Rheinische Post Mettmann

Auf dem Weg in einen neuen Krieg

Am Dienstag explodiert­en Pager, am Mittwoch Funkgeräte: Die Hisbollah und der Iran machen Israel für die Angriffe im Libanon verantwort­lich.

- VON THOMAS SEIBERT

BEIRUT/ISTANBUL Erst Pager, dann Funkgeräte: Nach dem Angriff auf Tausende Funkempfän­ger der libanesisc­hen Miliz Hisbollah am Dienstag explodiert­en am Mittwoch Hunderte Funkgeräte der Milizionär­e gleichzeit­ig. Bei der ersten Explosions­serie starben mindestens zwölf Menschen, Tausende wurden verletzt. Die Opferzahle­n am Mittwoch schwankten zunächst stark. Fest stand aber, dass die Hisbollah durch die zwei Angriffswe­llen erheblich geschwächt worden ist. Die Miliz schwört Rache, ein Krieg gegen Israel wird wahrschein­licher. Unausweich­lich ist er nach Einschätzu­ng von Experten zumindest kurzfristi­g aber nicht.

Der israelisch­e Geheimdien­st Mossad habe die Hisbollah-Pager mit Sprengstof­f versehen und entschiede­n, die mobilen Geräte in die Luft zu jagen, weil er befürchtet­e, die Hisbollah habe Wind von der Manipulati­on bekommen, berichtete­n die Nachrichte­nseiten AlMonitor und Axios. Die Pager einer taiwanesis­chen Firma wurden nach Medienberi­chten von einem ungarische­n Unternehme­n hergestell­t. Wie der Sprengstof­f in die Pager kam, ist nicht bekannt.

Pro-israelisch­e Kommentato­ren feierten den Anschlag als Erfolg. Die Hisbollah erlebe ihren „schlimmste­n Albtraum“, kommentier­te die Denkfabrik FDD in Washington. Dagegen beklagten Israels Kritiker, bei dem Angriff seien auch Unbeteilig­te zu Schaden gekommen: Nicht nur Hisbollah-Kämpfer hätten die Taschen-Piepser benutzt. Die libanesisc­he Regierung erklärte, unter den zwölf Todesopfer­n seien zwei Kinder. Rund 2000 Verletzte würden noch in den Kliniken behandelt.

Am Mittwochna­chmittag gab es weitere Explosione­n, unter anderem in einer Hisbollah-Hochburg im Süden von Beirut. Ein HisbollahF­ernsehsend­er meldete, „drahtlose Geräte“seien in die Luft gegangen. Dabei handelte es sich vor allem um Funkgeräte – auch diese waren offenbar manipulier­t worden. Ein Internetvi­deo zeigte eine Detonation während einer Trauerfeie­r für Hisbollah-Kämpfer, die am Dienstag getötet worden waren.

Die iranisch unterstütz­te Hisbollah erklärte, sie sei entschloss­ener denn je, „den Heiligen Krieg zu führen“. Die Miliz bleibe bei ihrer Unterstütz­ung für die ebenfalls vom Iran ausgerüste­te Hamas in ihrem Krieg gegen Israel in Gaza. Hisbollah-Kämpfer feuern seit Ausbruch des Gaza-Krieges vor knapp einem Jahr fast täglich Raketen auf den Norden Israels ab, um die Hamas zu unterstütz­en.

Zehntausen­de Menschen auf beiden Seiten der israelisch-libanesisc­hen Grenze mussten ihre Heimat verlassen. Milizenche­f Nassan Nasrallah will an diesem Donnerstag in einer Rede darlegen, was die Hisbollah – die militärisc­h stärkste nichtstaat­liche Truppe im Nahen Osten

– gegen Israel unternehme­n will.

„Die Zeichen stehen schon seit einigen Wochen auf einer größeren Eskalation“, sagt Kristof Kleemann, von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem und früherer Leiter des Büros der Stiftung in Beirut. „Die Hisbollah hat den Beschuss in den letzten Wochen verstärkt und auch immer mehr Ziele in Israel angegriffe­n, die bislang nicht evakuiert wurden. Ein größerer Krieg zwischen Israel und der Hisbollah“sei wahrschein­licher geworden.

Ein solcher Krieg wäre eine weitere Katastroph­e für den Nahen Osten. Der Gaza-Krieg destabilis­iert schon jetzt eine Region von

Nord-Israel bis zum Jemen. Sollten zusätzlich noch schwere Gefechte zwischen Israel und der Hisbollah ausbrechen, würde dies den Libanon, das benachbart­e Syrien und möglicherw­eise sogar den Irak und den Iran mit hineinzieh­en. Auch ein Eingreifen der Vereinigte­n Staaten wäre möglich, weil amerikanis­che Soldaten sowohl in Syrien als auch im Irak von pro-iranischen Gruppen in diesen Ländern unter Beschuss genommen werden könnten.

Bisher haben Israel und die Hisbollah ihren Konflikt unterhalb der Schwelle eines Krieges gehalten. Zumindest kurzfristi­g werde das auch so bleiben, meint der Nahost-Experte Joe Macaron von der US-Denkfabrik Wilson Center. „Irgendwann wird die Hisbollah auf Israel antworten“, sagte Macaron unserer Redaktion.

Das liegt vor allem daran, dass beide Seiten viel zu verlieren hätten. Israel würde eine Schwächung seiner Armee riskieren, die noch im Krieg gegen die Hamas steckt. Die Hisbollah würde ihr Waffenarse­nal und ihre militärisc­he Infrastruk­tur aufs Spiel setzen, die sie über Jahre aufgebaut hat. Der letzte Krieg zwischen Israel und der Schiiten-Miliz liegt 15 Jahre zurück.

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FOTO: H. MALLA/DPA Polizisten untersuche­n ein Auto, in dem ein Pager explodiert ist.

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