Gipfel der trügerischen Hoffnung
ANALYSE Inmitten von Krisen und Konflikten laden die Vereinten Nationen zu einem Zukunftstreffen. Die Staats- und Regierungschefs sollen die schwerfälligen UN fit für das 21. Jahrhundert machen. Fachleute sind jedoch kritisch.
Mit einem kräftigen Schlag brachte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, die Weltfriedensglocke zum Schwingen. Der Ton verhallte rasch. Bei der traditionellen Zeremonie anlässlich des Weltfriedenstages richtete Guterres einen Appell an die 193 UN-Mitgliedsländer, es klang formelhaft: „Wir haben die Chance, etwas zu ändern, kurz gesagt, wir müssen eine Kultur des Friedens errichten“, sagte Guterres vorige Woche in der UN-Zentrale in New York.
Weitere Beschwörungen des Miteinanders werden in den nächsten Tagen den UN-Hauptsitz erfüllen. Auf dem lange geplanten Zukunftsgipfel der Weltorganisation am Sonntag und Montag sollen die Staats- und Regierungschefs ein Bild der Harmonie bieten – und einen diplomatischen Kraftakt hinlegen. Das UN-Sekretariat erwartet von dem Treffen nichts weniger als ein „wiedererstarktes multilaterales System“. Den vielfach gelähmten Vereinten Nationen, gegründet 1945, soll ein neuer Aufbruch glücken. Die UN könnten dann ihren großen Zielen wie der Wahrung des Friedens näherkommen. „Der wichtigste Stoff ist Vertrauen“, erläutert Michèle Griffin, Chefin des UN-Teams für den Zukunftsgipfel.
Experten warnen jedoch vor unrealistischen, ja naiven Hoffnungen. Tatsächlich droht ein Gipfel, dessen Wirkung schnell verpufft. „Beobachter werden enttäuscht sein, dass der Gipfel keine großen Reformen, wie etwa einen Umbau des Sicherheitsrates bringen wird“, sagt Richard Gowan, UN-Direktor bei der Denkfabrik Crisis Group in New York. „Dieser Gipfel wird die USA, China und Russland nicht dazu bringen, ihre Differenzen beizulegen.“Die Konfrontation der drei großen Vetomächte
blockiert immer wieder den Sicherheitsrat, das potenziell mächtigste UN-Gremium.
Nach bisherigem Stand wird USPräsident Joe Biden dem Gipfel sogar fernbleiben; auch die Präsidenten Russlands und Chinas, Wladimir Putin und Xi Jinping, hegen keine Absichten, sich dorthin zu begeben. Immerhin stehen Bundeskanzler Olaf Scholz, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und eine Reihe weiterer Staatenlenker auf der Teilnehmerliste.
Pessimistisch urteilt auch der UNFachmann Stephen Browne über den Zukunftsgipfel: „Statt einer UN 2.0 wird das Ergebnis wohl eher eine UNO 0.5 bestätigen.“Es sei sogar zu befürchten, dass der Gipfel und seine trügerische Rhetorik nur als Fußnote in die Geschichte eingehen werde. Besonders der Zukunftspakt, den die Staatenlenker auf dem Gipfel annehmen werden, löst Verwunderung aus. „Der Pakt ist sehr weit gefasst“, kritisiert Fachmann Gowan. „Für Außenstehende wird es schwer zu verstehen sein, was die wahren Prioritäten sind.“
Eigentlich soll der Pakt Antworten auf aktuelle Probleme geben: Die mörderischen Kriege in der Ukraine, Nahost oder Sudan, den Klimawandel, den Hunger und die Armut, die ungerechte Finanzarchitektur, die digitalen Gefahren. Unter Leitung Deutschlands und Namibias feilschen die Mitglieder um Formulierungen des rund 30 Seiten langen Papiers. Unterteilt ist der Pakt in fünf Kapitel: nachhaltige Entwicklung, Frieden, Wissenschaft, Jugend und globale Institutionen. In allen Bereichen geloben die Länder bestimmte Aktionen, um eine gedeihliche Zukunft einzuläuten. So heißt es in dem letzten Entwurf: „Wir werden Frieden schaffen und erhalten.“Oder: „Wir werden unsere Abrüstungsverpflichtungen und -zusagen einhalten“. Die Welt solle von nuklearen
Deutschland und Namibia leiten Vorbereitungen Vorverhandlungen Wenige Tage vor dem Gipfeltreffen in New York machen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und UN-Chef António Guterres Druck. „In den laufenden Verhandlungen müssen noch einige Differenzen überbrückt werden“, sagte Scholz bei einer virtuellen Veranstaltung mit Guterres und dem namibischen Präsidenten Nangolo Mbumba. Deutschland und Namibia leiten die Verhandlungen vor dem UN-Zukunftsgipfel in New York.
