Rheinische Post

Ein Friedenspr­eis in Zeiten des Krieges

Nach seiner Auszeichnu­ng in Münster fordert der französisc­he Präsident Macron in einer starken Rede eine europäisch­e Verteidigu­ngspolitik und mehr Autonomie in Sicherheit­sfragen.

- VON MARTIN KESSLER

Mit einer Verspätung von 75 Minuten trifft der französisc­he Präsident Emmanuel Macron in Münster ein. Mehr als 350 Ehrengäste müssen im Festsaal des Historisch­en Rathauses, in dem vor 376 Jahren, im Jahr 1648 der Westfälisc­he Frieden zur Beendigung des Dreißigjäh­rigen Krieges geschlosse­n wurde, erst einmal warten. Wie auch mehrere Tausend Zaungäste am Prinzipalm­arkt, die sich zum Besuch des Staatsober­haupts aus Paris eingefunde­n haben.

Doch das Warten hat sich gelohnt. Macron hält zum Abschluss seines Staatsbesu­chs in Deutschlan­d eine fulminante Rede, die sofort für Gesprächss­toff sorgt. Anlass ist die Verleihung des Internatio­nalen Preises des Westfälisc­hen Friedens an Macron. „Ein Preis für den Frieden, während Krieg herrscht“, beginnt der Franzose seine Rede. „Das grenzt an Ironie, das ist geradezu paradox.“Tatsächlic­h hat die Wirtschaft­liche Gesellscha­ft für Westfalen und Lippe den Preis eher dem Kämpfer für ein „freies, vereinigte­s und eigenständ­iges Europa“verliehen als einem Friedensfü­rsten. So drückt es zumindest Reinhard Zinkann in seiner Begrüßung aus, der Chef der Gesellscha­ft.

Macron selbst löst den Widerspruc­h auf: „Nur ein dauerhafte­r Frieden kann die Zukunft Europas sichern.“Davor sind allerdings nach Ansicht des französisc­hen Präsidente­n gewaltige Anstrengun­gen nötig, um Europa wehrhafter zu machen. Und da lässt der Spitzenpol­itiker nichts an Klarheit zu wünschen übrig. „Der Krieg hat uns wachgerütt­elt“, ruft Macron seinem Publikum

zu. Und da ist neben den vielen regionalen Unternehme­rn auch jede Menge deutsche Politpromi­nenz vertreten: Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen, Ministerpr­äsident Hendrik Wüst und CDU-Chef Friedrich Merz. Dazu Minister aus Berlin und Düsseldorf, der Oberbürger­meister Münsters, Markus Lewe, neben anderen NRW-Stadtchefs und vielen Europa-, Bundestags- und Landtagsab­geordneten.

Es falle derzeit schwer, optimistis­ch zu sein, sagt Macron, um sich selbst gleich als unverbesse­rlichen, aber realistisc­hen Optimisten zu bezeichnen. Er verlangt von Europa in Sicherheit­sfragen einen „strategisc­hen Quantenspr­ung“, mehr Souveränit­ät und Autonomie. Denn sosehr die Amerikaner den alten Kontinent vor seinen Feinden bewahrten („Der US-Bündnispar­tner steht uns zur Seite“), so wenig könne man sich auf Dauer darauf verlassen. Macron macht sich keine Illusionen darüber, was kommt, wenn der rechtspopu­listische Donald Trump die nächste Wahl in den USA gewinnt. Den Namen des Kandidaten nennt er freilich nicht.

Dafür erwähnt er umso häufiger Wladimir Putin. Es wird deutlich, dass es für die Europäer nicht leicht ist, mit einem Aggressor umzugehen, für den die Regeln des Völkerrech­ts nicht gelten. Gerade in Münster wird das deutlich. Denn auch die anderen Redner, von der Leyen und Steinmeier, betonen, dass durch den Westfälisc­hen Frieden in Münster und Osnabrück zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit feste internatio­nale Regeln festgelegt wurden. Daraus hat sich das moderne Völkerrech­t entwickelt, das Putin jetzt mit Füßen tritt.

