Auf dem Weg in einen neuen Krieg
Am Dienstag explodierten Pager, am Mittwoch Funkgeräte: Die Hisbollah und der Iran machen Israel für die Angriffe im Libanon verantwortlich.
BEIRUT/ISTANBUL Erst Pager, dann Funkgeräte: Nach dem Angriff auf Tausende Funkempfänger der libanesischen Miliz Hisbollah am Dienstag explodierten am Mittwoch Hunderte Funkgeräte der Milizionäre gleichzeitig. Bei der ersten Explosionsserie starben mindestens zwölf Menschen, Tausende wurden verletzt. Die Opferzahlen am Mittwoch schwankten zunächst stark. Fest stand aber, dass die Hisbollah durch die zwei Angriffswellen erheblich geschwächt worden ist. Die Miliz schwört Rache, ein Krieg gegen Israel wird wahrscheinlicher. Unausweichlich ist er nach Einschätzung von Experten zumindest kurzfristig aber nicht.
Der israelische Geheimdienst Mossad habe die Hisbollah-Pager mit Sprengstoff versehen und entschieden, die mobilen Geräte in die Luft zu jagen, weil er befürchtete, die Hisbollah habe Wind von der Manipulation bekommen, berichteten die Nachrichtenseiten AlMonitor und Axios. Die Pager einer taiwanesischen Firma wurden nach Medienberichten von einem ungarischen Unternehmen hergestellt. Wie der Sprengstoff in die Pager kam, ist nicht bekannt.
Pro-israelische Kommentatoren feierten den Anschlag als Erfolg. Die Hisbollah erlebe ihren „schlimmsten Albtraum“, kommentierte die Denkfabrik FDD in Washington. Dagegen beklagten Israels Kritiker, bei dem Angriff seien auch Unbeteiligte zu Schaden gekommen: Nicht nur Hisbollah-Kämpfer hätten die Taschen-Piepser benutzt. Die libanesische Regierung erklärte, unter den zwölf Todesopfern seien zwei Kinder. Rund 2000 Verletzte würden noch in den Kliniken behandelt.
Am Mittwochnachmittag gab es weitere Explosionen, unter anderem in einer Hisbollah-Hochburg im Süden von Beirut. Ein HisbollahFernsehsender meldete, „drahtlose Geräte“seien in die Luft gegangen. Dabei handelte es sich vor allem um Funkgeräte – auch diese waren offenbar manipuliert worden. Ein Internetvideo zeigte eine Detonation während einer Trauerfeier für Hisbollah-Kämpfer, die am Dienstag getötet worden waren.
Die iranisch unterstützte Hisbollah erklärte, sie sei entschlossener denn je, „den Heiligen Krieg zu führen“. Die Miliz bleibe bei ihrer Unterstützung für die ebenfalls vom Iran ausgerüstete Hamas in ihrem Krieg gegen Israel in Gaza. Hisbollah-Kämpfer feuern seit Ausbruch des Gaza-Krieges vor knapp einem Jahr fast täglich Raketen auf den Norden Israels ab, um die Hamas zu unterstützen.
Zehntausende Menschen auf beiden Seiten der israelisch-libanesischen Grenze mussten ihre Heimat verlassen. Milizenchef Nassan Nasrallah will an diesem Donnerstag in einer Rede darlegen, was die Hisbollah – die militärisch stärkste nichtstaatliche Truppe im Nahen Osten
– gegen Israel unternehmen will.
„Die Zeichen stehen schon seit einigen Wochen auf einer größeren Eskalation“, sagt Kristof Kleemann, von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem und früherer Leiter des Büros der Stiftung in Beirut. „Die Hisbollah hat den Beschuss in den letzten Wochen verstärkt und auch immer mehr Ziele in Israel angegriffen, die bislang nicht evakuiert wurden. Ein größerer Krieg zwischen Israel und der Hisbollah“sei wahrscheinlicher geworden.
Ein solcher Krieg wäre eine weitere Katastrophe für den Nahen Osten. Der Gaza-Krieg destabilisiert schon jetzt eine Region von
Nord-Israel bis zum Jemen. Sollten zusätzlich noch schwere Gefechte zwischen Israel und der Hisbollah ausbrechen, würde dies den Libanon, das benachbarte Syrien und möglicherweise sogar den Irak und den Iran mit hineinziehen. Auch ein Eingreifen der Vereinigten Staaten wäre möglich, weil amerikanische Soldaten sowohl in Syrien als auch im Irak von pro-iranischen Gruppen in diesen Ländern unter Beschuss genommen werden könnten.
Bisher haben Israel und die Hisbollah ihren Konflikt unterhalb der Schwelle eines Krieges gehalten. Zumindest kurzfristig werde das auch so bleiben, meint der Nahost-Experte Joe Macaron von der US-Denkfabrik Wilson Center. „Irgendwann wird die Hisbollah auf Israel antworten“, sagte Macaron unserer Redaktion.
Das liegt vor allem daran, dass beide Seiten viel zu verlieren hätten. Israel würde eine Schwächung seiner Armee riskieren, die noch im Krieg gegen die Hamas steckt. Die Hisbollah würde ihr Waffenarsenal und ihre militärische Infrastruktur aufs Spiel setzen, die sie über Jahre aufgebaut hat. Der letzte Krieg zwischen Israel und der Schiiten-Miliz liegt 15 Jahre zurück.