Der Ruhepol der Altstadt
klönt mit den Gästen, grüßt hier und da, scheint jeden zu kennen. Wenn Kunden nur wenig bestellen, sagt er seinen Mitarbeitern: Heute ist es eine Kleinigkeit, morgen ist es vielleicht der große Fischteller.
Primo Lopez weiß um seinen Einfluss auf dieses Fleckchen der Altstadt. Wenn man ihm sagt, er habe diesen Ort geprägt, antwortet er fast beleidigt: „Geprägt? Ich habe die Schneider-Wibbel-Gasse erfunden“. Er hatte eine Vision für diese Gasse, das sagt Lopez zumindest selbst. Als in den 80ern die Läden auf der Straße nach und nach pleitegingen und er sein erstes Restaurant eröffnete, sei ihm zum ersten Mal die Idee gekommen: eine spanische Gasse mitten in Düsseldorf.
Fast jedes Jahr eröffnete Lopez ein neues Lokal, immer zu seinem Geburtstag. Irgendwann gehörten ihm rund 20 Gaststätten, darunter alle Lokale der Schneider-WibbelGasse. Damals verdiente er sich den Titel „Altstadt-König“. Mit den Restaurants war es aber nicht getan. Ständig klopfte Primo Lopez an die Türen des Rathauses, um die Straße zu verschönern. Es fing an mit einer Laterne, noch in den 80ern. „Die Gasse war tot. Die Leute haben in die Ecken gepinkelt“, erzählt Primo Lopez. Also ließ er eine Laterne aufstellen. Später war es der Boden. Jedes Wochenende sah er, wie Frauen in hohen Schuhen unsicher über das Kopfsteinpflaster staksten. Also ließ er ein anderes Pflaster verlegen. Gepflegt sollte es sein, ein ruhiger Fleck in der Altstadt. Dafür habe er auch mal auf Kundschaft verzichtet, sagt er, wilde Junggesellenabschiede schickte er weg.
Vollendet habe er seine Vision aber nie, sagt der Gastronom. Immer wieder kam der Vorschlag, an der Straße ein Schild aufzustellen, das es offiziell besiegeln sollte: Spanische Gasse. Schließlich hat die Gasse das Bild der Altbier-Altstadt verändert. Mit Seezunge und Sangria, mit Krabben in Knoblauch und Sardellen in Essig – ein Sonnenstrahl in der Kneipenszene. Doch Primo Lopez ist offenbar nie fertig.
Darum ist es immer noch hier, huscht jeden Tag zwischen Café Madrid und dem Las Tapas hin und her, bedient noch immer selbst. Primo Lopez ist fast 70 und führt „nur“noch diese zwei Läden, natürlich an der Schneider-Wibbel-Gasse. An der Straße, die ihm wichtig ist wie keine andere. „Diese Gasse macht ganz viel meines Lebens aus.“
Diese Gasse hat aber auch eine Geschichte, die noch viel weiter zurückreicht. 1905 eröffnete die jüdische Familie Hartoch hier das hochmoderne Kaufhaus „Gebrüder Hartoch“.
Ein wahrer Konsumtempel mit Damenund Herrenmode und sogar Möbeln, der zu den größten Warenhäusern Europas zählte. Die Verkaufsfläche erstreckte sich auf 2500 Quadratmeter, die zwischen die alten Gebäude an der Flinger und Bolkerstraße hineingebaut wurden. Die Läden erreichte man über eine glasüberdachte Passage, die heute die Schneider-Wibbel-Gasse ist.
Das Kaufhaus der Hartochs überlebte die Weltwirtschaftskrise nicht. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten floh die Familie ins Ausland. Aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs entstand schließlich die Passage, wie wir sie heute kennen. Nach dem Vorbild der Bremer Böttcherstraße entwarfen Architekten die Gasse am Reißbrett. Während in den anderen Straßen noch Autos fuhren, war dies die erste Fußgängerzone der Stadt.
So erzählt es Uta Pollmann, wenn sie Besuchergruppen durch die Altstadt führt. Seit 1978 ist sie als Stadtführerin in Düsseldorf unterwegs, ein Abstecher an der SchneiderWibbel-Gasse ist Pflicht bei ihren Touren. Schließlich muss man die Spieluhr sehen, aus der mehrmals täglich der Schneider Wibbel hinter den Türen hervorkommt und zu einer Melodie näht.
Benannt wurde die Gasse nach dem berühmten Bühnenstück „Schneider Wibbel“des Heimatschriftstellers Hans MüllerSchlösser. Die Geschichte in Kürze: Betrunken beleidigt Schneider Wibbel Napoleon und wird dafür verurteilt. Um der Strafe zu entgehen, schickt er seinen Gesellen unter falschem Namen ins Gefängnis. Doch der Geselle stirbt. Schneider Wibbel schaut von einem Versteck aus seiner eigenen Beerdigung zu. Dabei fällt der oft zitierte Satz: „Nä, watt bin ich für ‚ne schöne Leichʼ“. Anschließend gibt er sich als sein Zwillingsbruder aus und heiratet seine Frau erneut.
Einige Düsseldorfer hielten den Straßennamen für „Heimatkitsch“, sagt Uta Pollmann. Die Schneider-Wibbel-Gasse war dennoch ein Erfolg. Das Motto der Straße lautete „Goldene Welt“und passte in die Aufbruchstimmung in der Nachkriegszeit. Bei Sonnenschein saß man auf der Straße vor den Gaststätten „De Salönkes“oder „Em Breefkaste“, man tanzte nachts im „Pferde