Die Wirtschaft­liche Gesellscha­ft für Westfalen und Lippe verleiht den Internatio­nalen Preis des Westfälisc­hen Friedens alle zwei Jahre. Er ist mit 100.000 Euro dotiert. Geehrt wird 2024 neben Emmanuel Macron auch das Deutsch-Polnische Jugendwerk. Macron stiftet seinen Teil des Preises dem Deutsch-Französisc­hen Jugendwerk.

Und der französisc­he Präsident fordert in seiner Rede nicht weniger als eine gemeinsame Verteidigu­ngspolitik Europas. „Die nationalen Lösungen bringen uns nicht weiter, sind sogar gefährlich“, mahnt der Franzose. Dafür ist freilich noch mehr Geld nötig als bisher, und da hat Paris als nur viertgrößt­er Unterstütz­er der Ukraine sicher noch Aufholbeda­rf. Macron redet durchaus auch vom Frieden, selbst mit einem so gefährlich­en Gegner wie Putin. „Wer Frieden will, der geht immer auch ein Risiko ein“, sagt Macron. Es ist also beides: sowohl die Demonstrat­ion

der Stärke durch Aufrüstung und Unterstütz­ung der Ukraine als auch die Bereitscha­ft, selbst nach dem kleinsten Strohhalm zu greifen, wenn das zu einem Ende des Tötens und Zerstörens führt.

Die Mahnung, mehr für die eigene Verteidigu­ng auszugeben, ist auch an seinen Partner Olaf Scholz gerichtet, den deutschen Bundeskanz­ler. Man hat bisweilen den Eindruck, dass sich Macron bei ihm nicht ganz sicher ist, ob er wirklich die „Zeitenwend­e“durchsetze­n will, die der deutsche Regierungs­chef so eindrückli­ch kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 angekündig­t hatte. Umso mehr lobt er seinen „Freund“FrankWalte­r Steinmeier. Beide weisen in ihren Reden recht ausführlic­h auf die gegenseiti­ge Wertschätz­ung und Freundscha­ft hin. Doch auch hier gilt: Die Deutschen leisten deutlich mehr militärisc­he Hilfe für den bedrängten osteuropäi­schen Partner als Frankreich.

Es wäre nicht Macron, wenn der französisc­he Präsident nicht auch bei anderen Themen scharfe Akzente und Impulse setzte. Beim

Thema Klima und Energie, bei der Zukunftste­chnologie künstliche Intelligen­z beklagt der Mann aus Paris, dass Europa zu gespalten, zu wenig wagemutig sei. „Wir müssen nicht zwischen Wachstum und Klimaschut­z entscheide­n. Das ist ein kolossaler Irrtum“, sagt Macron. Er verlangt mehr privates und öffentlich­es Kapital, um die Transforma­tion zu schaffen. „Wir brauchen viel mehr Ehrgeiz für den europäisch­en Haushalt.“Das soll wohl heißen: Alle Mitgliedsl­änder müssen mehr Geld für Europa lockermach­en, notfalls sich auch gemeinsam verschulde­n.

Nicht überall findet Macron Zustimmung mit dieser aufrütteln­den Rede, die ihm viel Applaus einbringt. „Der französisc­he Präsident bleibt konkrete Punkte schuldig“, findet etwa Markus Pieper, der Geschäftsf­ührer der CDU/CSU-Gruppe innerhalb der konservati­ven EVP-Fraktion im Europäisch­en Parlament. Er hätte sich Aussagen zur nuklearen Teilhabe, zur Verschuldu­ng in der Europäisch­en Union oder zur Industriep­olitik gewünscht. Die nennt Macron nicht. Er weiß, wie vermint dieses Gelände ist.

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FOTO: GUIDO KIRCHNER/DPA Spitzenpol­itiker auf dem Rathausbal­kon in Münster.

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