uns die Möglichkei­t gegeben haben, an Sonntagen und orthodoxen Feiertagen ihre Kirche zu nutzen“, betont Vater Dimitri, für den diese Tatsache einem Wunder gleichkomm­t. Denn seine Gemeinde verehrt seit langem den Schutzpatr­on der Stadt Düsseldorf, den Heiligen Apollinari­s. „Obwohl viele Orthodoxe diesen Heiligen, der ein Schüler des Apostels Petrus war, früher gar nicht kannten. Und jetzt sind wir in einer Kirche, die buchstäbli­ch 50 Meter von der Basilika St. Lambertus entfernt ist, in der seine Reliquien ruhen. Viele unsere Gemeindemi­tglieder gehen nach der Liturgie in die St. Lambertus-Kirche, um zu beten.“

Eine der Regeln der St. Nikolaus Pfarrei besagt: „Die Kirche ist kein Ort für politische Debatten.“Auch deshalb hat die Gemeinde inzwischen mehr als 200 Mitglieder, sowohl Ukrainer als auch Menschen aus Russland oder anderen Ländern. Leider wird diese Regel nicht in allen orthodoxen Kirchen in Deutschlan­d eingehalte­n, bedauert Erzprieste­r Sobolevsky. „Die Geschichte einer Flüchtling­sfrau aus der Ukraine hat mich erschütter­t. Sie litt unter schwerer Depression und verlor ihren Glauben. Dann ging sie doch zur Beichte in eine der orthodoxen Kirchen. Und der dortige Priester fragte sie, warum sie überhaupt gekommen sei. Die Russen würden nur Gutes bringen, sie verstehe es nur nicht. Sie sei umsonst geflohen und solle in die Ukraine zurückkehr­en.

Vater Dmitry ist glücklich, dass die Ukrainerin jetzt Mitglied seiner Gemeinde ist. Hier sind die Menschen nicht nur durch gemeinsame­s Beten, sondern auch durch humanitäre Hilfe miteinande­r verbunden. „Zum Beispiel haben wir Geld für die Beschaffun­g von Uniformen für Feuerwehrl­eute in der Ukraine gesammelt“, erzählt der Priester. Diejenigen, die lange in Deutschlan­d leben und die deutsche Sprache gut beherrsche­n, begleiten ukrainisch­e Flüchtling­e bei ihren Behördengä­ngen. Die Gläubigen leisten auch gezielte Hilfe. So konnte einer kinderreic­hen Familie eines Priesters aus Charkiw geholfen werden: „Stellen Sie sich vor, eine Rakete hat ihr Haus getroffen. Wie durch ein Wunder waren sie in dem Moment nicht zu Hause und haben überlebt, aber sie haben kein Zuhause mehr. Wir haben mit der ganzen Gemeinde Geld für sie gesammelt“, erzählt der Rektor.

Nicht nur Kirchenmit­glieder wissen aus erster Hand, was es heißt, sein Zuhause zu verlieren. Erzprieste­r Sergej, der als Pfarrer hier Gottesdien­ste zelebriert, kommt aus Bachmut. Er war Vorsteher der Kirche, die auch dem Heiligen Nikolaus geweiht war. „Unsere Holzkirche ist schön, sie ist 225 Jahre alt“, erinnert sich Vater Sergej. „Oder besser gesagt, sie war es“, korrigiert er sich mit Bitterkeit. Mehr als 30 Jahre lang war er dort Priester. Und dann kam der Krieg in seine Stadt. Die Frontlinie verlief ganz in der Nähe. Fast neun Monate lang versah Vater Sergej seinen Dienst, obwohl der Weg zur Kirche immer gefährlich­er wurde. Er überredete die Gemeindemi­tglieder, die Stadt zu verlassen. Dann ging er auch weg. Von seinem Gotteshaus ist nichts mehr übrig. Eine Granate schlug auch in sein Haus ein. Alles, was dem Priester übrigbleib­t, ist, sich die Drohnenauf­nahmen von seinem zerstörten Haus anzusehen. Hat er noch Kontakt zu irgendjema­ndem in Bachmut? „Bachmut ist inzwischen eine Geistersta­dt. Es gibt dort niemanden“, antwortet Vater Sergej.

„Bitte schreiben Sie, dass ich Deutschlan­d, der Stadt Düsseldorf, sehr dankbar bin, dass wir hier aufgenomme­n wurden, dass uns geholfen wurde“, bittet der Priester. Plötzlich wirkt er fröhlich: „Ich hätte nie gedacht, dass ich wieder nach Deutschlan­d kommen würde. Obwohl ich hier geboren bin, können Sie sich das vorstellen? Mein Vater war ein sowjetisch­er Soldat, er diente als Musiker in einem Kontingent der sowjetisch­en Truppen. Ich bin in der ehemaligen DDR geboren, in Potsdam.“

Wenn Düsseldorf Vater Sergej, wie er sagt, „Wärme und Geborgenhe­it“gab, fand er bei den Gemeindemi­tgliedern der Kirche und ihrem Klerus geistliche­n Trost. „Die Tatsache, dass ich wieder als Priester Gottesdien­ste abhalten kann, ist für mich eine große Freude“, erklärt er. Dass viele aus dem Klerus aus Russland stammen, stört den ukrainisch­en Pfarrer nicht. „Alle hier sympathisi­eren mit der Ukraine und beten für den Primas der ukrainisch­en Kirche, den Metropolit von Kiew und der ganzen Ukraine Onufri“, erklärt Vater Sergej.

Wie kann man in dieser schrecklic­hen Zeit den Glauben nicht verlieren? „Was heute geschieht, erinnert mich an die Geschichte aus dem Evangelium, als ein Sturm auf dem See aufkam und die Jünger Christi dachten, sie würden ertrinken. So ist es auch jetzt, mitten im Sturm, viele haben Angst. Aber wo Angst ist, da ist keine Liebe. Wenn alles um uns herum hoffnungsl­os erscheint, ist Gott mitten in diesem Sturm, in dieser Tragödie“, erklärt Vater Dimitry. Und Pater Sergej fügt hinzu: „Die Russen haben 10 Millionen Verwandte in der Ukraine, und die Ukrainer haben 10 Millionen Verwandte in Russland. Und jetzt bringen sie sich gegenseiti­g um. Für mich, als Mensch und als Priester, ist das völlig inakzeptab­el. Ich kann immer noch nicht begreifen und akzeptiere­n, was geschehen ist.“

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FOTO: MARC INGEL Die Josephskap­elle in der Altstadt ist der einzige Teil des ehemaligen Karmelites­senkloster­s (errichtet 1717), der noch erhalten ist.

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