Ordnung „Wie uns der Generalsekretär wiederholt in Erinnerung gerufen hat, stehen wir an einem Scheideweg zwischen Zusammenbruch und Durchbruch“, sagte Scholz. Die Mehrheit der Länder wünsche sich eine neue internationale Ordnung, die eine Welt mit vielen Machtzentren und Akteuren widerspiegeln müsse.
Reformen Hunderte Millionen Menschen zum Beispiel in Afrika und Südamerika hätten das gleiche Recht auf Wohlstand und Teilhabe wie Bürger Europas und Nordamerikas. Deshalb brauche es Reformen unter anderem des UN-Sicherheitsrats und der internationalen Finanzarchitektur. (dpa) Waffen und Terrorismus befreit werden. Die Menschenrechte müssten „für alle“gelten.
Somit gleicht der Zukunftspakt eher einer Wunschliste: Die Frage, wann und wie das alles eingelöst werden kann, bleibt weitgehend offen. So kommt es, dass sich auch wohlmeinende Beobachter wie Ekkehard Griep, Chef der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, eher skeptisch äußern. Griep schreibt in der Zeitschrift „Vereinte Nationen“: „So scheint der angestrebte Zukunftspakt auf den ersten Blick weit entfernt von der Wirklichkeit.“Als Beispiel nennt er ein Bekenntnis zum Schutz der Zivilisten, „während wir etwa in der Ukraine und im Gazastreifen offensichtlich das Gegenteil erleben“. Griep fordert, dass es nicht bei Gipfelfotos bleiben dürfe. „Es bedarf eines Überwachungsmechanismus, zum Beispiel angesiedelt beim UN-Generalsekretär.“
Auch im UN-Sekretariat selbst scheinen Zweifel an einem durchschlagenden Gipfelerfolg aufzukommen. Das Unbehagen lässt sich im Kampf gegen Hunger und Armut beobachten. So wird der Gipfel die Parole ausgeben, die ehrgeizigen UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 tatsächlich zu verwirklichen. Als die beiden zentralen Ziele gelten die Ausmerzung der Armut und die Beendigung des Hungers. Angesichts des fortschreitenden Elends, weisen diese beiden Vorgaben jedoch illusionären Charakter auf: Rund 733 Millionen Menschen litten nach UN-Schätzungen 2023 an Unterernährung. Gegenüber 2019 stieg die Zahl der hungernden Menschen damit um 152 Millionen an. Und: Neue Finanzzusagen für ärmere Länder, so viel dürfte klar sein, wird es auf dem Gipfel auch keine geben. „Absehbar ist, dass wir die Ziele für nachhaltige Entwicklung nicht erreichen werden“, erklärt die UNTeamleiterin Griffin in der Zeitschrift „Vereinte Nationen“. Dann räumt sie ein: „Es gibt eine große Kluft zwischen dem, was wir gerne in der Welt erreichen würden, und dem, was wir erreichen.“
„Wir haben die Chance, etwas zu ändern. Wir müssen eine Kultur des Friedens errichten“António Guterres UN-Generalsekretär